zunehmen oder nicht, sondern, was von Christo geschrie- ben stehe, ist die Frage, worein sich dann das Bewusst- sein wird zu schicken suchen müssen so gut es geht; ra- tional die Sache angesehen aber hat ein solches auf Vor- aussetzungen ruhendes Gefühl, wie das sog. christliche Be- wusstsein ist, in wissenschaftlichen Verhandlungen keine Stimme, und ist, so oft es sich in solche mischen will, durch ein einfaches: mulier taceat in ecclesia! zur Ord- nung zu weisen.
Fragt es sich nun, ob wir vielleicht andre Gründe haben, die Weissagungen Matth. 24. 25. parall. Jesu ab- zusprechen, so können wir unsre Untersuchung an die Be- hauptung supranaturalistischer Theologen anknüpfen, was Jesus hier voraussage, habe er nicht auf dem natürlichen Wege verständiger Berechnung, sondern nur auf übernatür- liche Weise vorherwissen können 5). Schon das Allgemei- ne, dass der Tempel zerstört, und Jerusalem verwüstet werden würde, konnte nach dieser Ansicht nicht so sicher vorausgewusst werden. Wer hätte vermuthen können, fragt man, dass die Juden so weit in ihrer Raserei gehen wür- den, dass jener Ausgang herbeigeführt werden musste? wer konnte berechnen, dass gerade solche Kaiser solche Procu- ratoren schicken würden, welche durch Niederträchtigkeit und Schwäche zur Empörung reizten? Noch auffallender ist dann, dass manche einzelne Züge, die Jesus vorhersag- te, wirklich eingetroffen sind. Die Kriege, Seuchen, Erd- beben, Hungersnöthen, welche er prophezeihte, lassen sich in der folgenden Geschichte wirklich nachweisen; die Verfolgungen seiner Anhänger sind ohnehin eingetreten; die Voraussagung von falschen Propheten, und zwar na- mentlich von solchen, die durch Versprechen von Wun- derzeichen das Volk in die Wüste locken würden (Matth. 24, 11. 24 ff. parall.), lässt sich mit einer auffallend ähnli-
5) s. z. B. Gratz, Comm. z. Matth. 2, 444 ff.
Dritter Abschnitt.
zunehmen oder nicht, sondern, was von Christo geschrie- ben stehe, ist die Frage, worein sich dann das Bewuſst- sein wird zu schicken suchen müssen so gut es geht; ra- tional die Sache angesehen aber hat ein solches auf Vor- aussetzungen ruhendes Gefühl, wie das sog. christliche Be- wuſstsein ist, in wissenschaftlichen Verhandlungen keine Stimme, und ist, so oft es sich in solche mischen will, durch ein einfaches: mulier taceat in ecclesia! zur Ord- nung zu weisen.
Fragt es sich nun, ob wir vielleicht andre Gründe haben, die Weissagungen Matth. 24. 25. parall. Jesu ab- zusprechen, so können wir unsre Untersuchung an die Be- hauptung supranaturalistischer Theologen anknüpfen, was Jesus hier voraussage, habe er nicht auf dem natürlichen Wege verständiger Berechnung, sondern nur auf übernatür- liche Weise vorherwissen können 5). Schon das Allgemei- ne, daſs der Tempel zerstört, und Jerusalem verwüstet werden würde, konnte nach dieser Ansicht nicht so sicher vorausgewuſst werden. Wer hätte vermuthen können, fragt man, daſs die Juden so weit in ihrer Raserei gehen wür- den, daſs jener Ausgang herbeigeführt werden muſste? wer konnte berechnen, daſs gerade solche Kaiser solche Procu- ratoren schicken würden, welche durch Niederträchtigkeit und Schwäche zur Empörung reizten? Noch auffallender ist dann, daſs manche einzelne Züge, die Jesus vorhersag- te, wirklich eingetroffen sind. Die Kriege, Seuchen, Erd- beben, Hungersnöthen, welche er prophezeihte, lassen sich in der folgenden Geschichte wirklich nachweisen; die Verfolgungen seiner Anhänger sind ohnehin eingetreten; die Voraussagung von falschen Propheten, und zwar na- mentlich von solchen, die durch Versprechen von Wun- derzeichen das Volk in die Wüste locken würden (Matth. 24, 11. 24 ff. parall.), läſst sich mit einer auffallend ähnli-
5) s. z. B. Gratz, Comm. z. Matth. 2, 444 ff.
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Dritter Abschnitt.
zunehmen oder nicht, sondern, was von Christo geschrie-
ben stehe, ist die Frage, worein sich dann das Bewuſst-
sein wird zu schicken suchen müssen so gut es geht; ra-
tional die Sache angesehen aber hat ein solches auf Vor-
aussetzungen ruhendes Gefühl, wie das sog. christliche Be-
wuſstsein ist, in wissenschaftlichen Verhandlungen keine
Stimme, und ist, so oft es sich in solche mischen will,
durch ein einfaches: mulier taceat in ecclesia! zur Ord-
nung zu weisen.
Fragt es sich nun, ob wir vielleicht andre Gründe
haben, die Weissagungen Matth. 24. 25. parall. Jesu ab-
zusprechen, so können wir unsre Untersuchung an die Be-
hauptung supranaturalistischer Theologen anknüpfen, was
Jesus hier voraussage, habe er nicht auf dem natürlichen
Wege verständiger Berechnung, sondern nur auf übernatür-
liche Weise vorherwissen können 5). Schon das Allgemei-
ne, daſs der Tempel zerstört, und Jerusalem verwüstet
werden würde, konnte nach dieser Ansicht nicht so sicher
vorausgewuſst werden. Wer hätte vermuthen können, fragt
man, daſs die Juden so weit in ihrer Raserei gehen wür-
den, daſs jener Ausgang herbeigeführt werden muſste? wer
konnte berechnen, daſs gerade solche Kaiser solche Procu-
ratoren schicken würden, welche durch Niederträchtigkeit
und Schwäche zur Empörung reizten? Noch auffallender
ist dann, daſs manche einzelne Züge, die Jesus vorhersag-
te, wirklich eingetroffen sind. Die Kriege, Seuchen, Erd-
beben, Hungersnöthen, welche er prophezeihte, lassen sich
in der folgenden Geschichte wirklich nachweisen; die
Verfolgungen seiner Anhänger sind ohnehin eingetreten;
die Voraussagung von falschen Propheten, und zwar na-
mentlich von solchen, die durch Versprechen von Wun-
derzeichen das Volk in die Wüste locken würden (Matth.
24, 11. 24 ff. parall.), läſst sich mit einer auffallend ähnli-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/377>, abgerufen am 22.11.2024.
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