Desswegen sollte wohl derjenige auf den Dank besonders der Orthodoxen rechnen dürfen, der es unternimmt, die Glaubwürdigkeit der betreffenden Erzählungen kritisch zu untersuchen.
Auch hier indessen dürfen wir die Kritik nicht erst an- fangen, welche vielmehr, namentlich durch die eigenthümli- che Darstellung des dritten Evangeliums, schon längst her- vorgerufen worden ist. Der stärkende Engel hat, wie aus dogmatischen Gründen der alten Kirche, so der neueren Auslegung aus kritischen Gründen, zu schaffen gemacht. Ein altes Scholion, in Betracht, oti tes iskhuos tou aggelou ouk epedeeto o upo pases epouraniou dunameos phobo kai tro- mo proskunoumenos kai doxazomenos, fasst das dem Engel zugeschriebene eniskhuein als ein für stark Erklären, d. h. als Darbringung einer Doxologie 18); wogegen Andere lie- ber, als Jesum einer Stärkung durch einen Engel bedürf- tig sein zu lassen, den aggelos eniskhuon zum bösen Engel machen, welcher gegen Jesum Gewalt brauchen wollte 19). Wenn nun auch die Orthodoxen durch die Unterscheidung des Standes der Erniedrigung und Entäusserung bei Christo von dem Stande seiner Erhöhung, oder auf ähnliche Wei- se, den Stachel der dogmatischen Bedenklichkeit längst ab- gestumpft haben: so hat sich an deren Stelle nur um so entschiedener ein kritisches Bedenken ausgebildet. In Er- wägung des Verdachts, welchen nach früheren Bemerkun- gen angebliche Angelophanien jederzeit gegen sich haben, hat man auch in dem hier erscheinenden Engel bald einen Menschen 20), bald ein Bild für die von Jesu wiederge- wonnene Ruhe 21) finden wollen. Doch der eigentliche Ort für den kritischen Angriff auf die Engelerscheinung
18) In Matthaei's N. T. p. 447.
19)Lightfoot, a. a. O.
20)Venturini, 3, 677. und vermuthungsweise auch Paulus S. 561.
21)Eichhorn, allg. Bibl. 1, S. 628. Thiess, z. d. St.
Das Leben Jesu II. Band. 29
Drittes Kapitel. §. 121.
Deſswegen sollte wohl derjenige auf den Dank besonders der Orthodoxen rechnen dürfen, der es unternimmt, die Glaubwürdigkeit der betreffenden Erzählungen kritisch zu untersuchen.
Auch hier indessen dürfen wir die Kritik nicht erst an- fangen, welche vielmehr, namentlich durch die eigenthümli- che Darstellung des dritten Evangeliums, schon längst her- vorgerufen worden ist. Der stärkende Engel hat, wie aus dogmatischen Gründen der alten Kirche, so der neueren Auslegung aus kritischen Gründen, zu schaffen gemacht. Ein altes Scholion, in Betracht, ὅτι τῆς ἰσχύος τοῦ ἀγγέλου ουκ ἐπεδέετο ὁ ὑπὸ πάσης ἐπουρανίου δυνάμεως φόβῳ καὶ τρό- μῳ προςκυνουμενος καὶ δοξαζόμενος, faſst das dem Engel zugeschriebene ἐνισχύειν als ein für stark Erklären, d. h. als Darbringung einer Doxologie 18); wogegen Andere lie- ber, als Jesum einer Stärkung durch einen Engel bedürf- tig sein zu lassen, den ἄγγελος ἐνισχύων zum bösen Engel machen, welcher gegen Jesum Gewalt brauchen wollte 19). Wenn nun auch die Orthodoxen durch die Unterscheidung des Standes der Erniedrigung und Entäusserung bei Christo von dem Stande seiner Erhöhung, oder auf ähnliche Wei- se, den Stachel der dogmatischen Bedenklichkeit längst ab- gestumpft haben: so hat sich an deren Stelle nur um so entschiedener ein kritisches Bedenken ausgebildet. In Er- wägung des Verdachts, welchen nach früheren Bemerkun- gen angebliche Angelophanien jederzeit gegen sich haben, hat man auch in dem hier erscheinenden Engel bald einen Menschen 20), bald ein Bild für die von Jesu wiederge- wonnene Ruhe 21) finden wollen. Doch der eigentliche Ort für den kritischen Angriff auf die Engelerscheinung
18) In Matthaei's N. T. p. 447.
19)Lightfoot, a. a. O.
20)Venturini, 3, 677. und vermuthungsweise auch Paulus S. 561.
21)Eichhorn, allg. Bibl. 1, S. 628. Thiess, z. d. St.
Das Leben Jesu II. Band. 29
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Drittes Kapitel. §. 121.
Deſswegen sollte wohl derjenige auf den Dank besonders
der Orthodoxen rechnen dürfen, der es unternimmt, die
Glaubwürdigkeit der betreffenden Erzählungen kritisch zu
untersuchen.
Auch hier indessen dürfen wir die Kritik nicht erst an-
fangen, welche vielmehr, namentlich durch die eigenthümli-
che Darstellung des dritten Evangeliums, schon längst her-
vorgerufen worden ist. Der stärkende Engel hat, wie aus
dogmatischen Gründen der alten Kirche, so der neueren
Auslegung aus kritischen Gründen, zu schaffen gemacht.
Ein altes Scholion, in Betracht, ὅτι τῆς ἰσχύος τοῦ ἀγγέλου
ουκ ἐπεδέετο ὁ ὑπὸ πάσης ἐπουρανίου δυνάμεως φόβῳ καὶ τρό-
μῳ προςκυνουμενος καὶ δοξαζόμενος, faſst das dem Engel
zugeschriebene ἐνισχύειν als ein für stark Erklären, d. h.
als Darbringung einer Doxologie 18); wogegen Andere lie-
ber, als Jesum einer Stärkung durch einen Engel bedürf-
tig sein zu lassen, den ἄγγελος ἐνισχύων zum bösen Engel
machen, welcher gegen Jesum Gewalt brauchen wollte 19).
Wenn nun auch die Orthodoxen durch die Unterscheidung
des Standes der Erniedrigung und Entäusserung bei Christo
von dem Stande seiner Erhöhung, oder auf ähnliche Wei-
se, den Stachel der dogmatischen Bedenklichkeit längst ab-
gestumpft haben: so hat sich an deren Stelle nur um so
entschiedener ein kritisches Bedenken ausgebildet. In Er-
wägung des Verdachts, welchen nach früheren Bemerkun-
gen angebliche Angelophanien jederzeit gegen sich haben,
hat man auch in dem hier erscheinenden Engel bald einen
Menschen 20), bald ein Bild für die von Jesu wiederge-
wonnene Ruhe 21) finden wollen. Doch der eigentliche
Ort für den kritischen Angriff auf die Engelerscheinung
18) In Matthaei's N. T. p. 447.
19) Lightfoot, a. a. O.
20) Venturini, 3, 677. und vermuthungsweise auch Paulus S. 561.
21) Eichhorn, allg. Bibl. 1, S. 628. Thiess, z. d. St.
Das Leben Jesu II. Band. 29
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/468>, abgerufen am 22.11.2024.
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