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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
eos erkhomai, ti pros se; (V. 22.) was, wie hinzugesezt
wird, die Christen so verstanden, als sollte Johannes gar
nicht sterben, indem sie das erkhesthai auf die lezte Wie-
derkunft Christi bezogen, bei welcher die sie Erlebenden,
ohne den Tod zu schmecken, verwandelt werden sollten
(1 Kor. 15, 51 f.). Aber, sezt der Verfasser berichtigend
hinzu, Jesus habe nicht gesagt, der Jünger werde nicht
sterben, sondern nur, wenn er wolle, dass er bleibe, bis
er komme, was es den Petrus angehe? Hiedurch kann
der Evangelist zweierlei berichtigen wollen. Entweder
schien es ihm unrichtig, das Bleiben, bis Jesus komme, ge-
radezu mit nicht sterben zu identificiren, d. h. also das
Kommen, von welchem hier Jesus sprach, für das lezte,
welches dem Tod ein Ende machen sollte, zu nehmen, und
dann müsste er sich ein unsichtbares Kommen Christi, et-
wa in der Zerstörung Jerusalems, darunter gedacht haben 24).
Oder hielt er es für irrig, was Jesus nur hypothetisch ge-
sagt hatte: wenn er auch etwa das Angegebene wollte, so
gienge das doch den Petrus nichts an, kategorisch zu fas-
sen, als ob es Jesu wirklicher Wille gewesen wäre, wo-
bei dann das erkhomai seine gewöhnliche Bedeutung be-
hielte 25).

Finden sich hienach allerdings die Grundzüge der Leh-
re von der Parusie auch im vierten Evangelium Jesu in
den Mund gelegt, so finden wir doch nirgends etwas von
der ausführlichen sinnlichen Schilderung des äussern Her-
gangs bei derselben, und der mit ihr zusammenhängenden
Vorgänge, wie wir sie in den synoptischen Evangelien le-
sen. Dieses Verhältniss macht bei der gewöhnlichen An-
sicht von dem Ursprung der Evangelien, namentlich des
vierten, nicht wenig Schwierigkeit. Wenn Jesus wirklich
so ausführlich und feierlich, wie ihn die Synoptiker davon

24) vgl. Tholuck, z. d. St.
25) So Lücke, auch Tholuck, z. d. St. Schott, p. 409.

Dritter Abschnitt.
ἕως ἔρχομαι, τί πρὸς σέ; (V. 22.) was, wie hinzugesezt
wird, die Christen so verstanden, als sollte Johannes gar
nicht sterben, indem sie das ἔρχεσϑαι auf die lezte Wie-
derkunft Christi bezogen, bei welcher die sie Erlebenden,
ohne den Tod zu schmecken, verwandelt werden sollten
(1 Kor. 15, 51 f.). Aber, sezt der Verfasser berichtigend
hinzu, Jesus habe nicht gesagt, der Jünger werde nicht
sterben, sondern nur, wenn er wolle, daſs er bleibe, bis
er komme, was es den Petrus angehe? Hiedurch kann
der Evangelist zweierlei berichtigen wollen. Entweder
schien es ihm unrichtig, das Bleiben, bis Jesus komme, ge-
radezu mit nicht sterben zu identificiren, d. h. also das
Kommen, von welchem hier Jesus sprach, für das lezte,
welches dem Tod ein Ende machen sollte, zu nehmen, und
dann müſste er sich ein unsichtbares Kommen Christi, et-
wa in der Zerstörung Jerusalems, darunter gedacht haben 24).
Oder hielt er es für irrig, was Jesus nur hypothetisch ge-
sagt hatte: wenn er auch etwa das Angegebene wollte, so
gienge das doch den Petrus nichts an, kategorisch zu fas-
sen, als ob es Jesu wirklicher Wille gewesen wäre, wo-
bei dann das ἔρχομαι seine gewöhnliche Bedeutung be-
hielte 25).

Finden sich hienach allerdings die Grundzüge der Leh-
re von der Parusie auch im vierten Evangelium Jesu in
den Mund gelegt, so finden wir doch nirgends etwas von
der ausführlichen sinnlichen Schilderung des äussern Her-
gangs bei derselben, und der mit ihr zusammenhängenden
Vorgänge, wie wir sie in den synoptischen Evangelien le-
sen. Dieses Verhältniſs macht bei der gewöhnlichen An-
sicht von dem Ursprung der Evangelien, namentlich des
vierten, nicht wenig Schwierigkeit. Wenn Jesus wirklich
so ausführlich und feierlich, wie ihn die Synoptiker davon

24) vgl. Tholuck, z. d. St.
25) So Lücke, auch Tholuck, z. d. St. Schott, p. 409.
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[370/0389] Dritter Abschnitt. ἕως ἔρχομαι, τί πρὸς σέ; (V. 22.) was, wie hinzugesezt wird, die Christen so verstanden, als sollte Johannes gar nicht sterben, indem sie das ἔρχεσϑαι auf die lezte Wie- derkunft Christi bezogen, bei welcher die sie Erlebenden, ohne den Tod zu schmecken, verwandelt werden sollten (1 Kor. 15, 51 f.). Aber, sezt der Verfasser berichtigend hinzu, Jesus habe nicht gesagt, der Jünger werde nicht sterben, sondern nur, wenn er wolle, daſs er bleibe, bis er komme, was es den Petrus angehe? Hiedurch kann der Evangelist zweierlei berichtigen wollen. Entweder schien es ihm unrichtig, das Bleiben, bis Jesus komme, ge- radezu mit nicht sterben zu identificiren, d. h. also das Kommen, von welchem hier Jesus sprach, für das lezte, welches dem Tod ein Ende machen sollte, zu nehmen, und dann müſste er sich ein unsichtbares Kommen Christi, et- wa in der Zerstörung Jerusalems, darunter gedacht haben 24). Oder hielt er es für irrig, was Jesus nur hypothetisch ge- sagt hatte: wenn er auch etwa das Angegebene wollte, so gienge das doch den Petrus nichts an, kategorisch zu fas- sen, als ob es Jesu wirklicher Wille gewesen wäre, wo- bei dann das ἔρχομαι seine gewöhnliche Bedeutung be- hielte 25). Finden sich hienach allerdings die Grundzüge der Leh- re von der Parusie auch im vierten Evangelium Jesu in den Mund gelegt, so finden wir doch nirgends etwas von der ausführlichen sinnlichen Schilderung des äussern Her- gangs bei derselben, und der mit ihr zusammenhängenden Vorgänge, wie wir sie in den synoptischen Evangelien le- sen. Dieses Verhältniſs macht bei der gewöhnlichen An- sicht von dem Ursprung der Evangelien, namentlich des vierten, nicht wenig Schwierigkeit. Wenn Jesus wirklich so ausführlich und feierlich, wie ihn die Synoptiker davon 24) vgl. Tholuck, z. d. St. 25) So Lücke, auch Tholuck, z. d. St. Schott, p. 409.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/389>, abgerufen am 22.11.2024.