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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Erstes Kapitel. §. 108.
einbar sei. Von den Jüngern nun bemerken die Evange-
listen ausdrücklich, dass sie in die Reden Jesu von dem
ihm bevorstehenden Tode und der Auferstehung sich nicht
allein nicht haben finden können, in dem Sinne, dass sie
die Sache sich nicht zurechtzulegen, mit ihren vorgefass-
ten Messiasbegriffen nicht zu reimen wussten, wie Petrus,
wenn er Jesu auf die erste Todesverkündigung hin zurief:
ileos soi Kurie; oume esai soi touto (Matth. 16, 22.), son-
dern wenn Lukas das oi de egnooun to Rema des Markus
(9, 32.) so weiter ausführt: kai en parakekalummenon ap
aiton ina me aisthontai auto
(9, 45.): so ist hiemit selbst
das einfache Wortverständniss, das Fassen, wovon die Re-
de ist, den Jüngern abgesprochen. So trifft sie denn auch
hernach die Verurtheilung und Hinrichtung Jesu völlig un-
vorbereitet, und vernichtet desswegen alle Hoffnungen, die
sie auf ihn als Messias gesezt hatten (Luc. 24, 20 f.:
esaurosan auton; emeis de elpizomen, oti autos esin o mel-
lon lutrousthai ton Israel
). Allein hatte Jesus mit den
Jüngern so ganz paRResia (Marc. 8, 32.) von seinem Tode
gesprochen, so mussten sie seine klaren Worte nothwen-
dig auch fassen, und hatte er ihnen seinen Tod als gegrün-
det in den messianischen Weissagungen des A. T., mithin
zur Bestimmung des Messias gehörig, nachgewiesen, so
konnten sie nach seinem wirklich erfolgten Tode den Glau-
ben an seine Messianität nicht so ganz verlieren. Mit Un-
recht zwar hat der Wolfenbüttler Fragmentist in dem Be-
nehmen Jesu, wie es die Evangelisten schildern, Spuren
auffinden wollen, dass auch ihm selbst sein Tod unerwar-
tet gekommen sei: aber das Resultat, welches er zieht,
behält, auch wenn bloss auf das Benehmen der Jünger ge-
sehen wird, seine Gültigkeit, dass nämlich, nach demsel-
ben zu urtheilen, Jesus den Jüngern keine vorläufige Mit-
theilung über seinen bevorstehenden Tod gemacht haben
könne, sondern sie scheinen bis auf die lezte Zeit hinaus
in diesem Stück die gewöhnliche Ansicht gehabt, und erst

Erstes Kapitel. §. 108.
einbar sei. Von den Jüngern nun bemerken die Evange-
listen ausdrücklich, daſs sie in die Reden Jesu von dem
ihm bevorstehenden Tode und der Auferstehung sich nicht
allein nicht haben finden können, in dem Sinne, daſs sie
die Sache sich nicht zurechtzulegen, mit ihren vorgefaſs-
ten Messiasbegriffen nicht zu reimen wuſsten, wie Petrus,
wenn er Jesu auf die erste Todesverkündigung hin zurief:
ἵλεώς σοι Κύριε· ουμὴ ἔςαι σοι τοῦτο (Matth. 16, 22.), son-
dern wenn Lukas das οἱ δὲ ἠγνόουν τὸ ῥῆμα des Markus
(9, 32.) so weiter ausführt: καὶ ἦν παρακεκαλυμμένον ἀπ̕
αἰτῶν ἵνα μὴ αἴσϑωνται αὐτό
(9, 45.): so ist hiemit selbst
das einfache Wortverständniſs, das Fassen, wovon die Re-
de ist, den Jüngern abgesprochen. So trifft sie denn auch
hernach die Verurtheilung und Hinrichtung Jesu völlig un-
vorbereitet, und vernichtet deſswegen alle Hoffnungen, die
sie auf ihn als Messias gesezt hatten (Luc. 24, 20 f.:
