Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Dritter Abschnitt.
telst der Furcht gemachten Angriffe den drei Angriffen
mittelst der Lust in der Versuchungsgeschichte parallel
stehen. Diese Parallele ist gegründet, nur führt sie auf das
entgegengesezte Resultat von demjenigen, welches Olshau-
sen
aus ihr ziehen will. Denn was ist nun wahrscheinli-
cher: dass in beiden Fällen die dreimalige Wiederholung
des Angriffs ihren objektiven Grund in einer verborgenen
Gesezmässigkeit des Geisterreichs gehabt habe 31), mithin
als wirklich historisch anzusehen sei; oder dass ihr bloss
subjektiver Grund in der Manier der Sage liege, und dem-
nach das Vorkommen dieser Zahl uns hier so sicher wie
oben bei der Versuchungsgeschichte auf etwas Mythisches
hinweise?

Rechnen wir also Engel, Blutschweiss, und die drei-
malige Wiederholung der Entfernung und des Gebets Jesu
als mythische Zuthaten ab: so bliebe vorläufig als histori-
scher Kern das Faktum, dass Jesus an jenem Abend im
Garten in ein heftiges Zagen hineingerathen sei, und Gott
um Abwendung seines Leidens. mit Vorbehalt jedoch der
Unterwerfung unter seinen Willen, gebeten habe: wobei
es indess unter Voraussetzung der gewöhnlichen Ansicht
vom Verhältniss unserer Evangelien nicht wenig befremden
muss, dass dem johanneischen Evangelium selbst diese Grund-
züge der in Rede stehenden Geschichte fehlen.

§. 122.
Verhältniss des vierten Evangeliums zu den Vorgängen in Geth-
semane. Die johanneischen Abschiedsreden und die Scene
bei Anmeldung der Hellenen.

Das Verhalten des Johannes zu den bisher erwogenen
Erzählungen der Synoptiker hat zunächst die zwei Seiten,
dass er erstlich von dem, was diese geben, nichts hat, und

31) Wie etwa Mephistopheles dreimal klopfen und hereingerufen
werden muss.

Dritter Abschnitt.
telst der Furcht gemachten Angriffe den drei Angriffen
mittelst der Lust in der Versuchungsgeschichte parallel
stehen. Diese Parallele ist gegründet, nur führt sie auf das
entgegengesezte Resultat von demjenigen, welches Olshau-
sen
aus ihr ziehen will. Denn was ist nun wahrscheinli-
cher: daſs in beiden Fällen die dreimalige Wiederholung
des Angriffs ihren objektiven Grund in einer verborgenen
Gesezmäſsigkeit des Geisterreichs gehabt habe 31), mithin
als wirklich historisch anzusehen sei; oder daſs ihr bloſs
subjektiver Grund in der Manier der Sage liege, und dem-
nach das Vorkommen dieser Zahl uns hier so sicher wie
oben bei der Versuchungsgeschichte auf etwas Mythisches
hinweise?

Rechnen wir also Engel, Blutschweiſs, und die drei-
malige Wiederholung der Entfernung und des Gebets Jesu
als mythische Zuthaten ab: so bliebe vorläufig als histori-
scher Kern das Faktum, daſs Jesus an jenem Abend im
Garten in ein heftiges Zagen hineingerathen sei, und Gott
um Abwendung seines Leidens. mit Vorbehalt jedoch der
Unterwerfung unter seinen Willen, gebeten habe: wobei
es indeſs unter Voraussetzung der gewöhnlichen Ansicht
vom Verhältniſs unserer Evangelien nicht wenig befremden
muſs, daſs dem johanneischen Evangelium selbst diese Grund-
züge der in Rede stehenden Geschichte fehlen.

§. 122.
Verhältniss des vierten Evangeliums zu den Vorgängen in Geth-
semane. Die johanneischen Abschiedsreden und die Scene
bei Anmeldung der Hellenen.

