Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Kapitel. §. 109.
9, 10.); und gemäss diesem Nichtverstehen zeigen sie so-
fort nach dem Tode Jesu keine Spur einer Erinnerung,
dass ihnen ein auf das Sterben folgendes Auferstehen Je-
su vorhergesagt war, keinen Funken von Hoffnung, dass
diese Zusage in Erfüllung gehen werde. Als die Freunde
den vom Kreuz abgenommenen Leichnam in das Grab
gelegt hatten, nahmen sie (Joh. 19, 40.) -- oder behielten
sich die Frauen (Marc. 16, 1. Luc. 23, 56.) -- die Einbal-
samirung vor, was man doch nur bei einem solchen thut,
welchen man als eine Beute der Verwesung betrachtet;
als an dem Morgen, welcher nach N. T.licher Rechnung den
vorausbestimmten Auferstehungstag eröffnete, die Frauen
zum Grabe giengen, dachten sie so wenig an eine vorher-
gesagte Auferstehung, dass ihnen die vermuthliche Schwie-
rigkeit, den Stein vom Grab zu wälzen, Besorgniss mach-
te (Marc. 16, 3.); als Maria Magdalena und später Petrus
das Grab leer fanden, hätte ihr erster Gedanke sein müs-
sen, dass nun die Auferstehung wirklich erfolgt sei, wenn
eine solche vorausgesagt war: statt dessen vermuthet jene,
der Leichnam möchte gestohlen sein (Joh. 20, 2.), Petrus
aber verwundert sich bloss, ohne auf eine bestimmte Ver-
muthung zu kommen (Luc. 24, 12.); als die Weiber den
Jüngern von der gehabten Engelerscheinung sagten, und
sich des Auftrags der Engel entledigten, hielten die Jün-
ger ihre Aussage theils für leeres Geschwäz (leros Luc.
24, 11.), theils wurden sie zu schreckenvollem Erstaunen
erregt (exesesan emas, Luc. 24, 21 ff.); als Maria Magda-
lena, und hernach die Emmauntischen Jünger, die Eilfe
versicherten, den Auferstandenen selbst gesehen zu haben,
schenkten sie auch dieser Aussage keinen Glauben (Marc.
16, 11. 13.), wie später Thomas sogar der Versicherung
seiner Mitapostel nicht (Joh. 20, 25.); endlich, als Jesus
selbst in Galiläa den Jüngern erschien, gaben noch nicht
alle den Zweifel auf (oi de edisasan, Marc. 28, 17.). Diess
Alles muss man wohl mit dem Wolfenbüttler Fragmenti-

Erstes Kapitel. §. 109.
9, 10.); und gemäſs diesem Nichtverstehen zeigen sie so-
fort nach dem Tode Jesu keine Spur einer Erinnerung,
daſs ihnen ein auf das Sterben folgendes Auferstehen Je-
su vorhergesagt war, keinen Funken von Hoffnung, daſs
diese Zusage in Erfüllung gehen werde. Als die Freunde
den vom Kreuz abgenommenen Leichnam in das Grab
gelegt hatten, nahmen sie (Joh. 19, 40.) — oder behielten
sich die Frauen (Marc. 16, 1. Luc. 23, 56.) — die Einbal-
samirung vor, was man doch nur bei einem solchen thut,
welchen man als eine Beute der Verwesung betrachtet;
als an dem Morgen, welcher nach N. T.licher Rechnung den
vorausbestimmten Auferstehungstag eröffnete, die Frauen
zum Grabe giengen, dachten sie so wenig an eine vorher-
gesagte Auferstehung, daſs ihnen die vermuthliche Schwie-
rigkeit, den Stein vom Grab zu wälzen, Besorgniſs mach-
te (Marc. 16, 3.); als Maria Magdalena und später Petrus
das Grab leer fanden, hätte ihr erster Gedanke sein müs-
sen, daſs nun die Auferstehung wirklich erfolgt sei, wenn
eine solche vorausgesagt war: statt dessen vermuthet jene,
der Leichnam möchte gestohlen sein (Joh. 20, 2.), Petrus
aber verwundert sich bloſs, ohne auf eine bestimmte Ver-
muthung zu kommen (Luc. 24, 12.); als die Weiber den
Jüngern von der gehabten Engelerscheinung sagten, und
sich des Auftrags der Engel entledigten, hielten die Jün-
ger ihre Aussage theils für leeres Geschwäz (λῆρος Luc.
24, 11.), theils wurden sie zu schreckenvollem Erstaunen
erregt (ἐξέςησαν ἡμᾶς, Luc. 24, 21 ff.); als Maria Magda-
lena, und hernach die Emmauntischen Jünger, die Eilfe
versicherten, den Auferstandenen selbst gesehen zu haben,
schenkten sie auch dieser Aussage keinen Glauben (Marc.
