Wie ihm, da die Erwachsenen ihn verkannten, aus dem Munde der Kinder Lob zubereitet war (Matth. 21, 16.), wie er, falls die Menschen schwiegen, überzeugt war, dass die Steine schreien würden (Luc. 19, 40.): so musste es angemessen scheinen, den, welchen sein Volk, das zu ret- ten er gekommen war, nicht anerkennen wollte, von den Dämonen anerkannt werden zu lassen, deren Zeugniss, weil sie nur Verderben von ihm zu gewarten hatten, unpar- teiisch, und wegen ihrer höheren geistigen Natur zuver- lässig war.
Haben wir in der zulezt betrachteten Heilungsgeschichte eines Dämonischen eine von der einfachsten Gattung gehabt: so begegnet uns in der Erzählung von der Heilung der be- sessenen Gadarener (Matth. S, 28 ff. Marc. 5, 1 ff. Luc. 8, 26 ff.) eine höchst zusammengesezte, indem wir hier, ne- ben mehreren Abweichungen der Evangelisten, statt Eines Dämons viele, und statt des einfachen Ausfahrens derselben ein Fahren in eine Schweineheerde haben.
Nach einer stürmischen Überfahrt über den galiläischen See an das östliche Ufer begegnet Jesu nach Markus und Lukas ein Dämonischer, welcher sich in den Grabmälern jener Gegend aufhielt 6) und mit furchtbarer Wildheit ge- gen sich selbst 7) und andere zu wüthen pflegte; nach Matthäus waren es ihrer zwei. Es ist erstaunlich, wie
6) Ein Lieblingsaufenthalt der Rasenden, s. Lightfoot u. Schött- gen z. d. St., und der unreinen Geister, s. die rabbinischen Stellen bei Wetstein.
7) Dass das katakoptein eanton lithois, welches Markus dem Be- sessenen zuschreibt, in lichten Augenblicken als Busse für seine Verschuldung von ihm geschehen sei, gehört zu den Unrichtigkeiten, zu welchen Olshausen durch seinen falschen, moralisch-religiösen Standpunkt in Betrachtung dieser Er- scheinungen verführt wird, da doch bekannt genug ist, wie gerade in den Paroxysmen solcher Kranken die selbstzerstö- rende Wuth eintritt.
Neuntes Kapitel. §. 89.
Wie ihm, da die Erwachsenen ihn verkannten, aus dem Munde der Kinder Lob zubereitet war (Matth. 21, 16.), wie er, falls die Menschen schwiegen, überzeugt war, daſs die Steine schreien würden (Luc. 19, 40.): so muſste es angemessen scheinen, den, welchen sein Volk, das zu ret- ten er gekommen war, nicht anerkennen wollte, von den Dämonen anerkannt werden zu lassen, deren Zeugniſs, weil sie nur Verderben von ihm zu gewarten hatten, unpar- teiisch, und wegen ihrer höheren geistigen Natur zuver- lässig war.
Haben wir in der zulezt betrachteten Heilungsgeschichte eines Dämonischen eine von der einfachsten Gattung gehabt: so begegnet uns in der Erzählung von der Heilung der be- sessenen Gadarener (Matth. S, 28 ff. Marc. 5, 1 ff. Luc. 8, 26 ff.) eine höchst zusammengesezte, indem wir hier, ne- ben mehreren Abweichungen der Evangelisten, statt Eines Dämons viele, und statt des einfachen Ausfahrens derselben ein Fahren in eine Schweineheerde haben.
Nach einer stürmischen Überfahrt über den galiläischen See an das östliche Ufer begegnet Jesu nach Markus und Lukas ein Dämonischer, welcher sich in den Grabmälern jener Gegend aufhielt 6) und mit furchtbarer Wildheit ge- gen sich selbst 7) und andere zu wüthen pflegte; nach Matthäus waren es ihrer zwei. Es ist erstaunlich, wie
6) Ein Lieblingsaufenthalt der Rasenden, s. Lightfoot u. Schött- gen z. d. St., und der unreinen Geister, s. die rabbinischen Stellen bei Wetstein.
7) Dass das κατακόπτειν ἑαντὸν λίϑοις, welches Markus dem Be- sessenen zuschreibt, in lichten Augenblicken als Busse für seine Verschuldung von ihm geschehen sei, gehört zu den Unrichtigkeiten, zu welchen Olshausen durch seinen falschen, moralisch-religiösen Standpunkt in Betrachtung dieser Er- scheinungen verführt wird, da doch bekannt genug ist, wie gerade in den Paroxysmen solcher Kranken die selbstzerstö- rende Wuth eintritt.
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Neuntes Kapitel. §. 89.
Wie ihm, da die Erwachsenen ihn verkannten, aus dem
Munde der Kinder Lob zubereitet war (Matth. 21, 16.),
wie er, falls die Menschen schwiegen, überzeugt war, daſs
die Steine schreien würden (Luc. 19, 40.): so muſste es
angemessen scheinen, den, welchen sein Volk, das zu ret-
ten er gekommen war, nicht anerkennen wollte, von den
Dämonen anerkannt werden zu lassen, deren Zeugniſs, weil
sie nur Verderben von ihm zu gewarten hatten, unpar-
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lässig war.
Haben wir in der zulezt betrachteten Heilungsgeschichte
eines Dämonischen eine von der einfachsten Gattung gehabt:
so begegnet uns in der Erzählung von der Heilung der be-
sessenen Gadarener (Matth. S, 28 ff. Marc. 5, 1 ff. Luc. 8,
26 ff.) eine höchst zusammengesezte, indem wir hier, ne-
ben mehreren Abweichungen der Evangelisten, statt Eines
Dämons viele, und statt des einfachen Ausfahrens derselben
ein Fahren in eine Schweineheerde haben.
Nach einer stürmischen Überfahrt über den galiläischen
See an das östliche Ufer begegnet Jesu nach Markus und
Lukas ein Dämonischer, welcher sich in den Grabmälern
jener Gegend aufhielt 6) und mit furchtbarer Wildheit ge-
gen sich selbst 7) und andere zu wüthen pflegte; nach
Matthäus waren es ihrer zwei. Es ist erstaunlich, wie
6) Ein Lieblingsaufenthalt der Rasenden, s. Lightfoot u. Schött-
gen z. d. St., und der unreinen Geister, s. die rabbinischen
Stellen bei Wetstein.
7) Dass das κατακόπτειν ἑαντὸν λίϑοις, welches Markus dem Be-
sessenen zuschreibt, in lichten Augenblicken als Busse für
seine Verschuldung von ihm geschehen sei, gehört zu den
Unrichtigkeiten, zu welchen Olshausen durch seinen falschen,
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scheinungen verführt wird, da doch bekannt genug ist, wie
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/44>, abgerufen am 16.07.2024.
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