Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Kapitel. §. 117.
Niemand mehr im Ernst behaupten wollen. Doch, diess
auch zugegeben, so sagt ja schon 13, 38. Jesus dem Petrus
seine Verleugnung mit der Zeitbestimmung: oume alektor
phonese, voraus, wie er nur bei der lezten Mahlzeit sprechen
konnte, und nicht, wie hier vorausgesezt wird, bei einer
früheren 2).

Dieser Ausweg also muss verlassen, und zugestan-
den werden, dass sämmtliche Evangelisten von der gleichen
Mahlzeit, der lezten, welche Jesus mit seinen Jüngern hielt,
reden wollen. Und hiebei schien die Billigkeit, die man
jedem Autor schuldig ist, und besonders den biblischen
schuldig zu sein glaubte, den Versuch zu erfordern, ob
nicht, ungeachtet sie Einen und denselben Vorgang in meh-
reren Beziehungen äusserst abweichend darstellen, dennoch
beide Theile recht haben könnten. Es müsste sich also,
was die Zeit betrifft, zeigen lassen, entweder, dass auch
die drei ersten Evangelisten wie der vierte nicht ein Pa-
schamahl, oder, dass auch dieser wie jene ein solches ge-
ben wolle. Ein altes Fragment 3) hat die Aufgabe auf
dem ersteren Wege zu lösen versucht, indem es leugnet,
dass Matthäus das lezte Mahl Jesu auf den Abend des
14ten Nisan, als die eigentliche Zeit für das Paschamahl,
und sein Leiden auf den 15ten Nisan, als den ersten Tag
des Paschafestes, setze; allein es ist nicht abzusehen, wie
die ausdrücklichen Hinweisungen auf das Pascha in den
Synoptikern beseitigt werden sollen. Weit allgemeiner ist
daher in neuern Zeiten der Versuch gemacht werden, den
Johannes auf die Seite der übrigen herüberzuziehen 4).
Sein pro tes eortes tou paskha (13, 1.) glaubte man durch
die Beobachtung beseitigen zu können, wie ja an diese

2) Eine ungenügende Auskunft giebt Lightfoot, p. 482 f.
3) Fragm. ex Claudii Apollinaris libro de Paschate, in Chron.
Paschal. ed. du Fresne. Paris 1688. p. 6 f. praef.
4) s. namentlich Tholuck und Olshausen, z. d. Absch.

Zweites Kapitel. §. 117.
Niemand mehr im Ernst behaupten wollen. Doch, dieſs
auch zugegeben, so sagt ja schon 13, 38. Jesus dem Petrus
seine Verleugnung mit der Zeitbestimmung: ουμὴ ἀλέκτωρ
φωνήσῃ, voraus, wie er nur bei der lezten Mahlzeit sprechen
konnte, und nicht, wie hier vorausgesezt wird, bei einer
früheren 2).

Dieser Ausweg also muſs verlassen, und zugestan-
den werden, daſs sämmtliche Evangelisten von der gleichen
Mahlzeit, der lezten, welche Jesus mit seinen Jüngern hielt,
reden wollen. Und hiebei schien die Billigkeit, die man
jedem Autor schuldig ist, und besonders den biblischen
schuldig zu sein glaubte, den Versuch zu erfordern, ob
nicht, ungeachtet sie Einen und denselben Vorgang in meh-
reren Beziehungen äusserst abweichend darstellen, dennoch
beide Theile recht haben könnten. Es müſste sich also,
was die Zeit betrifft, zeigen lassen, entweder, daſs auch
die drei ersten Evangelisten wie der vierte nicht ein Pa-
schamahl, oder, daſs auch dieser wie jene ein solches ge-
ben wolle. Ein altes Fragment 3) hat die Aufgabe auf
dem ersteren Wege zu lösen versucht, indem es leugnet,
daſs Matthäus das lezte Mahl Jesu auf den Abend des
14ten Nisan, als die eigentliche Zeit für das Paschamahl,
und sein Leiden auf den 15ten Nisan, als den ersten Tag
des Paschafestes, setze; allein es ist nicht abzusehen, wie
die ausdrücklichen Hinweisungen auf das Pascha in den
Synoptikern beseitigt werden sollen. Weit allgemeiner ist
daher in neuern Zeiten der Versuch gemacht werden, den
Johannes auf die Seite der übrigen herüberzuziehen 4).
Sein πρὸ τῆς ἑορτῆς τοῦ πάσχα (13, 1.) glaubte man durch
die Beobachtung beseitigen zu können, wie ja an diese