16, 11. 13.), wie später Thomas sogar der Versicherung
seiner Mitapostel nicht (Joh. 20, 25.); endlich, als Jesus
selbst in Galiläa den Jüngern erschien, gaben noch nicht
alle den Zweifel auf (οἱ δὲ ἐδίςασαν, Marc. 28, 17.). Dieſs
Alles muſs man wohl mit dem Wolfenbüttler Fragmenti-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0344" n="325"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erstes Kapitel</hi>. §. 109.</fw><lb/>
9, 10.); und gemä&#x017F;s diesem Nichtverstehen zeigen sie so-<lb/>
fort nach dem Tode Jesu keine Spur einer Erinnerung,<lb/>
da&#x017F;s ihnen ein auf das Sterben folgendes Auferstehen Je-<lb/>
su vorhergesagt war, keinen Funken von Hoffnung, da&#x017F;s<lb/>
diese Zusage in Erfüllung gehen werde. Als die Freunde<lb/>
den vom Kreuz abgenommenen Leichnam in das Grab<lb/>
gelegt hatten, nahmen sie (Joh. 19, 40.) &#x2014; oder behielten<lb/>
sich die Frauen (Marc. 16, 1. Luc. 23, 56.) &#x2014; die Einbal-<lb/>
samirung vor, was man doch nur bei einem solchen thut,<lb/>
welchen man als eine Beute der Verwesung betrachtet;<lb/>
als an dem Morgen, welcher nach N. T.licher Rechnung den<lb/>
vorausbestimmten Auferstehungstag eröffnete, die Frauen<lb/>
zum Grabe giengen, dachten sie so wenig an eine vorher-<lb/>
gesagte Auferstehung, da&#x017F;s ihnen die vermuthliche Schwie-<lb/>
rigkeit, den Stein vom Grab zu wälzen, Besorgni&#x017F;s mach-<lb/>
te (Marc. 16, 3.); als Maria Magdalena und später Petrus<lb/>
das Grab leer fanden, hätte ihr erster Gedanke sein müs-<lb/>
sen, da&#x017F;s nun die Auferstehung wirklich erfolgt sei, wenn<lb/>
eine solche vorausgesagt war: statt dessen vermuthet jene,<lb/>
der Leichnam möchte gestohlen sein (Joh. 20, 2.), Petrus<lb/>
aber verwundert sich blo&#x017F;s, ohne auf eine bestimmte Ver-<lb/>
muthung zu kommen (Luc. 24, 12.); als die Weiber den<lb/>
Jüngern von der gehabten Engelerscheinung sagten, und<lb/>
sich des Auftrags der Engel entledigten, hielten die Jün-<lb/>
ger ihre Aussage theils für leeres Geschwäz (&#x03BB;&#x1FC6;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C2; Luc.<lb/>
24, 11.), theils wurden sie zu schreckenvollem Erstaunen<lb/>
erregt (<foreign xml:lang="ell">&#x1F10;&#x03BE;&#x03AD;&#x03C2;&#x03B7;&#x03C3;&#x03B1;&#x03BD; &#x1F21;&#x03BC;&#x1FB6;&#x03C2;</foreign>, Luc. 24, 21 ff.); als Maria Magda-<lb/>
lena, und hernach die Emmauntischen Jünger, die Eilfe<lb/>
versicherten, den Auferstandenen selbst gesehen zu haben,<lb/>
schenkten sie auch dieser Aussage keinen Glauben (Marc.<lb/>
16, 11. 13.), wie später Thomas sogar der Versicherung<lb/>
seiner Mitapostel nicht (Joh. 20, 25.); endlich, als Jesus<lb/>
selbst in Galiläa den Jüngern erschien, gaben noch nicht<lb/>
alle den Zweifel auf (<foreign xml:lang="ell">&#x03BF;&#x1F31; &#x03B4;&#x1F72; &#x1F10;&#x03B4;&#x03AF;&#x03C2;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B1;&#x03BD;</foreign>, Marc. 28, 17.). Die&#x017F;s<lb/>
Alles mu&#x017F;s man wohl mit dem Wolfenbüttler Fragmenti-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0344] Erstes Kapitel. §. 109. 9, 10.); und gemäſs diesem Nichtverstehen zeigen sie so- fort nach dem Tode Jesu keine Spur einer Erinnerung, daſs ihnen ein auf das Sterben folgendes Auferstehen Je- su vorhergesagt war, keinen Funken von Hoffnung, daſs diese Zusage in Erfüllung gehen werde. Als die Freunde den vom Kreuz abgenommenen Leichnam in das Grab gelegt hatten, nahmen sie (Joh. 19, 40.) — oder behielten sich die Frauen (Marc. 16, 1. Luc. 23, 56.) — die Einbal- samirung vor, was man doch nur bei einem solchen thut, welchen man als eine Beute der Verwesung betrachtet; als an dem Morgen, welcher nach N. T.licher Rechnung den vorausbestimmten Auferstehungstag eröffnete, die Frauen zum Grabe giengen, dachten sie so wenig an eine vorher- gesagte Auferstehung, daſs ihnen die vermuthliche Schwie- rigkeit, den Stein vom Grab zu wälzen, Besorgniſs mach- te (Marc. 16, 3.); als Maria Magdalena und später Petrus das Grab leer fanden, hätte ihr erster Gedanke sein müs- sen, daſs nun die Auferstehung wirklich erfolgt sei, wenn eine solche vorausgesagt war: statt dessen vermuthet jene, der Leichnam möchte gestohlen sein (Joh. 20, 2.), Petrus aber verwundert sich bloſs, ohne auf eine bestimmte Ver- muthung zu kommen (Luc. 24, 12.); als die Weiber den Jüngern von der gehabten Engelerscheinung sagten, und sich des Auftrags der Engel entledigten, hielten die Jün- ger ihre Aussage theils für leeres Geschwäz (λῆρος Luc. 24, 11.), theils wurden sie zu schreckenvollem Erstaunen erregt (ἐξέςησαν ἡμᾶς, Luc. 24, 21 ff.); als Maria Magda- lena, und hernach die Emmauntischen Jünger, die Eilfe versicherten, den Auferstandenen selbst gesehen zu haben, schenkten sie auch dieser Aussage keinen Glauben (Marc. 16, 11. 13.), wie später Thomas sogar der Versicherung seiner Mitapostel nicht (Joh. 20, 25.); endlich, als Jesus selbst in Galiläa den Jüngern erschien, gaben noch nicht alle den Zweifel auf (οἱ δὲ ἐδίςασαν, Marc. 28, 17.). Dieſs Alles muſs man wohl mit dem Wolfenbüttler Fragmenti-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/344
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/344>, abgerufen am 27.11.2024.