nicht gemeint haben, das hohepriesterliche Amt sei damals jährig gewesen: so kehrt sich dieser Schluss, da das Zu- tageliegen dieser Meinung in den Worten des Evangeliums sicherer ist, als dass dessen Verfasser Johannes gewesen, in den der Probabilien um: da das vierte Evangelium hier eine Vorstellung von der Dauer des Hohenpriesteramtes zeige, die man in Palästina nicht haben konnte, so könne der Verfasser desselben kein Palästinenser gewesen sein 11).
Auch von den weiteren Angaben über die Punkte, durch welche Jesus der Hierarchie seines Volkes anstössig geworden sei, sind nur diejenigen glaublich, welche die Synoptiker allein oder mit Johannes gemein haben: die dem lezteren eigenthümlichen nicht. Von dem Gemein- schaftlichen war der Anstoss an seinem feierlichen Einzug und der starken Anhänglichkeit des Volks an ihn, die sich dabei zeigte, ebenso natürlich, als die Erbitterung über sein Reden und Thun gegen die Sabbatsvorschriften, worin im- mer lezteres bestanden haben mag; dagegen ist die Art, wie dem vierten Evangelium zufolge die Juden an den Äus- serungen Jesu über sich als Sohn Gottes Anstoss genom- men haben sollen, nach einer früheren Auseinandersetzung 12) ebenso undenkbar, als es in der Ordnung ist, dass die Po- lemik gegen den Pharisäismus, welche ihm die drei ersten Evangelien leihen, die Getroffenen verdriessen musste. So ist über die Ursachen und Motive der Reaktion, welche gegen Jesum sich bildete, in der johanneischen Darstellung kein neuer und tieferer Aufschluss zu holen: aber was die Synoptiker bieten, reicht auch vollkommen hin, jene Erscheinung zu begreifen.
§. 114. Jesus und sein Verräther.
Unerachtet im Rathe der Hohenpriester und Ältesten
11) Probabil. a. a. O.
12) 1. Band, §. 59.
Dritter Abschnitt.
nicht gemeint haben, das hohepriesterliche Amt sei damals jährig gewesen: so kehrt sich dieser Schluſs, da das Zu- tageliegen dieser Meinung in den Worten des Evangeliums sicherer ist, als daſs dessen Verfasser Johannes gewesen, in den der Probabilien um: da das vierte Evangelium hier eine Vorstellung von der Dauer des Hohenpriesteramtes zeige, die man in Palästina nicht haben konnte, so könne der Verfasser desselben kein Palästinenser gewesen sein 11).
Auch von den weiteren Angaben über die Punkte, durch welche Jesus der Hierarchie seines Volkes anstöſsig geworden sei, sind nur diejenigen glaublich, welche die Synoptiker allein oder mit Johannes gemein haben: die dem lezteren eigenthümlichen nicht. Von dem Gemein- schaftlichen war der Anstoſs an seinem feierlichen Einzug und der starken Anhänglichkeit des Volks an ihn, die sich dabei zeigte, ebenso natürlich, als die Erbitterung über sein Reden und Thun gegen die Sabbatsvorschriften, worin im- mer lezteres bestanden haben mag; dagegen ist die Art, wie dem vierten Evangelium zufolge die Juden an den Äus- serungen Jesu über sich als Sohn Gottes Anstoſs genom- men haben sollen, nach einer früheren Auseinandersetzung 12) ebenso undenkbar, als es in der Ordnung ist, daſs die Po- lemik gegen den Pharisäismus, welche ihm die drei ersten Evangelien leihen, die Getroffenen verdrieſsen muſste. So ist über die Ursachen und Motive der Reaktion, welche gegen Jesum sich bildete, in der johanneischen Darstellung kein neuer und tieferer Aufschluſs zu holen: aber was die Synoptiker bieten, reicht auch vollkommen hin, jene Erscheinung zu begreifen.
§. 114. Jesus und sein Verräther.
Unerachtet im Rathe der Hohenpriester und Ältesten
11) Probabil. a. a. O.
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Dritter Abschnitt.
nicht gemeint haben, das hohepriesterliche Amt sei damals
jährig gewesen: so kehrt sich dieser Schluſs, da das Zu-
tageliegen dieser Meinung in den Worten des Evangeliums
sicherer ist, als daſs dessen Verfasser Johannes gewesen,
in den der Probabilien um: da das vierte Evangelium hier
eine Vorstellung von der Dauer des Hohenpriesteramtes
zeige, die man in Palästina nicht haben konnte, so könne
der Verfasser desselben kein Palästinenser gewesen sein 11).
Auch von den weiteren Angaben über die Punkte,
durch welche Jesus der Hierarchie seines Volkes anstöſsig
geworden sei, sind nur diejenigen glaublich, welche die
Synoptiker allein oder mit Johannes gemein haben: die
dem lezteren eigenthümlichen nicht. Von dem Gemein-
schaftlichen war der Anstoſs an seinem feierlichen Einzug
und der starken Anhänglichkeit des Volks an ihn, die sich
dabei zeigte, ebenso natürlich, als die Erbitterung über sein
Reden und Thun gegen die Sabbatsvorschriften, worin im-
mer lezteres bestanden haben mag; dagegen ist die Art,
wie dem vierten Evangelium zufolge die Juden an den Äus-
serungen Jesu über sich als Sohn Gottes Anstoſs genom-
men haben sollen, nach einer früheren Auseinandersetzung 12)
ebenso undenkbar, als es in der Ordnung ist, daſs die Po-
lemik gegen den Pharisäismus, welche ihm die drei ersten
Evangelien leihen, die Getroffenen verdrieſsen muſste. So
ist über die Ursachen und Motive der Reaktion, welche
gegen Jesum sich bildete, in der johanneischen Darstellung
kein neuer und tieferer Aufschluſs zu holen: aber was
die Synoptiker bieten, reicht auch vollkommen hin, jene
Erscheinung zu begreifen.
§. 114.
Jesus und sein Verräther.
Unerachtet im Rathe der Hohenpriester und Ältesten
11) Probabil. a. a. O.
12) 1. Band, §. 59.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/399>, abgerufen am 22.12.2024.
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