auch diesen Zug mit Schleiermacher als einen poetischen, welchen der Evangelist geschichtlich genommen, oder bes- ser als einen mythischen, dessen Entstehung sich leicht aus dem Trieb erklären lässt, das Vorspiel des Leidens Jesu am Kreuze, was dieser Kampf im Garten war, da- durch zu vervollständigen, dass nicht bloss das psychische Moment jenes Leidens in der Bekümmerniss, sondern auch das physische in dem Blutschweiss sollte vorgebildet ge- wesen sein.
Dieser Eigenthümlichkeit des Lukas gegenüber ist sei- nen beiden Vorgängern, wie gesagt, die doppelte Dreizahl, der Jünger, und der Entfernungen und Gebete Jesu, eigen. Können wir hier an der ersteren keinen besondern An- stoss nehmen, so hat doch die zweite etwas Befremden- des. Man hat zwar ein so unstetes Hinundhergehen, ein so schnell wechselndes Sichentfernen und Wiederkommen, ganz der Stimmung angemessen gefunden, in welcher Je- sus damals war 29), und ebenso in der Wiederholung des Gebets eine sachgemässe Steigerung, eine immer vollstän- digere Ergebung in den Willen des Vaters nachgewie- sen 30). Allein dass die beiden Referenten die Gänge Je- su zählen, von ek deuterou und ek tritou sprechen, zeigt schon, dass ihnen gerade an der Dreizahl besonders viel gelegen war; wenn dann Matthäus zwar dem zweiten Ge- bet einen von dem des ersten etwas verschiedenen Aus- druck zu geben weiss, beim dritten aber Jesum nur ton auton logon wiederholen lässt, was Markus schon bei'm zweiten Male thut: so wird vollends deutlich, dass sie in Verlegenheit waren, die beliebte Dreizahl der Gebete mit gehörigem Inhalt auszufüllen. Nach Olshausen soll Mat- thäus mit seinen drei Akten dieses Kampfs schon desshalb gegen Lukas recht haben, weil diese drei auf Jesum mit-
29)Paulus, a. a. O. S. 549.
30)Theile, in Winer's und Engelhardt's krit. Journal, 2, S. 353.
Drittes Kapitel. §. 121.
auch diesen Zug mit Schleiermacher als einen poëtischen, welchen der Evangelist geschichtlich genommen, oder bes- ser als einen mythischen, dessen Entstehung sich leicht aus dem Trieb erklären läſst, das Vorspiel des Leidens Jesu am Kreuze, was dieser Kampf im Garten war, da- durch zu vervollständigen, daſs nicht bloſs das psychische Moment jenes Leidens in der Bekümmerniſs, sondern auch das physische in dem Blutschweiſs sollte vorgebildet ge- wesen sein.
Dieser Eigenthümlichkeit des Lukas gegenüber ist sei- nen beiden Vorgängern, wie gesagt, die doppelte Dreizahl, der Jünger, und der Entfernungen und Gebete Jesu, eigen. Können wir hier an der ersteren keinen besondern An- stoſs nehmen, so hat doch die zweite etwas Befremden- des. Man hat zwar ein so unstetes Hinundhergehen, ein so schnell wechselndes Sichentfernen und Wiederkommen, ganz der Stimmung angemessen gefunden, in welcher Je- sus damals war 29), und ebenso in der Wiederholung des Gebets eine sachgemäſse Steigerung, eine immer vollstän- digere Ergebung in den Willen des Vaters nachgewie- sen 30). Allein daſs die beiden Referenten die Gänge Je- su zählen, von ἐκ δευτέρου und ἐκ τρίτου sprechen, zeigt schon, daſs ihnen gerade an der Dreizahl besonders viel gelegen war; wenn dann Matthäus zwar dem zweiten Ge- bet einen von dem des ersten etwas verschiedenen Aus- druck zu geben weiſs, beim dritten aber Jesum nur τὸν αὐτὸν λόγον wiederholen läſst, was Markus schon bei'm zweiten Male thut: so wird vollends deutlich, daſs sie in Verlegenheit waren, die beliebte Dreizahl der Gebete mit gehörigem Inhalt auszufüllen. Nach Olshausen soll Mat- thäus mit seinen drei Akten dieses Kampfs schon deſshalb gegen Lukas recht haben, weil diese drei auf Jesum mit-
29)Paulus, a. a. O. S. 549.
30)Theile, in Winer's und Engelhardt's krit. Journal, 2, S. 353.
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Drittes Kapitel. §. 121.
auch diesen Zug mit Schleiermacher als einen poëtischen,
welchen der Evangelist geschichtlich genommen, oder bes-
ser als einen mythischen, dessen Entstehung sich leicht
aus dem Trieb erklären läſst, das Vorspiel des Leidens
Jesu am Kreuze, was dieser Kampf im Garten war, da-
durch zu vervollständigen, daſs nicht bloſs das psychische
Moment jenes Leidens in der Bekümmerniſs, sondern auch
das physische in dem Blutschweiſs sollte vorgebildet ge-
wesen sein.
Dieser Eigenthümlichkeit des Lukas gegenüber ist sei-
nen beiden Vorgängern, wie gesagt, die doppelte Dreizahl,
der Jünger, und der Entfernungen und Gebete Jesu, eigen.
Können wir hier an der ersteren keinen besondern An-
stoſs nehmen, so hat doch die zweite etwas Befremden-
des. Man hat zwar ein so unstetes Hinundhergehen, ein
so schnell wechselndes Sichentfernen und Wiederkommen,
ganz der Stimmung angemessen gefunden, in welcher Je-
sus damals war 29), und ebenso in der Wiederholung des
Gebets eine sachgemäſse Steigerung, eine immer vollstän-
digere Ergebung in den Willen des Vaters nachgewie-
sen 30). Allein daſs die beiden Referenten die Gänge Je-
su zählen, von ἐκ δευτέρου und ἐκ τρίτου sprechen, zeigt
schon, daſs ihnen gerade an der Dreizahl besonders viel
gelegen war; wenn dann Matthäus zwar dem zweiten Ge-
bet einen von dem des ersten etwas verschiedenen Aus-
druck zu geben weiſs, beim dritten aber Jesum nur τὸν
αὐτὸν λόγον wiederholen läſst, was Markus schon bei'm
zweiten Male thut: so wird vollends deutlich, daſs sie in
Verlegenheit waren, die beliebte Dreizahl der Gebete mit
gehörigem Inhalt auszufüllen. Nach Olshausen soll Mat-
thäus mit seinen drei Akten dieses Kampfs schon deſshalb
gegen Lukas recht haben, weil diese drei auf Jesum mit-
29) Paulus, a. a. O. S. 549.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/472>, abgerufen am 22.11.2024.
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