Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Drittes Kapitel. §. 121. Vanini sein eigenes Benehmen bei bevorstehender Hinrich-tung kühn über das von Jesu gestellt 2), und im evange- lium Nicodemi schliesst der Satan aus dieser Scene, dass Christus ein blosser Mensch gewesen 3). Die Ausflucht des Apokryphums, die Betrübniss Jesu sei nur Verstellung ge- wesen, um dem Teufel zum Kampf mit ihm Muth zu ma- chen 4), ist nur das Eingeständniss, dass es eine wirkliche Betrübniss jener Art bei Jesu nicht zu denken weiss. Da- her berief man sich auf den Unterschied der beiden Na- turen in Christo, und schrieb die Betrübniss und die Bitte um Abnahme des poterion der menschlichen, die Ergebung in das thelema des Vaters aber der göttlichen Natur zu 5). Da jedoch diess theils eine unzulässige Trennung im We- sen Jesu zu setzen, theils das Zagen auch nur seiner menschlichen Natur vor bevorstehenden körperlichen Lei- den ihm nicht wohl anzustehen schien: so gab man seiner Bangigkeit einen geistigen Bezug, und machte sie zu einer sympathetischen, indem es nun die Ruchlosigkeit des Ju- das, die Gefahr, welche seinen Jüngern drohte, und das Schicksal, welches seinem Volke bevorstand, gewesen sein vestia, bei Münter, Fragm. Patr. graec. Fasc. 1, p. 121: alla kai toiauta proseukhetai, phesin, o I., oia athlios anthro- 2) Gramond. hist. Gall. ab exc. Henr. IV. L. 3, p. 211: Lu- 3) Evang. Nicod. c. 20, bei Thilo, 1, S. 702 ff.: ego gar oida, 4) Ebendas. S. 706, erwiedert Hades dem Satan: ei de legeis,. 5) So schon Origenes, c. Cels. 2, 25.
Drittes Kapitel. §. 121. Vanini sein eigenes Benehmen bei bevorstehender Hinrich-tung kühn über das von Jesu gestellt 2), und im evange- lium Nicodemi schlieſst der Satan aus dieser Scene, daſs Christus ein bloſser Mensch gewesen 3). Die Ausflucht des Apokryphums, die Betrübniſs Jesu sei nur Verstellung ge- wesen, um dem Teufel zum Kampf mit ihm Muth zu ma- chen 4), ist nur das Eingeständniſs, daſs es eine wirkliche Betrübniſs jener Art bei Jesu nicht zu denken weiſs. Da- her berief man sich auf den Unterschied der beiden Na- turen in Christo, und schrieb die Betrübniſs und die Bitte um Abnahme des ποτήριον der menschlichen, die Ergebung in das ϑέλημα des Vaters aber der göttlichen Natur zu 5). Da jedoch dieſs theils eine unzulässige Trennung im We- sen Jesu zu setzen, theils das Zagen auch nur seiner menschlichen Natur vor bevorstehenden körperlichen Lei- den ihm nicht wohl anzustehen schien: so gab man seiner Bangigkeit einen geistigen Bezug, und machte sie zu einer sympathetischen, indem es nun die Ruchlosigkeit des Ju- das, die Gefahr, welche seinen Jüngern drohte, und das Schicksal, welches seinem Volke bevorstand, gewesen sein vestia, bei Münter, Fragm. Patr. graec. Fasc. 1, p. 121: ἀλλὰ καὶ τοιαῦτα προσεύχεταί, φησιν, ὁ Ἰ., οἷα ἄϑλιος ἄνϑρω- 2) Gramond. hist. Gall. ab exc. Henr. IV. L. 3, p. 211: Lu- 3) Evang. Nicod. c. 20, bei Thilo, 1, S. 702 ff.: ἐγὼ γὰρ οἰδα, 4) Ebendas. S. 706, erwiedert Hades dem Satan: εἰ δὲ λέγεις,. 5) So schon Origenes, c. Cels. 2, 25.
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Drittes Kapitel. §. 121.
Vanini sein eigenes Benehmen bei bevorstehender Hinrich-
tung kühn über das von Jesu gestellt 2), und im evange-
lium Nicodemi schlieſst der Satan aus dieser Scene, daſs
Christus ein bloſser Mensch gewesen 3). Die Ausflucht des
Apokryphums, die Betrübniſs Jesu sei nur Verstellung ge-
wesen, um dem Teufel zum Kampf mit ihm Muth zu ma-
chen 4), ist nur das Eingeständniſs, daſs es eine wirkliche
Betrübniſs jener Art bei Jesu nicht zu denken weiſs. Da-
her berief man sich auf den Unterschied der beiden Na-
turen in Christo, und schrieb die Betrübniſs und die Bitte
um Abnahme des ποτήριον der menschlichen, die Ergebung
in das ϑέλημα des Vaters aber der göttlichen Natur zu 5).
Da jedoch dieſs theils eine unzulässige Trennung im We-
sen Jesu zu setzen, theils das Zagen auch nur seiner
menschlichen Natur vor bevorstehenden körperlichen Lei-
den ihm nicht wohl anzustehen schien: so gab man seiner
Bangigkeit einen geistigen Bezug, und machte sie zu einer
sympathetischen, indem es nun die Ruchlosigkeit des Ju-
das, die Gefahr, welche seinen Jüngern drohte, und das
Schicksal, welches seinem Volke bevorstand, gewesen sein
1)
2) Gramond. hist. Gall. ab exc. Henr. IV. L. 3, p. 211: Lu-
cilius Vanini — dum in patibulum trahitur — Christo illudit
in haec eadem verba: illi in extremis prae timore imbellis
sudor: ego imperterritus morior.
3) Evang. Nicod. c. 20, bei Thilo, 1, S. 702 ff.: ἐγὼ γὰρ οἰδα,
ὅτι ἄνϑρωπός ἐςι, καὶ ἤκουσα αὐτοῦ λέγοντος· ὅτι περιλυπός ἐςιν
ἡ ψυχή μου ἕως ϑανάτου.
4) Ebendas. S. 706, erwiedert Hades dem Satan: εἰ δὲ λέγεις,
ὅτι ἤκουσας αὐτοῦφοβουμένου τὸν ϑάνατον, παίζων σε καὶ γελῶν ἔφη
τοῦτο, ϑέλων, ἵνα σε ἁρπάσῃ ἐν χειρὶ δυνατῇ.
5) So schon Origenes, c. Cels. 2, 25.
1) vestia, bei Münter, Fragm. Patr. graec. Fasc. 1, p. 121:
ἀλλὰ καὶ τοιαῦτα προσεύχεταί, φησιν, ὁ Ἰ., οἷα ἄϑλιος ἄνϑρω-
πος, συμφορὰν φέρειν εὐκόλωςουδυνάμενος, καὶ ὑπ̕ ἀγγέλου, ϑεὸς
ὢν, ἐνισχύεται.
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