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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
nachdem sie der Tod Jesu unerwartet getroffen, aus dem
Erfolg das Merkmal des Leidens und Sterbens in ihren
Messiasbegriff aufgenommen zu haben 3). Allerdings müs-
sen wir hier das Dilemma stellen: entweder sind die An-
gaben der Evangelisten von dem Nichtverstehen der Jün-
ger und ihrer Uberraschung bei'm Tode Jesu unhistorisch
übertrieben, oder sind die bestimmten Aussprüche Jesu
über den ihm bevorstehenden Tod ex eventu gemacht, und
er kann nicht einmal im Allgemeinen seinen Tod als zu
seinem messianischen Schicksal gehörig vorhergesagt haben.
In beiden Hinsichten konnte die Sage zu unhistorischen
Darstellungen veranlasst sein: zur Erdichtung einer Vor-
aussage seines Todes im Allgemeinen durch dieselben Grün-
de, welche oben als Motive geltend gemacht worden sind,
ihm die Vorherverkündigung der einzelnen Züge seines
Leidens in den Mund zu legen; zur Fiktion eines so völ-
ligen Unverstandes von Seiten der Jünger aber konnte man
sich theils durch die Neigung veranlasst sehen, die Tiefe
des von Jesu eröffneten Mysteriums von einem leidenden
Messias mittelst des Nichtverstehens der Jünger zu heben,
theils dadurch, dass man in der evangelischen Verkündi-
gung die Jünger vor der Ausgiessung des Geistes den zu
bekehrenden Juden und Heiden verähnlichte, welche Al-
les eher, als den Tod des Messias, begreifen konnten.

Um dieses Dilemma einer Entscheidung entgegenzufüh-
ren, müssen wir zuvörderst die damaligen Zeitvorstellun-
gen über den Messias darauf ansehen, ob wohl das Merk-
mal des Leidens und Sterbens schon vor und unabhängig
von Jesu Tod in denselben enthalten war oder nicht. War
es schon zu Lebzeiten Jesu jüdische Vorstellung, dass der
Messias eines gewaltsamen Todes sterben müsse: so hat
es alle Wahrscheinlichkeit, dass auch Jesus diese Vorstel-
lung in seine Überzeugung aufgenommen und seinen Jün-

3) Vom Zweck Jesu und seiner Jünger, S. 114 ff. 153 f.

Dritter Abschnitt.
nachdem sie der Tod Jesu unerwartet getroffen, aus dem
Erfolg das Merkmal des Leidens und Sterbens in ihren
Messiasbegriff aufgenommen zu haben 3). Allerdings müs-
sen wir hier das Dilemma stellen: entweder sind die An-
gaben der Evangelisten von dem Nichtverstehen der Jün-
ger und ihrer Uberraschung bei'm Tode Jesu unhistorisch
übertrieben, oder sind die bestimmten Aussprüche Jesu
über den ihm bevorstehenden Tod ex eventu gemacht, und
er kann nicht einmal im Allgemeinen seinen Tod als zu
seinem messianischen Schicksal gehörig vorhergesagt haben.
In beiden Hinsichten konnte die Sage zu unhistorischen
Darstellungen veranlaſst sein: zur Erdichtung einer Vor-
aussage seines Todes im Allgemeinen durch dieselben Grün-
de, welche oben als Motive geltend gemacht worden sind,
ihm die Vorherverkündigung der einzelnen Züge seines
Leidens in den Mund zu legen; zur Fiktion eines so völ-
ligen Unverstandes von Seiten der Jünger aber konnte man
sich theils durch die Neigung veranlaſst sehen, die Tiefe
des von Jesu eröffneten Mysteriums von einem leidenden
Messias mittelst des Nichtverstehens der Jünger zu heben,
theils dadurch, daſs man in der evangelischen Verkündi-
gung die Jünger vor der Ausgieſsung des Geistes den zu
bekehrenden Juden und Heiden verähnlichte, welche Al-
les eher, als den Tod des Messias, begreifen konnten.

Um dieses Dilemma einer Entscheidung entgegenzufüh-
ren, müssen wir zuvörderst die damaligen Zeitvorstellun-
gen über den Messias darauf ansehen, ob wohl das Merk-
mal des Leidens und Sterbens schon vor und unabhängig
von Jesu Tod in denselben enthalten war oder nicht. War
es schon zu Lebzeiten Jesu jüdische Vorstellung, daſs der
Messias eines gewaltsamen Todes sterben müsse: so hat
es alle Wahrscheinlichkeit, daſs auch Jesus diese Vorstel-
lung in seine Überzeugung aufgenommen und seinen Jün-

3) Vom Zweck Jesu und seiner Jünger, S. 114 ff. 153 f.
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[314/0333] Dritter Abschnitt. nachdem sie der Tod Jesu unerwartet getroffen, aus dem Erfolg das Merkmal des Leidens und Sterbens in ihren Messiasbegriff aufgenommen zu haben 3). Allerdings müs- sen wir hier das Dilemma stellen: entweder sind die An- gaben der Evangelisten von dem Nichtverstehen der Jün- ger und ihrer Uberraschung bei'm Tode Jesu unhistorisch übertrieben, oder sind die bestimmten Aussprüche Jesu über den ihm bevorstehenden Tod ex eventu gemacht, und er kann nicht einmal im Allgemeinen seinen Tod als zu seinem messianischen Schicksal gehörig vorhergesagt haben. In beiden Hinsichten konnte die Sage zu unhistorischen Darstellungen veranlaſst sein: zur Erdichtung einer Vor- aussage seines Todes im Allgemeinen durch dieselben Grün- de, welche oben als Motive geltend gemacht worden sind, ihm die Vorherverkündigung der einzelnen Züge seines Leidens in den Mund zu legen; zur Fiktion eines so völ- ligen Unverstandes von Seiten der Jünger aber konnte man sich theils durch die Neigung veranlaſst sehen, die Tiefe des von Jesu eröffneten Mysteriums von einem leidenden Messias mittelst des Nichtverstehens der Jünger zu heben, theils dadurch, daſs man in der evangelischen Verkündi- gung die Jünger vor der Ausgieſsung des Geistes den zu bekehrenden Juden und Heiden verähnlichte, welche Al- les eher, als den Tod des Messias, begreifen konnten. Um dieses Dilemma einer Entscheidung entgegenzufüh- ren, müssen wir zuvörderst die damaligen Zeitvorstellun- gen über den Messias darauf ansehen, ob wohl das Merk- mal des Leidens und Sterbens schon vor und unabhängig von Jesu Tod in denselben enthalten war oder nicht. War es schon zu Lebzeiten Jesu jüdische Vorstellung, daſs der Messias eines gewaltsamen Todes sterben müsse: so hat es alle Wahrscheinlichkeit, daſs auch Jesus diese Vorstel- lung in seine Überzeugung aufgenommen und seinen Jün- 3) Vom Zweck Jesu und seiner Jünger, S. 114 ff. 153 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/333>, abgerufen am 24.11.2024.