genem spreche, und ihn von lauter noch immer Zukünfti- gem reden zu lassen; oder zu leugnen, dass ein Theil sei- ner Rede etwas noch jezt Zukünftiges betreffe, somit die ganze Voraussagung auf etwas bereits hinter uns Liegen- des zu beziehen; oder endlich zwar zuzugeben, dass der Vortrag Jesu theils auf Solches, was uns schon ein Ver- gangenes, theils auf Solches, was uns noch ein Zukünf- tiges ist, sich beziehe, aber zu leugnen, dass er zwischen beidem eine unmittelbare Zeitfolge behauptet habe.
In der urchristlichen Erwartung der Wiederkunft Christi noch lebend, und zugleich in geregelter Exegese nicht so geübt, um über einige Härten einer sonst erwünschten Er- klärung nicht hinwegsehen zu können, bezogen einige Kir- chenväter, wie Irenäus und Hilarius 3), den ganzen Ab- schnitt von seinem Anfang Matth. 24, bis zu seinem Ende Kap. 25, auf die noch bevorstehende Wiederkunft Christi zum Gericht. Allein, indem diese Auslegungsweise so- gleich einräumt, von vorne herein habe Jesus als Typus dieser lezten Katastrophe die Zerstörung Jerusalems ge- braucht: so giebt sie damit sich selbst wieder auf, denn was heisst jenes Zugeständniss anders, als dass der Anfang der fraglichen Reden zunächst den Eindruck mache, wie wenn von der Zerstörung Jerusalems, also etwas bereits Vergangenem, die Rede wäre, und dass nur eine weitere Reflexion und Combination demselben eine Beziehung auf etwas noch in der Zukunft Liegendes geben könne?
Der neuere Rationalismus, welchem in seinen natura- listischen Anfängen jede Hoffnung auf die Wiederkunft Christi zu Nichte geworden war, und welcher, um das ihm Missfällige aus der Schrift wegzubringen, jede exege- tische Gewaltthat sich erlaubte, warf sich desswegen auf
3) Jener adv. haeres. 5, 25; dieser Comm. in Matth. z. d. St. Vergl. über die verschiedenen Auslegungen dieses Abschnitts das Verzeichniss bei Schott, Commentarius in eos J. Chr. sermones, qui de reditu ejus ad judicium -- agunt, p. 73 ff.
Dritter Abschnitt.
genem spreche, und ihn von lauter noch immer Zukünfti- gem reden zu lassen; oder zu leugnen, daſs ein Theil sei- ner Rede etwas noch jezt Zukünftiges betreffe, somit die ganze Voraussagung auf etwas bereits hinter uns Liegen- des zu beziehen; oder endlich zwar zuzugeben, daſs der Vortrag Jesu theils auf Solches, was uns schon ein Ver- gangenes, theils auf Solches, was uns noch ein Zukünf- tiges ist, sich beziehe, aber zu leugnen, daſs er zwischen beidem eine unmittelbare Zeitfolge behauptet habe.
In der urchristlichen Erwartung der Wiederkunft Christi noch lebend, und zugleich in geregelter Exegese nicht so geübt, um über einige Härten einer sonst erwünschten Er- klärung nicht hinwegsehen zu können, bezogen einige Kir- chenväter, wie Irenäus und Hilarius 3), den ganzen Ab- schnitt von seinem Anfang Matth. 24, bis zu seinem Ende Kap. 25, auf die noch bevorstehende Wiederkunft Christi zum Gericht. Allein, indem diese Auslegungsweise so- gleich einräumt, von vorne herein habe Jesus als Typus dieser lezten Katastrophe die Zerstörung Jerusalems ge- braucht: so giebt sie damit sich selbst wieder auf, denn was heiſst jenes Zugeständniſs anders, als daſs der Anfang der fraglichen Reden zunächst den Eindruck mache, wie wenn von der Zerstörung Jerusalems, also etwas bereits Vergangenem, die Rede wäre, und daſs nur eine weitere Reflexion und Combination demselben eine Beziehung auf etwas noch in der Zukunft Liegendes geben könne?
Der neuere Rationalismus, welchem in seinen natura- listischen Anfängen jede Hoffnung auf die Wiederkunft Christi zu Nichte geworden war, und welcher, um das ihm Miſsfällige aus der Schrift wegzubringen, jede exege- tische Gewaltthat sich erlaubte, warf sich deſswegen auf
3) Jener adv. haeres. 5, 25; dieser Comm. in Matth. z. d. St. Vergl. über die verschiedenen Auslegungen dieses Abschnitts das Verzeichniss bei Schott, Commentarius in eos J. Chr. sermones, qui de reditu ejus ad judicium — agunt, p. 73 ff.
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Dritter Abschnitt.
genem spreche, und ihn von lauter noch immer Zukünfti-
gem reden zu lassen; oder zu leugnen, daſs ein Theil sei-
ner Rede etwas noch jezt Zukünftiges betreffe, somit die
ganze Voraussagung auf etwas bereits hinter uns Liegen-
des zu beziehen; oder endlich zwar zuzugeben, daſs der
Vortrag Jesu theils auf Solches, was uns schon ein Ver-
gangenes, theils auf Solches, was uns noch ein Zukünf-
tiges ist, sich beziehe, aber zu leugnen, daſs er zwischen
beidem eine unmittelbare Zeitfolge behauptet habe.
In der urchristlichen Erwartung der Wiederkunft Christi
noch lebend, und zugleich in geregelter Exegese nicht so
geübt, um über einige Härten einer sonst erwünschten Er-
klärung nicht hinwegsehen zu können, bezogen einige Kir-
chenväter, wie Irenäus und Hilarius 3), den ganzen Ab-
schnitt von seinem Anfang Matth. 24, bis zu seinem Ende
Kap. 25, auf die noch bevorstehende Wiederkunft Christi
zum Gericht. Allein, indem diese Auslegungsweise so-
gleich einräumt, von vorne herein habe Jesus als Typus
dieser lezten Katastrophe die Zerstörung Jerusalems ge-
braucht: so giebt sie damit sich selbst wieder auf, denn
was heiſst jenes Zugeständniſs anders, als daſs der Anfang
der fraglichen Reden zunächst den Eindruck mache, wie
wenn von der Zerstörung Jerusalems, also etwas bereits
Vergangenem, die Rede wäre, und daſs nur eine weitere
Reflexion und Combination demselben eine Beziehung auf
etwas noch in der Zukunft Liegendes geben könne?
Der neuere Rationalismus, welchem in seinen natura-
listischen Anfängen jede Hoffnung auf die Wiederkunft
Christi zu Nichte geworden war, und welcher, um das
ihm Miſsfällige aus der Schrift wegzubringen, jede exege-
tische Gewaltthat sich erlaubte, warf sich deſswegen auf
3) Jener adv. haeres. 5, 25; dieser Comm. in Matth. z. d. St.
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sermones, qui de reditu ejus ad judicium — agunt, p. 73 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/365>, abgerufen am 25.11.2024.
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