die Jünger eine nuzlose Spielerei gewesen, und überhaupt ist ein Doppelsinn dieser Art in der Rede eines verständi- gen Menschen unerhört. Da man auf diese Weise an der Erklärbarkeit der johanneischen Stelle ganz verzweifeln möchte, so beruft sich der Verfasser der Probabilien dar- auf, dass die Synoptiker die Zeugen, welche vor Gericht behaupteten, Jesus habe jenen Ausspruch gethan, als pseu- domarturas bezeichnen, woraus er folgert, dass Jesus so etwas, wie Johannes ihn hier sprechen lasse, gar nicht gesagt habe, und sich somit einer Erklärung der johannei- schen Stelle überhebt, indem er sie als ein Figment des vierten Evangelisten betrachtet, welcher die Verläumdung jener Ankläger sowohl erklären, als durch eine mystische Deutung der Worte Jesu habe abwenden wollen 7). Al- lein theils folgt aus der synoptischen Bezeichnung jener Zeugen als falscher nicht, dass der Ansicht jener Evange- listen zufolge Jesus gar nichts von dem, wessen sie ihn beschuldigten, gesagt habe, da er es ja auch nur etwas an- ders gesagt oder anders gemeint haben kann, theils ist, wenn er gar nichts der Art gesagt haben soll, schwer zu erklären, wie die falschen Zeugen auf jene Aussage, und namentlich auf das sonderbare en trisin emerais gekommen sein sollen.
Wenn hienach bei jeder Deutung des Ausspruchs, aus- ser bei der unmöglichen auf den Leib Jesu, das en trisin emerais einen Anstoss bildet: so werden wir, wie es scheint, auf diejenige Relation des Ausspruchs hingewiesen, in wel- cher jene Zeitbestimmung fehlt, d. h. auf die Relation der Apostelgeschichte. Hier wird Stephanus nur beschuldigt, gesagt zu haben, oti I. o Naz. outos katalusei ton topon touton (ton agion), kai allaxei ta ethe a paredoke Mouses. Das Falsche an dieser Aussage -- denn auch die Zeugen gegen Stephanus werden als martures pseudeis bezeichnet --
7) Probabil. p. 23 ff.
Erstes Kapitel. §. 110.
die Jünger eine nuzlose Spielerei gewesen, und überhaupt ist ein Doppelsinn dieser Art in der Rede eines verständi- gen Menschen unerhört. Da man auf diese Weise an der Erklärbarkeit der johanneischen Stelle ganz verzweifeln möchte, so beruft sich der Verfasser der Probabilien dar- auf, daſs die Synoptiker die Zeugen, welche vor Gericht behaupteten, Jesus habe jenen Ausspruch gethan, als ψευ- δομάρτυρας bezeichnen, woraus er folgert, daſs Jesus so etwas, wie Johannes ihn hier sprechen lasse, gar nicht gesagt habe, und sich somit einer Erklärung der johannei- schen Stelle überhebt, indem er sie als ein Figment des vierten Evangelisten betrachtet, welcher die Verläumdung jener Ankläger sowohl erklären, als durch eine mystische Deutung der Worte Jesu habe abwenden wollen 7). Al- lein theils folgt aus der synoptischen Bezeichnung jener Zeugen als falscher nicht, daſs der Ansicht jener Evange- listen zufolge Jesus gar nichts von dem, wessen sie ihn beschuldigten, gesagt habe, da er es ja auch nur etwas an- ders gesagt oder anders gemeint haben kann, theils ist, wenn er gar nichts der Art gesagt haben soll, schwer zu erklären, wie die falschen Zeugen auf jene Aussage, und namentlich auf das sonderbare ἐν τρισὶν ἡμέραις gekommen sein sollen.
Wenn hienach bei jeder Deutung des Ausspruchs, aus- ser bei der unmöglichen auf den Leib Jesu, das ἐν τρισὶν ἡμέραις einen Anstoſs bildet: so werden wir, wie es scheint, auf diejenige Relation des Ausspruchs hingewiesen, in wel- cher jene Zeitbestimmung fehlt, d. h. auf die Relation der Apostelgeschichte. Hier wird Stephanus nur beschuldigt, gesagt zu haben, ὅτι Ἰ. ὁ Ναζ. οὖτος καταλύσει τὸν τόπον τοῦτον (τὸν ἅγιον), καὶ ἀλλάξει τὰ ἔϑη ἃ παρέδωκε Μωϋσῆς. Das Falsche an dieser Aussage — denn auch die Zeugen gegen Stephanus werden als μάρτυρες ψευδεῖς bezeichnet —
7) Probabil. p. 23 ff.
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Erstes Kapitel. §. 110.
die Jünger eine nuzlose Spielerei gewesen, und überhaupt
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gen Menschen unerhört. Da man auf diese Weise an der
Erklärbarkeit der johanneischen Stelle ganz verzweifeln
möchte, so beruft sich der Verfasser der Probabilien dar-
auf, daſs die Synoptiker die Zeugen, welche vor Gericht
behaupteten, Jesus habe jenen Ausspruch gethan, als ψευ-
δομάρτυρας bezeichnen, woraus er folgert, daſs Jesus so
etwas, wie Johannes ihn hier sprechen lasse, gar nicht
gesagt habe, und sich somit einer Erklärung der johannei-
schen Stelle überhebt, indem er sie als ein Figment des
vierten Evangelisten betrachtet, welcher die Verläumdung
jener Ankläger sowohl erklären, als durch eine mystische
Deutung der Worte Jesu habe abwenden wollen 7). Al-
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Zeugen als falscher nicht, daſs der Ansicht jener Evange-
listen zufolge Jesus gar nichts von dem, wessen sie ihn
beschuldigten, gesagt habe, da er es ja auch nur etwas an-
ders gesagt oder anders gemeint haben kann, theils ist,
wenn er gar nichts der Art gesagt haben soll, schwer zu
erklären, wie die falschen Zeugen auf jene Aussage, und
namentlich auf das sonderbare ἐν τρισὶν ἡμέραις gekommen
sein sollen.
Wenn hienach bei jeder Deutung des Ausspruchs, aus-
ser bei der unmöglichen auf den Leib Jesu, das ἐν τρισὶν
ἡμέραις einen Anstoſs bildet: so werden wir, wie es scheint,
auf diejenige Relation des Ausspruchs hingewiesen, in wel-
cher jene Zeitbestimmung fehlt, d. h. auf die Relation der
Apostelgeschichte. Hier wird Stephanus nur beschuldigt,
gesagt zu haben, ὅτι Ἰ. ὁ Ναζ. οὖτος καταλύσει τὸν τόπον
τοῦτον (τὸν ἅγιον), καὶ ἀλλάξει τὰ ἔϑη ἃ παρέδωκε Μωϋσῆς.
Das Falsche an dieser Aussage — denn auch die Zeugen
gegen Stephanus werden als μάρτυρες ψευδεῖς bezeichnet —
7) Probabil. p. 23 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/352>, abgerufen am 16.02.2025.
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