ἐςαύρωσαν αὐτόν· ἡμεῖς δὲ ἠλπίζομεν, ὅτι αὐτός ἐςιν ὁ μέλ-
λων λυτροῦσϑαι τὸν Ἰσραήλ
). Allein hatte Jesus mit den
Jüngern so ganz παῤῥησίᾳ (Marc. 8, 32.) von seinem Tode
gesprochen, so muſsten sie seine klaren Worte nothwen-
dig auch fassen, und hatte er ihnen seinen Tod als gegrün-
det in den messianischen Weissagungen des A. T., mithin
zur Bestimmung des Messias gehörig, nachgewiesen, so
konnten sie nach seinem wirklich erfolgten Tode den Glau-
ben an seine Messianität nicht so ganz verlieren. Mit Un-
recht zwar hat der Wolfenbüttler Fragmentist in dem Be-
nehmen Jesu, wie es die Evangelisten schildern, Spuren
auffinden wollen, daſs auch ihm selbst sein Tod unerwar-
tet gekommen sei: aber das Resultat, welches er zieht,
behält, auch wenn bloſs auf das Benehmen der Jünger ge-
sehen wird, seine Gültigkeit, daſs nämlich, nach demsel-
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[313/0332] Erstes Kapitel. §. 108. einbar sei. Von den Jüngern nun bemerken die Evange- listen ausdrücklich, daſs sie in die Reden Jesu von dem ihm bevorstehenden Tode und der Auferstehung sich nicht allein nicht haben finden können, in dem Sinne, daſs sie die Sache sich nicht zurechtzulegen, mit ihren vorgefaſs- ten Messiasbegriffen nicht zu reimen wuſsten, wie Petrus, wenn er Jesu auf die erste Todesverkündigung hin zurief: ἵλεώς σοι Κύριε· ουμὴ ἔςαι σοι τοῦτο (Matth. 16, 22.), son- dern wenn Lukas das οἱ δὲ ἠγνόουν τὸ ῥῆμα des Markus (9, 32.) so weiter ausführt: καὶ ἦν παρακεκαλυμμένον ἀπ̕ αἰτῶν ἵνα μὴ αἴσϑωνται αὐτό (9, 45.): so ist hiemit selbst das einfache Wortverständniſs, das Fassen, wovon die Re- de ist, den Jüngern abgesprochen. So trifft sie denn auch hernach die Verurtheilung und Hinrichtung Jesu völlig un- vorbereitet, und vernichtet deſswegen alle Hoffnungen, die sie auf ihn als Messias gesezt hatten (Luc. 24, 20 f.: ἐςαύρωσαν αὐτόν· ἡμεῖς δὲ ἠλπίζομεν, ὅτι αὐτός ἐςιν ὁ μέλ- λων λυτροῦσϑαι τὸν Ἰσραήλ). Allein hatte Jesus mit den Jüngern so ganz παῤῥησίᾳ (Marc. 8, 32.) von seinem Tode gesprochen, so muſsten sie seine klaren Worte nothwen- dig auch fassen, und hatte er ihnen seinen Tod als gegrün- det in den messianischen Weissagungen des A. T., mithin zur Bestimmung des Messias gehörig, nachgewiesen, so konnten sie nach seinem wirklich erfolgten Tode den Glau- ben an seine Messianität nicht so ganz verlieren. Mit Un- recht zwar hat der Wolfenbüttler Fragmentist in dem Be- nehmen Jesu, wie es die Evangelisten schildern, Spuren auffinden wollen, daſs auch ihm selbst sein Tod unerwar- tet gekommen sei: aber das Resultat, welches er zieht, behält, auch wenn bloſs auf das Benehmen der Jünger ge- sehen wird, seine Gültigkeit, daſs nämlich, nach demsel- ben zu urtheilen, Jesus den Jüngern keine vorläufige Mit- theilung über seinen bevorstehenden Tod gemacht haben könne, sondern sie scheinen bis auf die lezte Zeit hinaus in diesem Stück die gewöhnliche Ansicht gehabt, und erst

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/332>, abgerufen am 24.11.2024.