Das Verhalten des Johannes zu den bisher erwogenen
Erzählungen der Synoptiker hat zunächst die zwei Seiten,
daſs er erstlich von dem, was diese geben, nichts hat, und

31) Wie etwa Mephistopheles dreimal klopfen und hereingerufen
werden muss.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0473" n="454"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
telst der Furcht gemachten Angriffe den drei Angriffen<lb/>
mittelst der Lust in der Versuchungsgeschichte parallel<lb/>
stehen. Diese Parallele ist gegründet, nur führt sie auf das<lb/>
entgegengesezte Resultat von demjenigen, welches <hi rendition="#k">Olshau-<lb/>
sen</hi> aus ihr ziehen will. Denn was ist nun wahrscheinli-<lb/>
cher: da&#x017F;s in beiden Fällen die dreimalige Wiederholung<lb/>
des Angriffs ihren objektiven Grund in einer verborgenen<lb/>
Gesezmä&#x017F;sigkeit des Geisterreichs gehabt habe <note place="foot" n="31)">Wie etwa Mephistopheles dreimal klopfen und hereingerufen<lb/>
werden muss.</note>, mithin<lb/>
als wirklich historisch anzusehen sei; oder da&#x017F;s ihr blo&#x017F;s<lb/>
subjektiver Grund in der Manier der Sage liege, und dem-<lb/>
nach das Vorkommen dieser Zahl uns hier so sicher wie<lb/>
oben bei der Versuchungsgeschichte auf etwas Mythisches<lb/>
hinweise?</p><lb/>
          <p>Rechnen wir also Engel, Blutschwei&#x017F;s, und die drei-<lb/>
malige Wiederholung der Entfernung und des Gebets Jesu<lb/>
als mythische Zuthaten ab: so bliebe vorläufig als histori-<lb/>
scher Kern das Faktum, da&#x017F;s Jesus an jenem Abend im<lb/>
Garten in ein heftiges Zagen hineingerathen sei, und Gott<lb/>
um Abwendung seines Leidens. mit Vorbehalt jedoch der<lb/>
Unterwerfung unter seinen Willen, gebeten habe: wobei<lb/>
es inde&#x017F;s unter Voraussetzung der gewöhnlichen Ansicht<lb/>
vom Verhältni&#x017F;s unserer Evangelien nicht wenig befremden<lb/>
mu&#x017F;s, da&#x017F;s dem johanneischen Evangelium selbst diese Grund-<lb/>
züge der in Rede stehenden Geschichte fehlen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 122.<lb/>
Verhältniss des vierten Evangeliums zu den Vorgängen in Geth-<lb/>
semane. Die johanneischen Abschiedsreden und die Scene<lb/>
bei Anmeldung der Hellenen.</head><lb/>
          <p>Das Verhalten des Johannes zu den bisher erwogenen<lb/>
Erzählungen der Synoptiker hat zunächst die zwei Seiten,<lb/>
da&#x017F;s er erstlich von dem, was diese geben, nichts hat, und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[454/0473] Dritter Abschnitt. telst der Furcht gemachten Angriffe den drei Angriffen mittelst der Lust in der Versuchungsgeschichte parallel stehen. Diese Parallele ist gegründet, nur führt sie auf das entgegengesezte Resultat von demjenigen, welches Olshau- sen aus ihr ziehen will. Denn was ist nun wahrscheinli- cher: daſs in beiden Fällen die dreimalige Wiederholung des Angriffs ihren objektiven Grund in einer verborgenen Gesezmäſsigkeit des Geisterreichs gehabt habe 31), mithin als wirklich historisch anzusehen sei; oder daſs ihr bloſs subjektiver Grund in der Manier der Sage liege, und dem- nach das Vorkommen dieser Zahl uns hier so sicher wie oben bei der Versuchungsgeschichte auf etwas Mythisches hinweise? Rechnen wir also Engel, Blutschweiſs, und die drei- malige Wiederholung der Entfernung und des Gebets Jesu als mythische Zuthaten ab: so bliebe vorläufig als histori- scher Kern das Faktum, daſs Jesus an jenem Abend im Garten in ein heftiges Zagen hineingerathen sei, und Gott um Abwendung seines Leidens. mit Vorbehalt jedoch der Unterwerfung unter seinen Willen, gebeten habe: wobei es indeſs unter Voraussetzung der gewöhnlichen Ansicht vom Verhältniſs unserer Evangelien nicht wenig befremden muſs, daſs dem johanneischen Evangelium selbst diese Grund- züge der in Rede stehenden Geschichte fehlen. §. 122. Verhältniss des vierten Evangeliums zu den Vorgängen in Geth- semane. Die johanneischen Abschiedsreden und die Scene bei Anmeldung der Hellenen. Das Verhalten des Johannes zu den bisher erwogenen Erzählungen der Synoptiker hat zunächst die zwei Seiten, daſs er erstlich von dem, was diese geben, nichts hat, und 31) Wie etwa Mephistopheles dreimal klopfen und hereingerufen werden muss.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/473
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/473>, abgerufen am 22.12.2024.