poterion als rein moralische Ängstlichkeit Jesu, ob es wirklich Gottes Wille sei, dass er sich dem nächstbevor- stehenden Angriff hingebe, ob es nicht vielmehr gottgefäl- liger wäre, dieser Gefahr noch auszuweichen: er macht zur blossen Anfrage an Gott, was offenbar die dringendste Bitte ist.
Während Olshausen sich in die kirchliche Ansicht zu- rückwirft, und den Machtspruch thut, die Ansicht, als hätte das äusserliche, körperliche Leiden den Kampf in Jesu hervorgerufen, müsse als eine das Wesen seiner Erschei- nung vernichtende entfernt werden: haben Andere richti- ger anerkannt, dass hier allerdings der zum Affekt ge- wordene Wunsch, des bevorstehenden furchtbaren Leidens überhoben zu sein, die Schauer der sinnlichen Natur vor ihrer Vernichtung, sich zeigen 13). Was nun aber auch von jeher bemerkt worden ist, um eine solche Weichheit der Stimmung Jesu von jedem Vorwurfe zu befreien: dass die schleunige Überwindung der widerstrebenden Sinnlich- keit jeden Schein des Sündhaften wieder entferne 14); dass das Beben der sinnlichen Natur vor ihrer Vernichtung zu ihren wesentlichen Lebensäusserungen gehöre 15); dass, je reiner die menschliche Natur in einem sei, desto em- pfindlicher sie gegen Schmerz und Vernichtung sich ver- halte 16); dass das Durchempfinden und Überwinden des Schmerzes grösser sei als eine stoische Unempfindlichkeit gegen denselben 17): immer bleibt doch die auch von Ols- hausen getheilte Bedenklichkeit, dass ein solches Zagen vor körperlichem Schmerz und Tod Jesum unter einen Sokra- tes und manche Andere herunterzusetzen scheinen könnte.
13)Ullmann, über die Unsündlichkeit Jes, in s. Studien, 1, S. 61. Hasert, ebendas. 3, 1, S. 66 ff
14)Ullmann, a. a. O.
15)Hasert, a. a. O.
16)Luther, in der Predigt vom Leiden Christi im Garten.
17) Ambrosius in Luc. Tom. 10, 56.
Dritter Abschnitt.
ποτήριον als rein moralische Ängstlichkeit Jesu, ob es wirklich Gottes Wille sei, daſs er sich dem nächstbevor- stehenden Angriff hingebe, ob es nicht vielmehr gottgefäl- liger wäre, dieser Gefahr noch auszuweichen: er macht zur bloſsen Anfrage an Gott, was offenbar die dringendste Bitte ist.
Während Olshausen sich in die kirchliche Ansicht zu- rückwirft, und den Machtspruch thut, die Ansicht, als hätte das äusserliche, körperliche Leiden den Kampf in Jesu hervorgerufen, müsse als eine das Wesen seiner Erschei- nung vernichtende entfernt werden: haben Andere richti- ger anerkannt, daſs hier allerdings der zum Affekt ge- wordene Wunsch, des bevorstehenden furchtbaren Leidens überhoben zu sein, die Schauer der sinnlichen Natur vor ihrer Vernichtung, sich zeigen 13). Was nun aber auch von jeher bemerkt worden ist, um eine solche Weichheit der Stimmung Jesu von jedem Vorwurfe zu befreien: daſs die schleunige Überwindung der widerstrebenden Sinnlich- keit jeden Schein des Sündhaften wieder entferne 14); daſs das Beben der sinnlichen Natur vor ihrer Vernichtung zu ihren wesentlichen Lebensäusserungen gehöre 15); daſs, je reiner die menschliche Natur in einem sei, desto em- pfindlicher sie gegen Schmerz und Vernichtung sich ver- halte 16); daſs das Durchempfinden und Überwinden des Schmerzes gröſser sei als eine stoische Unempfindlichkeit gegen denselben 17): immer bleibt doch die auch von Ols- hausen getheilte Bedenklichkeit, daſs ein solches Zagen vor körperlichem Schmerz und Tod Jesum unter einen Sokra- tes und manche Andere herunterzusetzen scheinen könnte.
13)Ullmann, über die Unsündlichkeit Jes, in s. Studien, 1, S. 61. Hasert, ebendas. 3, 1, S. 66 ff
14)Ullmann, a. a. O.
15)Hasert, a. a. O.
16)Luther, in der Predigt vom Leiden Christi im Garten.
17) Ambrosius in Luc. Tom. 10, 56.
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Dritter Abschnitt.
ποτήριον als rein moralische Ängstlichkeit Jesu, ob es
wirklich Gottes Wille sei, daſs er sich dem nächstbevor-
stehenden Angriff hingebe, ob es nicht vielmehr gottgefäl-
liger wäre, dieser Gefahr noch auszuweichen: er macht
zur bloſsen Anfrage an Gott, was offenbar die dringendste
Bitte ist.
Während Olshausen sich in die kirchliche Ansicht zu-
rückwirft, und den Machtspruch thut, die Ansicht, als
hätte das äusserliche, körperliche Leiden den Kampf in Jesu
hervorgerufen, müsse als eine das Wesen seiner Erschei-
nung vernichtende entfernt werden: haben Andere richti-
ger anerkannt, daſs hier allerdings der zum Affekt ge-
wordene Wunsch, des bevorstehenden furchtbaren Leidens
überhoben zu sein, die Schauer der sinnlichen Natur vor
ihrer Vernichtung, sich zeigen 13). Was nun aber auch
von jeher bemerkt worden ist, um eine solche Weichheit
der Stimmung Jesu von jedem Vorwurfe zu befreien: daſs
die schleunige Überwindung der widerstrebenden Sinnlich-
keit jeden Schein des Sündhaften wieder entferne 14);
daſs das Beben der sinnlichen Natur vor ihrer Vernichtung
zu ihren wesentlichen Lebensäusserungen gehöre 15); daſs,
je reiner die menschliche Natur in einem sei, desto em-
pfindlicher sie gegen Schmerz und Vernichtung sich ver-
halte 16); daſs das Durchempfinden und Überwinden des
Schmerzes gröſser sei als eine stoische Unempfindlichkeit
gegen denselben 17): immer bleibt doch die auch von Ols-
hausen getheilte Bedenklichkeit, daſs ein solches Zagen vor
körperlichem Schmerz und Tod Jesum unter einen Sokra-
tes und manche Andere herunterzusetzen scheinen könnte.
13) Ullmann, über die Unsündlichkeit Jes, in s. Studien, 1,
S. 61. Hasert, ebendas. 3, 1, S. 66 ff
14) Ullmann, a. a. O.
15) Hasert, a. a. O.
16) Luther, in der Predigt vom Leiden Christi im Garten.
17) Ambrosius in Luc. Tom. 10, 56.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/467>, abgerufen am 22.11.2024.
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