Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Dritter Abschnitt. Begeisterung diesen tieferen Sinn seiner Aussprüche nichtimmer ganz begriffen: was ist diess anders, als ein Zuge- ständniss, dass durch die Deutung auf Christum solchen Stellen ein anderer Sinn gegeben werde, als den der Ver- fasser ursprünglich in dieselben gelegt hat? Dass nun Je- sus aus dieser Psalmstelle vor dem Erfolg durch natürli- che Überlegung sollte herausgelesen haben, ihm stehe Ver- rath durch einen Freund bevor, ist um so undenkbarer, als sich keine Spur findet, dass der Psalm unter den Ju- den messianisch gedeutet worden wäre: dass aber das Gött- liche in Jesu ihm eine solche Deutung an die Hand gege- ben habe, ist desswegen unmöglich, weil es eine falsche Deutung ist. Vielmehr nach dem Erfolg erst wurde der Psalmstelle eine Beziehung auf den Verrath des Judas ge- geben. Das durch den gewaltsamen Tod des Messias über- raschte Gemüth seiner ersten Anhänger muss man sich in ängstlicher Geschäftigkeit denken, dieses Schicksal des- selben zu begreifen, was aber bei jüdisch Gebildeten nicht hiess, es mit Bewusstsein und Vernunft, sondern mit der Schrift in Einklang bringen. So fanden sie nicht nur sei- nen Tod, sondern auch, dass er durch die Treulosigkeit eines seiner Freunde zu Grunde gehen würde, und selbst das weitere Schicksal und Ende des Verräthers (Matth. 27, 9 f. A. G. 1, 20.) im A. T. vorhergesagt, und um für den Verrath eine A. T.liche Auctorität zu finden, bot sich am meisten jene Stelle aus Ps. 41, wo der Verfasser über Misshandlung durch einen seiner Vertrautesten Klage führt. Diese Belege aus dem A. T. konnten die Schreiber der N.- T.lichen Geschichte entweder als ihre und Anderer Reflexio- nen bei Meldung des Erfolgs hinzusetzen, wie die Verfasser des ersten Evangeliums und der Apostelgeschichte, wo sie das Ende des Judas referiren: oder, was noch schlagen- der war, sie konnten sie Jesu selbst schon vor dem Er- folg in den Mund legen, wie der Verfasser des vierten Evangeliums hier thut. Der Psalmist hatte mit seinem Dritter Abschnitt. Begeisterung diesen tieferen Sinn seiner Aussprüche nichtimmer ganz begriffen: was ist dieſs anders, als ein Zuge- ständniſs, daſs durch die Deutung auf Christum solchen Stellen ein anderer Sinn gegeben werde, als den der Ver- fasser ursprünglich in dieselben gelegt hat? Daſs nun Je- sus aus dieser Psalmstelle vor dem Erfolg durch natürli- che Überlegung sollte herausgelesen haben, ihm stehe Ver- rath durch einen Freund bevor, ist um so undenkbarer, als sich keine Spur findet, daſs der Psalm unter den Ju- den messianisch gedeutet worden wäre: daſs aber das Gött- liche in Jesu ihm eine solche Deutung an die Hand gege- ben habe, ist deſswegen unmöglich, weil es eine falsche Deutung ist. Vielmehr nach dem Erfolg erst wurde der Psalmstelle eine Beziehung auf den Verrath des Judas ge- geben. Das durch den gewaltsamen Tod des Messias über- raschte Gemüth seiner ersten Anhänger muſs man sich in ängstlicher Geschäftigkeit denken, dieses Schicksal des- selben zu begreifen, was aber bei jüdisch Gebildeten nicht hieſs, es mit Bewuſstsein und Vernunft, sondern mit der Schrift in Einklang bringen. So fanden sie nicht nur sei- nen Tod, sondern auch, daſs er durch die Treulosigkeit eines seiner Freunde zu Grunde gehen würde, und selbst das weitere Schicksal und Ende des Verräthers (Matth. 27, 9 f. A. G. 1, 20.) im A. T. vorhergesagt, und um für den Verrath eine A. T.liche Auctorität zu finden, bot sich am meisten jene Stelle aus Ps. 41, wo der Verfasser über Miſshandlung durch einen seiner Vertrautesten Klage führt. Diese Belege aus dem A. T. konnten die Schreiber der N.