zu Theil geworden sein soll, so dass er also doch nicht, wie vorher gerühmt worden war, ohne, sondern mit Hül- fe göttlicher Kräfte gesiegt hätte: wenn nämlich nach Lu- kas der Engel vor dem lezten, heftigsten Momente des Kampfs, um Jesum für denselben zu stärken, erschienen sein soll. Doch ehe man so offenbar sich selbst wider- spricht, widerspricht man lieber versteckt dem Text, und so verdreht nun Olshausen die Stellung der Momente, in- dem er ohne Weiteres annimmt, die Stärkung sei nach dem dreimaligen Gebete, also nach bereits errungenem Sie- ge, eingetreten, zu welchem Behuf dann das nach Erwäh- nung des Engels stehende kai genomenos en agonia ektenese- ron proseukheto mit höchster Willkühr als Plusquamper- fectum gedeutet wird.
Doch auch abgesehen von dieser sinnlichen Ausmalung des Grundes, welcher den schnellen Wechsel in Jesu Stim- mung herbeigeführt haben soll, ist die Annahme eines solchen auch an sich von vielen Schwierigkeiten gedrückt. Näher nämlich wäre, was hier bei Jesu stattfände nicht ein blo- ser Wechsel, sondern ein Rückfall der bedenklichsten Art. Namentlich in dem sogenannten hohenpriesterlichen Gebete, Joh. 17, hatte Jesus seine Rechnung mit dem Vater völlig abgeschlossen; jedes Zagen in Bezug auf das, was ihm be- vorstand, lag hier bereits so weit hinter ihm, dass er über sein eigenes Leiden kein Wort verlor, und nur der Drang- sale gedachte, welche seinen Freunden drohten; den Haupt- inhalt seiner Unterhaltung mit dem Vater bildete die Herr- lichkeit, in welche er sofort einzugehen, und die Selig- keit, welche er den Seinigen erworben zu haben hoffte: so dass sein Hingang zum Schauplaz der Gefangennehmung ganz den Charakter hat, dem innerlich und wesentlich be- reits Vollzogenen nur noch die äussere Verwirklichung als accidentelle Beigabe hinzuzufügen. Wenn nun Jesus nach diesem Abschlusse die Rechnung mit Gott noch einmal er- öffnete, wenn er, nachdem er sich schon Sieger gemeint,
Drittes Kapitel. §. 122.
zu Theil geworden sein soll, so daſs er also doch nicht, wie vorher gerühmt worden war, ohne, sondern mit Hül- fe göttlicher Kräfte gesiegt hätte: wenn nämlich nach Lu- kas der Engel vor dem lezten, heftigsten Momente des Kampfs, um Jesum für denselben zu stärken, erschienen sein soll. Doch ehe man so offenbar sich selbst wider- spricht, widerspricht man lieber versteckt dem Text, und so verdreht nun Olshausen die Stellung der Momente, in- dem er ohne Weiteres annimmt, die Stärkung sei nach dem dreimaligen Gebete, also nach bereits errungenem Sie- ge, eingetreten, zu welchem Behuf dann das nach Erwäh- nung des Engels stehende καὶ γενόμενος ἐν ἀγωνίᾳ ἐκτενέςε- ρον προσηύχετο mit höchster Willkühr als Plusquamper- fectum gedeutet wird.
Doch auch abgesehen von dieser sinnlichen Ausmalung des Grundes, welcher den schnellen Wechsel in Jesu Stim- mung herbeigeführt haben soll, ist die Annahme eines solchen auch an sich von vielen Schwierigkeiten gedrückt. Näher nämlich wäre, was hier bei Jesu stattfände nicht ein blo- ser Wechsel, sondern ein Rückfall der bedenklichsten Art. Namentlich in dem sogenannten hohenpriesterlichen Gebete, Joh. 17, hatte Jesus seine Rechnung mit dem Vater völlig abgeschlossen; jedes Zagen in Bezug auf das, was ihm be- vorstand, lag hier bereits so weit hinter ihm, daſs er über sein eigenes Leiden kein Wort verlor, und nur der Drang- sale gedachte, welche seinen Freunden drohten; den Haupt- inhalt seiner Unterhaltung mit dem Vater bildete die Herr- lichkeit, in welche er sofort einzugehen, und die Selig- keit, welche er den Seinigen erworben zu haben hoffte: so daſs sein Hingang zum Schauplaz der Gefangennehmung ganz den Charakter hat, dem innerlich und wesentlich be- reits Vollzogenen nur noch die äussere Verwirklichung als accidentelle Beigabe hinzuzufügen. Wenn nun Jesus nach diesem Abschlusse die Rechnung mit Gott noch einmal er- öffnete, wenn er, nachdem er sich schon Sieger gemeint,
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Drittes Kapitel. §. 122.
zu Theil geworden sein soll, so daſs er also doch nicht,
wie vorher gerühmt worden war, ohne, sondern mit Hül-
fe göttlicher Kräfte gesiegt hätte: wenn nämlich nach Lu-
kas der Engel vor dem lezten, heftigsten Momente des
Kampfs, um Jesum für denselben zu stärken, erschienen
sein soll. Doch ehe man so offenbar sich selbst wider-
spricht, widerspricht man lieber versteckt dem Text, und
so verdreht nun Olshausen die Stellung der Momente, in-
dem er ohne Weiteres annimmt, die Stärkung sei nach
dem dreimaligen Gebete, also nach bereits errungenem Sie-
ge, eingetreten, zu welchem Behuf dann das nach Erwäh-
nung des Engels stehende καὶ γενόμενος ἐν ἀγωνίᾳ ἐκτενέςε-
ρον προσηύχετο mit höchster Willkühr als Plusquamper-
fectum gedeutet wird.
Doch auch abgesehen von dieser sinnlichen Ausmalung
des Grundes, welcher den schnellen Wechsel in Jesu Stim-
mung herbeigeführt haben soll, ist die Annahme eines solchen
auch an sich von vielen Schwierigkeiten gedrückt. Näher
nämlich wäre, was hier bei Jesu stattfände nicht ein blo-
ser Wechsel, sondern ein Rückfall der bedenklichsten Art.
Namentlich in dem sogenannten hohenpriesterlichen Gebete,
Joh. 17, hatte Jesus seine Rechnung mit dem Vater völlig
abgeschlossen; jedes Zagen in Bezug auf das, was ihm be-
vorstand, lag hier bereits so weit hinter ihm, daſs er über
sein eigenes Leiden kein Wort verlor, und nur der Drang-
sale gedachte, welche seinen Freunden drohten; den Haupt-
inhalt seiner Unterhaltung mit dem Vater bildete die Herr-
lichkeit, in welche er sofort einzugehen, und die Selig-
keit, welche er den Seinigen erworben zu haben hoffte:
so daſs sein Hingang zum Schauplaz der Gefangennehmung
ganz den Charakter hat, dem innerlich und wesentlich be-
reits Vollzogenen nur noch die äussere Verwirklichung als
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/478>, abgerufen am 22.11.2024.
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