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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
Näher wird nun aber den drei ersten Evangelisten beson-
ders das zum Vorwurf gemacht, dass sie in der Auferwe-
ckung des Lazarus diejenige Begebenheit übergangen ha-
ben, welche für die lezte Wendung des Schicksals Jesu
entscheidend geworden sei 3). Müssen dagegen wir, mit
Rücksicht auf das obige Resultat unsrer Kritik dieser Wun-
dererzählung, vielmehr die Synoptiker loben, dass sie nicht
eine Begebenheit zum Wendepunkt des Schicksals Jesu
machen, welche gar nicht wirklich vorgefallen ist: so be-
urkundet sich der vierte Evangelist auch durch die Art,
wie er den dadurch veranlassten Mordbeschluss berichtet,
keineswegs als einen solchen, dessen Auktorität uns die
Wahrheit seiner Erzählung verbürgen könnte. Das zwar,
dass er, ohne Zweifel nach einer abergläubischen Zeitvor-
stellung 4), dem Hohenpriester die Gabe der Prophetie zu-
schreibt, und seinen Ausspruch für eine Weissagung auf
den Tod Jesu hält, diess würde für sich noch keineswegs
beweisen, dass er nicht ein Augenzeuge und Apostel könnte
gewesen sein 5).. Das aber ist mit Recht bedenklich gefun-
den worden, dass unser Evangelist den Kaiphas als arkhie-
reus tou eniautou ekeinou bezeichnet (11, 49.), also vorauszu-
setzen scheint, diese Würde sei, wie manche römische Ma-
gistraturen, eine jährige gewesen, da sie doch ursprüng-
lich eine lebenslängliche war, und auch in jener Zeit der
römischen Oberherrschaft nicht regelmässig jährlich, son-
dern so oft es der Willkühr der Römer gefiel, abwechselte.
Auf die Auktorität des vierten Evangeliums hin gegen die
sonstige Sitte und unerachtet des Stillschweigens des Jose-
phus anzunehmen, Hannas und Kaiphas haben vermöge ei-
ner Privatübereinkunft jährlich gewechselt 6), dazu mag

3) Vgl., ausser den angeführten Kritikern, Hug, Einleit. in das
N. T. 2, S. 215.
4) Hierüber am richtigsten Lücke, 2, S. 407 ff.
5) Wie die Probabilien meinen, S. 94.
6) Hug, a. a. O. S. 221.

Dritter Abschnitt.
Näher wird nun aber den drei ersten Evangelisten beson-
ders das zum Vorwurf gemacht, daſs sie in der Auferwe-
ckung des Lazarus diejenige Begebenheit übergangen ha-
ben, welche für die lezte Wendung des Schicksals Jesu
entscheidend geworden sei 3). Müssen dagegen wir, mit
Rücksicht auf das obige Resultat unsrer Kritik dieser Wun-
dererzählung, vielmehr die Synoptiker loben, daſs sie nicht
eine Begebenheit zum Wendepunkt des Schicksals Jesu
machen, welche gar nicht wirklich vorgefallen ist: so be-
urkundet sich der vierte Evangelist auch durch die Art,
wie er den dadurch veranlaſsten Mordbeschluſs berichtet,
keineswegs als einen solchen, dessen Auktorität uns die
Wahrheit seiner Erzählung verbürgen könnte. Das zwar,
daſs er, ohne Zweifel nach einer abergläubischen Zeitvor-
stellung 4), dem Hohenpriester die Gabe der Prophetie zu-
schreibt, und seinen Ausspruch für eine Weissagung auf
den Tod Jesu hält, dieſs würde für sich noch keineswegs
beweisen, daſs er nicht ein Augenzeuge und Apostel könnte
gewesen sein 5).. Das aber ist mit Recht bedenklich gefun-
den worden, daſs unser Evangelist den Kaiphas als ἀρχιε-
ρεὺς τοῦ ἐνιαυτοῦ ἐκείνου bezeichnet (11, 49.), also vorauszu-
setzen scheint, diese Würde sei, wie manche römische Ma-
gistraturen, eine jährige gewesen, da sie doch ursprüng-
lich eine lebenslängliche war, und auch in jener Zeit der
römischen Oberherrschaft nicht regelmäſsig jährlich, son-
dern so oft es der Willkühr der Römer gefiel, abwechselte.
Auf die Auktorität des vierten Evangeliums hin gegen die
sonstige Sitte und unerachtet des Stillschweigens des Jose-
phus anzunehmen, Hannas und Kaiphas haben vermöge ei-
ner Privatübereinkunft jährlich gewechselt 6), dazu mag

3) Vgl., ausser den angeführten Kritikern, Hug, Einleit. in das
N. T. 2, S. 215.
4) Hierüber am richtigsten Lücke, 2, S. 407 ff.
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[378/0397] Dritter Abschnitt. Näher wird nun aber den drei ersten Evangelisten beson- ders das zum Vorwurf gemacht, daſs sie in der Auferwe- ckung des Lazarus diejenige Begebenheit übergangen ha- ben, welche für die lezte Wendung des Schicksals Jesu entscheidend geworden sei 3). Müssen dagegen wir, mit Rücksicht auf das obige Resultat unsrer Kritik dieser Wun- dererzählung, vielmehr die Synoptiker loben, daſs sie nicht eine Begebenheit zum Wendepunkt des Schicksals Jesu machen, welche gar nicht wirklich vorgefallen ist: so be- urkundet sich der vierte Evangelist auch durch die Art, wie er den dadurch veranlaſsten Mordbeschluſs berichtet, keineswegs als einen solchen, dessen Auktorität uns die Wahrheit seiner Erzählung verbürgen könnte. Das zwar, daſs er, ohne Zweifel nach einer abergläubischen Zeitvor- stellung 4), dem Hohenpriester die Gabe der Prophetie zu- schreibt, und seinen Ausspruch für eine Weissagung auf den Tod Jesu hält, dieſs würde für sich noch keineswegs beweisen, daſs er nicht ein Augenzeuge und Apostel könnte gewesen sein 5).. Das aber ist mit Recht bedenklich gefun- den worden, daſs unser Evangelist den Kaiphas als ἀρχιε- ρεὺς τοῦ ἐνιαυτοῦ ἐκείνου bezeichnet (11, 49.), also vorauszu- setzen scheint, diese Würde sei, wie manche römische Ma- gistraturen, eine jährige gewesen, da sie doch ursprüng- lich eine lebenslängliche war, und auch in jener Zeit der römischen Oberherrschaft nicht regelmäſsig jährlich, son- dern so oft es der Willkühr der Römer gefiel, abwechselte. Auf die Auktorität des vierten Evangeliums hin gegen die sonstige Sitte und unerachtet des Stillschweigens des Jose- phus anzunehmen, Hannas und Kaiphas haben vermöge ei- ner Privatübereinkunft jährlich gewechselt 6), dazu mag 3) Vgl., ausser den angeführten Kritikern, Hug, Einleit. in das N. T. 2, S. 215. 4) Hierüber am richtigsten Lücke, 2, S. 407 ff. 5) Wie die Probabilien meinen, S. 94. 6) Hug, a. a. O. S. 221.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/397>, abgerufen am 25.11.2024.