- T.lichen Geschichte entweder als ihre und Anderer Reflexio- nen bei Meldung des Erfolgs hinzusetzen, wie die Verfasser des ersten Evangeliums und der Apostelgeschichte, wo sie das Ende des Judas referiren: oder, was noch schlagen- der war, sie konnten sie Jesu selbst schon vor dem Er- folg in den Mund legen, wie der Verfasser des vierten Evangeliums hier thut. Der Psalmist hatte mit seinem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0451" n="432"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> Begeisterung diesen tieferen Sinn seiner Aussprüche nicht<lb/> immer ganz begriffen: was ist dieſs anders, als ein Zuge-<lb/> ständniſs, daſs durch die Deutung auf Christum solchen<lb/> Stellen ein anderer Sinn gegeben werde, als den der Ver-<lb/> fasser ursprünglich in dieselben gelegt hat? Daſs nun Je-<lb/> sus aus dieser Psalmstelle vor dem Erfolg durch natürli-<lb/> che Überlegung sollte herausgelesen haben, ihm stehe Ver-<lb/> rath durch einen Freund bevor, ist um so undenkbarer,<lb/> als sich keine Spur findet, daſs der Psalm unter den Ju-<lb/> den messianisch gedeutet worden wäre: daſs aber das Gött-<lb/> liche in Jesu ihm eine solche Deutung an die Hand gege-<lb/> ben habe, ist deſswegen unmöglich, weil es eine falsche<lb/> Deutung ist. Vielmehr nach dem Erfolg erst wurde der<lb/> Psalmstelle eine Beziehung auf den Verrath des Judas ge-<lb/> geben. Das durch den gewaltsamen Tod des Messias über-<lb/> raschte Gemüth seiner ersten Anhänger muſs man sich<lb/> in ängstlicher Geschäftigkeit denken, dieses Schicksal des-<lb/> selben zu begreifen, was aber bei jüdisch Gebildeten nicht<lb/> hieſs, es mit Bewuſstsein und Vernunft, sondern mit der<lb/> Schrift in Einklang bringen. So fanden sie nicht nur sei-<lb/> nen Tod, sondern auch, daſs er durch die Treulosigkeit<lb/> eines seiner Freunde zu Grunde gehen würde, und selbst<lb/> das weitere Schicksal und Ende des Verräthers (Matth.<lb/> 27, 9 f. A. G. 1, 20.) im A. T. vorhergesagt, und um für<lb/> den Verrath eine A. T.liche Auctorität zu finden, bot sich<lb/> am meisten jene Stelle aus Ps. 41, wo der Verfasser über<lb/> Miſshandlung durch einen seiner Vertrautesten Klage führt.<lb/> Diese Belege aus dem A. T. konnten die Schreiber der N.-<lb/> T.lichen Geschichte entweder als ihre und Anderer Reflexio-<lb/> nen bei Meldung des Erfolgs hinzusetzen, wie die Verfasser<lb/> des ersten Evangeliums und der Apostelgeschichte, wo sie<lb/> das Ende des Judas referiren: oder, was noch schlagen-<lb/> der war, sie konnten sie Jesu selbst schon vor dem Er-<lb/> folg in den Mund legen, wie der Verfasser des vierten<lb/> Evangeliums hier thut. Der Psalmist hatte mit seinem<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [432/0451]
Dritter Abschnitt.
Begeisterung diesen tieferen Sinn seiner Aussprüche nicht
immer ganz begriffen: was ist dieſs anders, als ein Zuge-
ständniſs, daſs durch die Deutung auf Christum solchen
Stellen ein anderer Sinn gegeben werde, als den der Ver-
fasser ursprünglich in dieselben gelegt hat? Daſs nun Je-
sus aus dieser Psalmstelle vor dem Erfolg durch natürli-
che Überlegung sollte herausgelesen haben, ihm stehe Ver-
rath durch einen Freund bevor, ist um so undenkbarer,
als sich keine Spur findet, daſs der Psalm unter den Ju-
den messianisch gedeutet worden wäre: daſs aber das Gött-
liche in Jesu ihm eine solche Deutung an die Hand gege-
ben habe, ist deſswegen unmöglich, weil es eine falsche
Deutung ist. Vielmehr nach dem Erfolg erst wurde der
Psalmstelle eine Beziehung auf den Verrath des Judas ge-
geben. Das durch den gewaltsamen Tod des Messias über-
raschte Gemüth seiner ersten Anhänger muſs man sich
in ängstlicher Geschäftigkeit denken, dieses Schicksal des-
selben zu begreifen, was aber bei jüdisch Gebildeten nicht
hieſs, es mit Bewuſstsein und Vernunft, sondern mit der
Schrift in Einklang bringen. So fanden sie nicht nur sei-
nen Tod, sondern auch, daſs er durch die Treulosigkeit
eines seiner Freunde zu Grunde gehen würde, und selbst
das weitere Schicksal und Ende des Verräthers (Matth.
27, 9 f. A. G. 1, 20.) im A. T. vorhergesagt, und um für
den Verrath eine A. T.liche Auctorität zu finden, bot sich
am meisten jene Stelle aus Ps. 41, wo der Verfasser über
Miſshandlung durch einen seiner Vertrautesten Klage führt.
Diese Belege aus dem A. T. konnten die Schreiber der N.-
T.lichen Geschichte entweder als ihre und Anderer Reflexio-
nen bei Meldung des Erfolgs hinzusetzen, wie die Verfasser
des ersten Evangeliums und der Apostelgeschichte, wo sie
das Ende des Judas referiren: oder, was noch schlagen-
der war, sie konnten sie Jesu selbst schon vor dem Er-
folg in den Mund legen, wie der Verfasser des vierten
Evangeliums hier thut. Der Psalmist hatte mit seinem
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |