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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
soll, was ihm solche Traurigkeit verursachte 6). Seine
Spitze erreichte dieses Streben, den Schmerz Jesu von al-
ler sinnlichen Beimischung und Beziehung auf seine eigene
Person zu reinigen, in der kirchlich gewordenen Ansicht,
dass Jesus in das Mitgefühl der Sündenschuld der ganzen
Menschheit versezt gewesen sei, und Gottes Zorn über die-
selbe stellvertretend empfunden habe 7); wobei nach der
Ansicht von Einigen sogar der Teufel selbst mit Jesu ge-
rungen haben soll 8).

Doch von einem solchen Grunde der Bangigkeit Je-
su steht nichts im Texte, vielmehr, wie sonst (Matth. 20,
22 f. parall.), so muss auch hier das poterion, um dessen
Abnahme Jesus bittet, von seinem eigenen körperlichen
Leiden und Tode verstanden werden. Zugleich liegt jener
kirchlichen Ansicht eine unbiblische Vorstellung von der
Stellvertretung zum Grunde. Jesu Leiden ist allerdings
auch schon in der Vorstellung der Synoptiker ein stell-
vertretendes für die Sünden Vieler; allein die Stellvertre-
tung besteht nach ihnen nicht darin, dass Jesus unmittel-
bar diese Sünden und das ihretwegen der Menschheit ge-
bührende Leiden zu empfinden bekäme: sondern für jene
Sünden, und um ihre Strafe aufzuheben, wird ihm ein per-
sönliches Leiden aufgelegt. Wie ihn also am Kreuze nicht

6) Hieron. Comm. in Matth. z. d. St.: Contristabatur non ti-
more patiendi, qui ad hoc venerat, ut pateretur, sed propter
infelicissimum Judam, et scandalum omnium apostolorum, et
rejectionem populi Judaeorum, et eversionem miserae Hieru-
salem.
7) Calvin, Comm. in harm. evangg. zu Matth. 26, 37: Non --
mortem horruit simpliciter, quatenus transitus est e mundo,
sed quia formidabile Dei tribunal illi erat ante oculos, judex
ipse incomprehensibili vindicta armatus, peccata vero nostra,
quorum onus illi erat impositum, sua ingenti mole eum pre-
mebant.
Vgl. Luther's Hauspostille, die erste Passionspredigt.
8) Lightfoot, p. 884 f.

Dritter Abschnitt.
soll, was ihm solche Traurigkeit verursachte 6). Seine
Spitze erreichte dieses Streben, den Schmerz Jesu von al-
ler sinnlichen Beimischung und Beziehung auf seine eigene
Person zu reinigen, in der kirchlich gewordenen Ansicht,
daſs Jesus in das Mitgefühl der Sündenschuld der ganzen
Menschheit versezt gewesen sei, und Gottes Zorn über die-
selbe stellvertretend empfunden habe 7); wobei nach der
Ansicht von Einigen sogar der Teufel selbst mit Jesu ge-
rungen haben soll 8).

Doch von einem solchen Grunde der Bangigkeit Je-
su steht nichts im Texte, vielmehr, wie sonst (Matth. 20,
22 f. parall.), so muſs auch hier das ποτήριον, um dessen
Abnahme Jesus bittet, von seinem eigenen körperlichen
Leiden und Tode verstanden werden. Zugleich liegt jener
kirchlichen Ansicht eine unbiblische Vorstellung von der
Stellvertretung zum Grunde. Jesu Leiden ist allerdings
auch schon in der Vorstellung der Synoptiker ein stell-
vertretendes für die Sünden Vieler; allein die Stellvertre-
tung besteht nach ihnen nicht darin, daſs Jesus unmittel-
bar diese Sünden und das ihretwegen der Menschheit ge-
bührende Leiden zu empfinden bekäme: sondern für jene
Sünden, und um ihre Strafe aufzuheben, wird ihm ein per-
sönliches Leiden aufgelegt. Wie ihn also am Kreuze nicht

6) Hieron. Comm. in Matth. z. d. St.: Contristabatur non ti-
more patiendi, qui ad hoc venerat, ut pateretur, sed propter
infelicissimum Judam, et scandalum omnium apostolorum, et
rejectionem populi Judaeorum, et eversionem miserae Hieru-
salem.
7) Calvin, Comm. in harm. evangg. zu Matth. 26, 37: Non —
mortem horruit simpliciter, quatenus transitus est e mundo,
sed quia formidabile Dei tribunal illi erat ante oculos, judex
ipse incomprehensibili vindicta armatus, peccata vero nostra,
quorum onus illi erat impositum, sua ingenti mole eum pre-
mebant.
Vgl. Luther's Hauspostille, die erste Passionspredigt.
8) Lightfoot, p. 884 f.
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[446/0465] Dritter Abschnitt. soll, was ihm solche Traurigkeit verursachte 6). Seine Spitze erreichte dieses Streben, den Schmerz Jesu von al- ler sinnlichen Beimischung und Beziehung auf seine eigene Person zu reinigen, in der kirchlich gewordenen Ansicht, daſs Jesus in das Mitgefühl der Sündenschuld der ganzen Menschheit versezt gewesen sei, und Gottes Zorn über die- selbe stellvertretend empfunden habe 7); wobei nach der Ansicht von Einigen sogar der Teufel selbst mit Jesu ge- rungen haben soll 8). Doch von einem solchen Grunde der Bangigkeit Je- su steht nichts im Texte, vielmehr, wie sonst (Matth. 20, 22 f. parall.), so muſs auch hier das ποτήριον, um dessen Abnahme Jesus bittet, von seinem eigenen körperlichen Leiden und Tode verstanden werden. Zugleich liegt jener kirchlichen Ansicht eine unbiblische Vorstellung von der Stellvertretung zum Grunde. Jesu Leiden ist allerdings auch schon in der Vorstellung der Synoptiker ein stell- vertretendes für die Sünden Vieler; allein die Stellvertre- tung besteht nach ihnen nicht darin, daſs Jesus unmittel- bar diese Sünden und das ihretwegen der Menschheit ge- bührende Leiden zu empfinden bekäme: sondern für jene Sünden, und um ihre Strafe aufzuheben, wird ihm ein per- sönliches Leiden aufgelegt. Wie ihn also am Kreuze nicht 6) Hieron. Comm. in Matth. z. d. St.: Contristabatur non ti- more patiendi, qui ad hoc venerat, ut pateretur, sed propter infelicissimum Judam, et scandalum omnium apostolorum, et rejectionem populi Judaeorum, et eversionem miserae Hieru- salem. 7) Calvin, Comm. in harm. evangg. zu Matth. 26, 37: Non — mortem horruit simpliciter, quatenus transitus est e mundo, sed quia formidabile Dei tribunal illi erat ante oculos, judex ipse incomprehensibili vindicta armatus, peccata vero nostra, quorum onus illi erat impositum, sua ingenti mole eum pre- mebant. Vgl. Luther's Hauspostille, die erste Passionspredigt. 8) Lightfoot, p. 884 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/465>, abgerufen am 22.11.2024.