2) Eine ungenügende Auskunft giebt Lightfoot, p. 482 f.
3) Fragm. ex Claudii Apollinaris libro de Paschate, in Chron.
Paschal. ed. du Fresne. Paris 1688. p. 6 f. praef.
4) s. namentlich Tholuck und Olshausen, z. d. Absch.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0424" n="405"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Kapitel</hi>. §. 117.</fw><lb/>
Niemand mehr im Ernst behaupten wollen. Doch, die&#x017F;s<lb/>
auch zugegeben, so sagt ja schon 13, 38. Jesus dem Petrus<lb/>
seine Verleugnung mit der Zeitbestimmung: <foreign xml:lang="ell">&#x03BF;&#x03C5;&#x03BC;&#x1F74; &#x1F00;&#x03BB;&#x03AD;&#x03BA;&#x03C4;&#x03C9;&#x03C1;<lb/>
&#x03C6;&#x03C9;&#x03BD;&#x03AE;&#x03C3;&#x1FC3;</foreign>, voraus, wie er nur bei der lezten Mahlzeit sprechen<lb/>
konnte, und nicht, wie hier vorausgesezt wird, bei einer<lb/>
früheren <note place="foot" n="2)">Eine ungenügende Auskunft giebt <hi rendition="#k">Lightfoot,</hi> p. 482 f.</note>.</p><lb/>
          <p>Dieser Ausweg also mu&#x017F;s verlassen, und zugestan-<lb/>
den werden, da&#x017F;s sämmtliche Evangelisten von der gleichen<lb/>
Mahlzeit, der lezten, welche Jesus mit seinen Jüngern hielt,<lb/>
reden wollen. Und hiebei schien die Billigkeit, die man<lb/>
jedem Autor schuldig ist, und besonders den biblischen<lb/>
schuldig zu sein glaubte, den Versuch zu erfordern, ob<lb/>
nicht, ungeachtet sie Einen und denselben Vorgang in meh-<lb/>
reren Beziehungen äusserst abweichend darstellen, dennoch<lb/>
beide Theile recht haben könnten. Es mü&#x017F;ste sich also,<lb/>
was die Zeit betrifft, zeigen lassen, entweder, da&#x017F;s auch<lb/>
die drei ersten Evangelisten wie der vierte nicht ein Pa-<lb/>
schamahl, oder, da&#x017F;s auch dieser wie jene ein solches ge-<lb/>
ben wolle. Ein altes Fragment <note place="foot" n="3)">Fragm. ex Claudii Apollinaris libro de Paschate, in Chron.<lb/>
Paschal. ed. du Fresne. Paris 1688. p. 6 f. praef.</note> hat die Aufgabe auf<lb/>
dem ersteren Wege zu lösen versucht, indem es leugnet,<lb/>
da&#x017F;s Matthäus das lezte Mahl Jesu auf den Abend des<lb/>
14ten Nisan, als die eigentliche Zeit für das Paschamahl,<lb/>
und sein Leiden auf den 15ten Nisan, als den ersten Tag<lb/>
des Paschafestes, setze; allein es ist nicht abzusehen, wie<lb/>
die ausdrücklichen Hinweisungen auf das Pascha in den<lb/>
Synoptikern beseitigt werden sollen. Weit allgemeiner ist<lb/>
daher in neuern Zeiten der Versuch gemacht werden, den<lb/>
Johannes auf die Seite der übrigen herüberzuziehen <note place="foot" n="4)">s. namentlich <hi rendition="#k">Tholuck</hi> und <hi rendition="#k">Olshausen,</hi> z. d. Absch.</note>.<lb/>
Sein <foreign xml:lang="ell">&#x03C0;&#x03C1;&#x1F78; &#x03C4;&#x1FC6;&#x03C2; &#x1F11;&#x03BF;&#x03C1;&#x03C4;&#x1FC6;&#x03C2; &#x03C4;&#x03BF;&#x03C5;&#x0342; &#x03C0;&#x03AC;&#x03C3;&#x03C7;&#x03B1;</foreign> (13, 1.) glaubte man durch<lb/>
die Beobachtung beseitigen zu können, wie ja an diese<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[405/0424] Zweites Kapitel. §. 117. Niemand mehr im Ernst behaupten wollen. Doch, dieſs auch zugegeben, so sagt ja schon 13, 38. Jesus dem Petrus seine Verleugnung mit der Zeitbestimmung: ουμὴ ἀλέκτωρ φωνήσῃ, voraus, wie er nur bei der lezten Mahlzeit sprechen konnte, und nicht, wie hier vorausgesezt wird, bei einer früheren 2). Dieser Ausweg also muſs verlassen, und zugestan- den werden, daſs sämmtliche Evangelisten von der gleichen Mahlzeit, der lezten, welche Jesus mit seinen Jüngern hielt, reden wollen. Und hiebei schien die Billigkeit, die man jedem Autor schuldig ist, und besonders den biblischen schuldig zu sein glaubte, den Versuch zu erfordern, ob nicht, ungeachtet sie Einen und denselben Vorgang in meh- reren Beziehungen äusserst abweichend darstellen, dennoch beide Theile recht haben könnten. Es müſste sich also, was die Zeit betrifft, zeigen lassen, entweder, daſs auch die drei ersten Evangelisten wie der vierte nicht ein Pa- schamahl, oder, daſs auch dieser wie jene ein solches ge- ben wolle. Ein altes Fragment 3) hat die Aufgabe auf dem ersteren Wege zu lösen versucht, indem es leugnet, daſs Matthäus das lezte Mahl Jesu auf den Abend des 14ten Nisan, als die eigentliche Zeit für das Paschamahl, und sein Leiden auf den 15ten Nisan, als den ersten Tag des Paschafestes, setze; allein es ist nicht abzusehen, wie die ausdrücklichen Hinweisungen auf das Pascha in den Synoptikern beseitigt werden sollen. Weit allgemeiner ist daher in neuern Zeiten der Versuch gemacht werden, den Johannes auf die Seite der übrigen herüberzuziehen 4). Sein πρὸ τῆς ἑορτῆς τοῦ πάσχα (13, 1.) glaubte man durch die Beobachtung beseitigen zu können, wie ja an diese 2) Eine ungenügende Auskunft giebt Lightfoot, p. 482 f. 3) Fragm. ex Claudii Apollinaris libro de Paschate, in Chron. Paschal. ed. du Fresne. Paris 1688. p. 6 f. praef. 4) s. namentlich Tholuck und Olshausen, z. d. Absch.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/424
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/424>, abgerufen am 24.11.2024.