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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Erstes Kapitel. §. 107.
Messias bezogen worden seien; dass aber Jesus selbststän-
dig, vor dem Erfolg, auf eine solche Beziehung ganz hete-
rogener Stellen gekommen sei, ebenso schwer denkbar ist:
so wäre das vollends dem Wunder ähnlich, wenn einer so
falschen Deutung der Erfolg doch wirklich entsprochen haben
sollte; überdiess aber reichen die A. T.lichen Orakel und
Vorbilder nicht einmal hin, um alle einzelnen Züge in der
Vorherverkündigung Jesu, namentlich die genaue Zeitbe-
stimmung, zu erklären.

Kann somit Jesus weder auf übernatürliche noch
auf natürliche Weise eine so genaue Vorkenntniss der Art
und Weise seines Leidens und Todes gehabt haben: so
hat er sie überhaupt nicht gehabt, und was ihm die Evan-
gelisten davon in den Mund legen, ist als vaticinium post
eventum
anzusehen 10). Hiebei hat man nicht ermangelt,
den synoptischen Berichten gegenüber den johanncischen
zu erheben, indem eben die speciellen Züge der Voraussa-
gung, welche Jesus nicht so gegeben haben kann, nur bei
den Synoptikern sich finden, während Johannes ihm nur
unbestimmte Andeutungen in den Mund lege, und von die-
sen seine nach dem Erfolg gemachte Auslegung derselben
unterscheide, zum deutlichen Beweis, dass wir in seinem
Evangelium allein die Reden Jesu unverfälscht in ihrer ur-
sprünglichen Gestalt besitzen 11). Allein näher betrachtet
verhält es sich nicht so, dass auf den Verfasser des vier-
ten Evangeliums nur die Schuld irriger Deutung der übri-
gens unverfälscht erhaltenen Aussprüche Jesu fiele, son-
dern an Einer Stelle wenigstens hat er, zwar dunkel, aber
doch unverkennbar, die Vorausbezeichnung seines Todes

10) Paulus, ex. Handb. 2, S. 415 ff.; Ammon, bibl. Theol. 2, 377 f.;
Kaiser, bibl. Theol., 1, S. 246. Auch Fritzsche, a. a. O.,
räumt diess zum Theil ein.
11) Bertholdt, Einleitung in d. N. T. S. 1305 ff.; Wegscheider,
Einleit. in das Evang. Johannis, S. 271 f.

Erstes Kapitel. §. 107.
Messias bezogen worden seien; daſs aber Jesus selbststän-
dig, vor dem Erfolg, auf eine solche Beziehung ganz hete-
rogener Stellen gekommen sei, ebenso schwer denkbar ist:
so wäre das vollends dem Wunder ähnlich, wenn einer so
falschen Deutung der Erfolg doch wirklich entsprochen haben
sollte; überdieſs aber reichen die A. T.lichen Orakel und
Vorbilder nicht einmal hin, um alle einzelnen Züge in der
Vorherverkündigung Jesu, namentlich die genaue Zeitbe-
stimmung, zu erklären.

Kann somit Jesus weder auf übernatürliche noch
auf natürliche Weise eine so genaue Vorkenntniſs der Art
und Weise seines Leidens und Todes gehabt haben: so
hat er sie überhaupt nicht gehabt, und was ihm die Evan-
gelisten davon in den Mund legen, ist als vaticinium post
eventum
anzusehen 10). Hiebei hat man nicht ermangelt,
den synoptischen Berichten gegenüber den johanncischen
zu erheben, indem eben die speciellen Züge der Voraussa-
gung, welche Jesus nicht so gegeben haben kann, nur bei
den Synoptikern sich finden, während Johannes ihm nur
unbestimmte Andeutungen in den Mund lege, und von die-
sen seine nach dem Erfolg gemachte Auslegung derselben
unterscheide, zum deutlichen Beweis, daſs wir in seinem
Evangelium allein die Reden Jesu unverfälscht in ihrer ur-
sprünglichen Gestalt besitzen 11). Allein näher betrachtet
verhält es sich nicht so, daſs auf den Verfasser des vier-
ten Evangeliums nur die Schuld irriger Deutung der übri-
gens unverfälscht erhaltenen Aussprüche Jesu fiele, son-
dern an Einer Stelle wenigstens hat er, zwar dunkel, aber
doch unverkennbar, die Vorausbezeichnung seines Todes

10) Paulus, ex. Handb. 2, S. 415 ff.; Ammon, bibl. Theol. 2, 377 f.;
Kaiser, bibl. Theol., 1, S. 246. Auch Fritzsche, a. a. O.,
räumt diess zum Theil ein.
11) Bertholdt, Einleitung in d. N. T. S. 1305 ff.; Wegscheider,
Einleit. in das Evang. Johannis, S. 271 f.
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[309/0328] Erstes Kapitel. §. 107. Messias bezogen worden seien; daſs aber Jesus selbststän- dig, vor dem Erfolg, auf eine solche Beziehung ganz hete- rogener Stellen gekommen sei, ebenso schwer denkbar ist: so wäre das vollends dem Wunder ähnlich, wenn einer so falschen Deutung der Erfolg doch wirklich entsprochen haben sollte; überdieſs aber reichen die A. T.lichen Orakel und Vorbilder nicht einmal hin, um alle einzelnen Züge in der Vorherverkündigung Jesu, namentlich die genaue Zeitbe- stimmung, zu erklären. Kann somit Jesus weder auf übernatürliche noch auf natürliche Weise eine so genaue Vorkenntniſs der Art und Weise seines Leidens und Todes gehabt haben: so hat er sie überhaupt nicht gehabt, und was ihm die Evan- gelisten davon in den Mund legen, ist als vaticinium post eventum anzusehen 10). Hiebei hat man nicht ermangelt, den synoptischen Berichten gegenüber den johanncischen zu erheben, indem eben die speciellen Züge der Voraussa- gung, welche Jesus nicht so gegeben haben kann, nur bei den Synoptikern sich finden, während Johannes ihm nur unbestimmte Andeutungen in den Mund lege, und von die- sen seine nach dem Erfolg gemachte Auslegung derselben unterscheide, zum deutlichen Beweis, daſs wir in seinem Evangelium allein die Reden Jesu unverfälscht in ihrer ur- sprünglichen Gestalt besitzen 11). Allein näher betrachtet verhält es sich nicht so, daſs auf den Verfasser des vier- ten Evangeliums nur die Schuld irriger Deutung der übri- gens unverfälscht erhaltenen Aussprüche Jesu fiele, son- dern an Einer Stelle wenigstens hat er, zwar dunkel, aber doch unverkennbar, die Vorausbezeichnung seines Todes 10) Paulus, ex. Handb. 2, S. 415 ff.; Ammon, bibl. Theol. 2, 377 f.; Kaiser, bibl. Theol., 1, S. 246. Auch Fritzsche, a. a. O., räumt diess zum Theil ein. 11) Bertholdt, Einleitung in d. N. T. S. 1305 ff.; Wegscheider, Einleit. in das Evang. Johannis, S. 271 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/328>, abgerufen am 28.11.2024.