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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweites Kapitel. §. 117.
paskha mnemoneutikon gefeiert 8). Allein erstlich hätte so
Jesus nicht, wie Lukas sagt, das Pascha an dem Tag, en e
edei thuesthai to paskha, auch gefeiert, dann aber hält, wer
die blosse Gedächtnissfeier begeht, mit Aufgebung der für
das Pascha bestimmten Örtlichkeit (Jerusalem) doch die
Zeit desselben (Abend vom 14ten auf den 15ten Nisan)
unverbrüchlich fest: wogegen Jesus dasselbe gerade umge-
kehrt, zwar an dem gewöhnlichen Ort, aber zu ungewöhn-
licher Zeit, gefeiert haben müsste, was ohne Beispiel ist.
Gegen diesen Vorwurf des Unerhörten und Eigenmächtigen
hat man die von Jesu angeblich vorgenommene Verlegung
dadurch zu schützen gesucht, dass man ihn mit einer gan-
zen Partei seiner Volksgenossen das Pascha früher als die
übrigen feiern liess. Wie nämlich von der jüdischen Par-
tei der Karäer oder Scripturarier bekannt ist, dass sie von
den Rabbaniten oder Traditionariern namentlich auch in
der Bestimmung des Neumonds abweichen, indem sie be-
haupten, die Art der lezteren, den Neumond nach dem
astronomischen Calcul festzusetzen, sei eine Neuerung, wo-
gegen sie, der alten, gesezlichen Sitte getreu, denselben
nach der empirischen Beobachtung der Phase des Neulichts
bestimmen: so sollen schon zu Jesu Zeit die Sadducäer,
von welchen die Karäer abstammen sollen, den Neu-
mond und mit ihm das von demselben abhängige Oster-
fest anders als die Pharisäer bestimmt, und Jesus, als Geg-
ner der Tradition und Freund der Schrift, sich hierin an
sie angeschlossen haben 9). Allein abgesehen davon, dass
der Zusammenhang der Karäer mit den alten Sadducäern
eine blosse Vermuthung ist, so ist es ja eben der gegrün-
dete Vorwurf der Karäer, dass die Bestimmung des Neu-
monds durch den Calcul erst nach der Zerstörung des Tem-
pels durch die Römer aufgekommen sei: so dass also zur

8) Grotius, zu Matth. 26, 18.
9) Iken, Diss. philol. theol. Vol. 2, p. 416 ff.

Zweites Kapitel. §. 117.
πάσχα μνημονευτικὸν gefeiert 8). Allein erstlich hätte so
Jesus nicht, wie Lukas sagt, das Pascha an dem Tag, ἐν ῇ
ἔδει ϑύεσϑαι τὸ πάσχα, auch gefeiert, dann aber hält, wer
die bloſse Gedächtniſsfeier begeht, mit Aufgebung der für
das Pascha bestimmten Örtlichkeit (Jerusalem) doch die
Zeit desselben (Abend vom 14ten auf den 15ten Nisan)
unverbrüchlich fest: wogegen Jesus dasselbe gerade umge-
kehrt, zwar an dem gewöhnlichen Ort, aber zu ungewöhn-
licher Zeit, gefeiert haben müſste, was ohne Beispiel ist.
Gegen diesen Vorwurf des Unerhörten und Eigenmächtigen
hat man die von Jesu angeblich vorgenommene Verlegung
dadurch zu schützen gesucht, daſs man ihn mit einer gan-
zen Partei seiner Volksgenossen das Pascha früher als die
übrigen feiern lieſs. Wie nämlich von der jüdischen Par-
tei der Karäer oder Scripturarier bekannt ist, daſs sie von
den Rabbaniten oder Traditionariern namentlich auch in
der Bestimmung des Neumonds abweichen, indem sie be-
haupten, die Art der lezteren, den Neumond nach dem
astronomischen Calcul festzusetzen, sei eine Neuerung, wo-
gegen sie, der alten, gesezlichen Sitte getreu, denselben
nach der empirischen Beobachtung der Phase des Neulichts
bestimmen: so sollen schon zu Jesu Zeit die Sadducäer,
von welchen die Karäer abstammen sollen, den Neu-
mond und mit ihm das von demselben abhängige Oster-
fest anders als die Pharisäer bestimmt, und Jesus, als Geg-
ner der Tradition und Freund der Schrift, sich hierin an
sie angeschlossen haben 9). Allein abgesehen davon, daſs
der Zusammenhang der Karäer mit den alten Sadducäern
eine bloſse Vermuthung ist, so ist es ja eben der gegrün-
dete Vorwurf der Karäer, daſs die Bestimmung des Neu-
monds durch den Calcul erst nach der Zerstörung des Tem-
pels durch die Römer aufgekommen sei: so daſs also zur

8) Grotius, zu Matth. 26, 18.
9) Iken, Diss. philol. theol. Vol. 2, p. 416 ff.
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[409/0428] Zweites Kapitel. §. 117. πάσχα μνημονευτικὸν gefeiert 8). Allein erstlich hätte so Jesus nicht, wie Lukas sagt, das Pascha an dem Tag, ἐν ῇ ἔδει ϑύεσϑαι τὸ πάσχα, auch gefeiert, dann aber hält, wer die bloſse Gedächtniſsfeier begeht, mit Aufgebung der für das Pascha bestimmten Örtlichkeit (Jerusalem) doch die Zeit desselben (Abend vom 14ten auf den 15ten Nisan) unverbrüchlich fest: wogegen Jesus dasselbe gerade umge- kehrt, zwar an dem gewöhnlichen Ort, aber zu ungewöhn- licher Zeit, gefeiert haben müſste, was ohne Beispiel ist. Gegen diesen Vorwurf des Unerhörten und Eigenmächtigen hat man die von Jesu angeblich vorgenommene Verlegung dadurch zu schützen gesucht, daſs man ihn mit einer gan- zen Partei seiner Volksgenossen das Pascha früher als die übrigen feiern lieſs. Wie nämlich von der jüdischen Par- tei der Karäer oder Scripturarier bekannt ist, daſs sie von den Rabbaniten oder Traditionariern namentlich auch in der Bestimmung des Neumonds abweichen, indem sie be- haupten, die Art der lezteren, den Neumond nach dem astronomischen Calcul festzusetzen, sei eine Neuerung, wo- gegen sie, der alten, gesezlichen Sitte getreu, denselben nach der empirischen Beobachtung der Phase des Neulichts bestimmen: so sollen schon zu Jesu Zeit die Sadducäer, von welchen die Karäer abstammen sollen, den Neu- mond und mit ihm das von demselben abhängige Oster- fest anders als die Pharisäer bestimmt, und Jesus, als Geg- ner der Tradition und Freund der Schrift, sich hierin an sie angeschlossen haben 9). Allein abgesehen davon, daſs der Zusammenhang der Karäer mit den alten Sadducäern eine bloſse Vermuthung ist, so ist es ja eben der gegrün- dete Vorwurf der Karäer, daſs die Bestimmung des Neu- monds durch den Calcul erst nach der Zerstörung des Tem- pels durch die Römer aufgekommen sei: so daſs also zur 8) Grotius, zu Matth. 26, 18. 9) Iken, Diss. philol. theol. Vol. 2, p. 416 ff.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/428>, abgerufen am 24.11.2024.