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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
stimmter als bei Matthäus gehalten ist. Zwar, dass dem
Tempel die Zerstörung bevorstehe, ist bei beiden schon in
der ersten kurzen Antwort Jesu an die Jünger auf's Be-
stimmteste erklärt. Aber im Verlauf der entwickelnden
Rede heisst es nun bei Matthäus bloss, wenn das von Da-
niel vorausgesetzte bdelugma tes eremoseos an heiliger
Stätte stehe, dann solle man schleunige Flucht ergreifen,
denn es trete eine beispiellose thlipsis ein (24, 15--22.).
Ganz anders Lukas: das geheimnissvolle Zeichen aus Da-
niel hat er in die klar ausgesprochene Umzingelung Jeru-
salems durch feindliche Heere verwandelt; die alsdann nö-
thige Flucht durch die bevorstehende eremosis der Stadt
motivirt; die eintretenden Drangsale als Rache über das
jüdische Volk näher bestimmt; diesem blutige Niederlage
und Zerstreuung unter alle Völker, der Stadt Besiznahme
durch die Heiden vorhergesagt (21, 20--24.). Dasselbe
Verhältniss zwischen den beiden Evangelien findet bei der
Wehklage Jesu über Jerusalem statt, deren, in der Form,
wie sie Lukas wiedergiebt, bereits Erwähnung geschehen
ist. Bei Matthäus schliesst das den Reden über die Parusie
unmittelbar vorangehende 23te Kapitel V. 37. mit einer An-
rede an Jerusalem, in welcher Jesus klagt, dass diese
Stadt seine treuen Bemühungen um sie undankbar zurück-
gewiesen habe, wofür ihr nun auch eremosis ihres oikos,
Verödung ihres Heiligthums, bevorstehe. Während den
gleichen Ausspruch Lukas früher, 13, 34 f., stellt, legt
er Jesu, wie er am Schluss seiner lezten Festreise Jeru-
salem erblickt, eine Anrede in den Mund, welche nur als
die bestimmtere Ausführung jenes Ausspruchs erscheinen
kann, indem hier, wie schon oben angegeben, von einem
um Jerusalem aufzuführenden kharax, von perikukloun, sun-
ekhein pantothen, edaphioun, die Rede ist (19, 41 ff.). Da so-
mit Lukas einerseits dasjenige, was in der Weissagung des
Matthäus nicht in Erfüllung gehen zu wollen schien (das
eutheos) beseitigt, andrerseits das Ungenaue derselben in

Dritter Abschnitt.
stimmter als bei Matthäus gehalten ist. Zwar, daſs dem
Tempel die Zerstörung bevorstehe, ist bei beiden schon in
der ersten kurzen Antwort Jesu an die Jünger auf's Be-
stimmteste erklärt. Aber im Verlauf der entwickelnden
Rede heiſst es nun bei Matthäus bloſs, wenn das von Da-
niel vorausgesetzte βδέλυγμα τῆς ἐρημώσεως an heiliger
Stätte stehe, dann solle man schleunige Flucht ergreifen,
denn es trete eine beispiellose ϑλίψις ein (24, 15—22.).
Ganz anders Lukas: das geheimniſsvolle Zeichen aus Da-
niel hat er in die klar ausgesprochene Umzingelung Jeru-
salems durch feindliche Heere verwandelt; die alsdann nö-
thige Flucht durch die bevorstehende ἐρήμωσις der Stadt
motivirt; die eintretenden Drangsale als Rache über das
jüdische Volk näher bestimmt; diesem blutige Niederlage
und Zerstreuung unter alle Völker, der Stadt Besiznahme
durch die Heiden vorhergesagt (21, 20—24.). Dasselbe
Verhältniſs zwischen den beiden Evangelien findet bei der
Wehklage Jesu über Jerusalem statt, deren, in der Form,
wie sie Lukas wiedergiebt, bereits Erwähnung geschehen
ist. Bei Matthäus schlieſst das den Reden über die Parusie
unmittelbar vorangehende 23te Kapitel V. 37. mit einer An-
rede an Jerusalem, in welcher Jesus klagt, daſs diese
Stadt seine treuen Bemühungen um sie undankbar zurück-
gewiesen habe, wofür ihr nun auch ἐρήμωσις ihres οἶκος,
Verödung ihres Heiligthums, bevorstehe. Während den
gleichen Ausspruch Lukas früher, 13, 34 f., stellt, legt
er Jesu, wie er am Schluſs seiner lezten Festreise Jeru-
salem erblickt, eine Anrede in den Mund, welche nur als
die bestimmtere Ausführung jenes Ausspruchs erscheinen
kann, indem hier, wie schon oben angegeben, von einem
um Jerusalem aufzuführenden χάραξ, von περικυκλοῦν, συν-
έχειν πάντοϑεν, ἐδαφιοῦν, die Rede ist (19, 41 ff.). Da so-
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[366/0385] Dritter Abschnitt. stimmter als bei Matthäus gehalten ist. Zwar, daſs dem Tempel die Zerstörung bevorstehe, ist bei beiden schon in der ersten kurzen Antwort Jesu an die Jünger auf's Be- stimmteste erklärt. Aber im Verlauf der entwickelnden Rede heiſst es nun bei Matthäus bloſs, wenn das von Da- niel vorausgesetzte βδέλυγμα τῆς ἐρημώσεως an heiliger Stätte stehe, dann solle man schleunige Flucht ergreifen, denn es trete eine beispiellose ϑλίψις ein (24, 15—22.). Ganz anders Lukas: das geheimniſsvolle Zeichen aus Da- niel hat er in die klar ausgesprochene Umzingelung Jeru- salems durch feindliche Heere verwandelt; die alsdann nö- thige Flucht durch die bevorstehende ἐρήμωσις der Stadt motivirt; die eintretenden Drangsale als Rache über das jüdische Volk näher bestimmt; diesem blutige Niederlage und Zerstreuung unter alle Völker, der Stadt Besiznahme durch die Heiden vorhergesagt (21, 20—24.). Dasselbe Verhältniſs zwischen den beiden Evangelien findet bei der Wehklage Jesu über Jerusalem statt, deren, in der Form, wie sie Lukas wiedergiebt, bereits Erwähnung geschehen ist. Bei Matthäus schlieſst das den Reden über die Parusie unmittelbar vorangehende 23te Kapitel V. 37. mit einer An- rede an Jerusalem, in welcher Jesus klagt, daſs diese Stadt seine treuen Bemühungen um sie undankbar zurück- gewiesen habe, wofür ihr nun auch ἐρήμωσις ihres οἶκος, Verödung ihres Heiligthums, bevorstehe. Während den gleichen Ausspruch Lukas früher, 13, 34 f., stellt, legt er Jesu, wie er am Schluſs seiner lezten Festreise Jeru- salem erblickt, eine Anrede in den Mund, welche nur als die bestimmtere Ausführung jenes Ausspruchs erscheinen kann, indem hier, wie schon oben angegeben, von einem um Jerusalem aufzuführenden χάραξ, von περικυκλοῦν, συν- έχειν πάντοϑεν, ἐδαφιοῦν, die Rede ist (19, 41 ff.). Da so- mit Lukas einerseits dasjenige, was in der Weissagung des Matthäus nicht in Erfüllung gehen zu wollen schien (das εὐϑέως) beseitigt, andrerseits das Ungenaue derselben in

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/385>, abgerufen am 22.11.2024.