Erstes Kapitel. Verhältniss Jesu zu der Idee eines lei- denden und sterbenden Messias; seine Reden von Tod, Auferstehung und Wiederkunft.
§. 107. Ob Jesus sein Leiden und seinen Tod in bestimmten Zügen vorhergesagt habe?
Den Evangelien zufolge hat Jesus seinen Jüngern mehr als Einmal, und schon geraume Zeit vor dem Erfolg 1), vorausgesagt, dass ihm Leiden und gewaltsamer Tod be- vorstehe. Und zwar blieb er, wenn wir den synoptischen Nachrichten trauen, nicht bei Voraussagung dieses Schick- sals im Allgemeinen stehen, sondern bestimmte den Ort seines Leidens vorher, nämlich Jerusalem; die Zeit dessel- ben: dass eben auf dieser Festreise ihn sein Schicksal er- eilen würde; die Subjekte, von welchen er zu leiden ha- ben würde (arkhiereis, grammateis, ethne); die wesentliche Form seines Leidens: Kreuzigung in Folge eines Richter- spruchs; auch Nebenzüge sagte er voraus: dass es an Geis- selhieben, Spott und Verspeien nicht fehlen würde (Matth. 16, 21. 17, 12. 22 f. 20, 17 ff. 26, 12. mit den Parall., Luc. 13, 33.). -- Zwischen den Synoptikern und dem Ver- fasser des vierten Evangeliums findet hier ein dreifacher
1) Was er ganz in der Nähe des Erfolgs, in den lezten Tagen seines Lebens, noch von einzelnen Umständen seines Lei- dens vorhersagte, kann erst weiter unten, in der Geschichte jener Tage, in Betrachtung kommen.
Erstes Kapitel. Verhältniss Jesu zu der Idee eines lei- denden und sterbenden Messias; seine Reden von Tod, Auferstehung und Wiederkunft.
§. 107. Ob Jesus sein Leiden und seinen Tod in bestimmten Zügen vorhergesagt habe?
Den Evangelien zufolge hat Jesus seinen Jüngern mehr als Einmal, und schon geraume Zeit vor dem Erfolg 1), vorausgesagt, daſs ihm Leiden und gewaltsamer Tod be- vorstehe. Und zwar blieb er, wenn wir den synoptischen Nachrichten trauen, nicht bei Voraussagung dieses Schick- sals im Allgemeinen stehen, sondern bestimmte den Ort seines Leidens vorher, nämlich Jerusalem; die Zeit dessel- ben: daſs eben auf dieser Festreise ihn sein Schicksal er- eilen würde; die Subjekte, von welchen er zu leiden ha- ben würde (ἀρχιερεῖς, γραμματεῖς, ἔϑνη); die wesentliche Form seines Leidens: Kreuzigung in Folge eines Richter- spruchs; auch Nebenzüge sagte er voraus: daſs es an Geis- selhieben, Spott und Verspeien nicht fehlen würde (Matth. 16, 21. 17, 12. 22 f. 20, 17 ff. 26, 12. mit den Parall., Luc. 13, 33.). — Zwischen den Synoptikern und dem Ver- fasser des vierten Evangeliums findet hier ein dreifacher
1) Was er ganz in der Nähe des Erfolgs, in den lezten Tagen seines Lebens, noch von einzelnen Umständen seines Lei- dens vorhersagte, kann erst weiter unten, in der Geschichte jener Tage, in Betrachtung kommen.
<TEI><text><body><pbfacs="#f0322"n="[303]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Erstes Kapitel</hi>.<lb/>
Verhältniss Jesu zu der Idee eines lei-<lb/>
denden und sterbenden Messias; seine<lb/>
Reden von Tod, Auferstehung und<lb/>
Wiederkunft.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>§. 107.<lb/>
Ob Jesus sein Leiden und seinen Tod in bestimmten Zügen<lb/>
vorhergesagt habe?</head><lb/><p>Den Evangelien zufolge hat Jesus seinen Jüngern mehr<lb/>
als Einmal, und schon geraume Zeit vor dem Erfolg <noteplace="foot"n="1)">Was er ganz in der Nähe des Erfolgs, in den lezten Tagen<lb/>
seines Lebens, noch von einzelnen Umständen seines Lei-<lb/>
dens vorhersagte, kann erst weiter unten, in der Geschichte<lb/>
jener Tage, in Betrachtung kommen.</note>,<lb/>
vorausgesagt, daſs ihm Leiden und gewaltsamer Tod be-<lb/>
vorstehe. Und zwar blieb er, wenn wir den synoptischen<lb/>
Nachrichten trauen, nicht bei Voraussagung dieses Schick-<lb/>
sals im Allgemeinen stehen, sondern bestimmte den Ort<lb/>
seines Leidens vorher, nämlich Jerusalem; die Zeit dessel-<lb/>
ben: daſs eben auf dieser Festreise ihn sein Schicksal er-<lb/>
eilen würde; die Subjekte, von welchen er zu leiden ha-<lb/>
ben würde (<foreignxml:lang="ell">ἀρχιερεῖς, γραμματεῖς, ἔϑνη</foreign>); die wesentliche<lb/>
Form seines Leidens: Kreuzigung in Folge eines Richter-<lb/>
spruchs; auch Nebenzüge sagte er voraus: daſs es an Geis-<lb/>
selhieben, Spott und Verspeien nicht fehlen würde (Matth.<lb/>
16, 21. 17, 12. 22 f. 20, 17 ff. 26, 12. mit den Parall.,<lb/>
Luc. 13, 33.). — Zwischen den Synoptikern und dem Ver-<lb/>
fasser des vierten Evangeliums findet hier ein dreifacher<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[303]/0322]
Erstes Kapitel.
Verhältniss Jesu zu der Idee eines lei-
denden und sterbenden Messias; seine
Reden von Tod, Auferstehung und
Wiederkunft.
§. 107.
Ob Jesus sein Leiden und seinen Tod in bestimmten Zügen
vorhergesagt habe?
Den Evangelien zufolge hat Jesus seinen Jüngern mehr
als Einmal, und schon geraume Zeit vor dem Erfolg 1),
vorausgesagt, daſs ihm Leiden und gewaltsamer Tod be-
vorstehe. Und zwar blieb er, wenn wir den synoptischen
Nachrichten trauen, nicht bei Voraussagung dieses Schick-
sals im Allgemeinen stehen, sondern bestimmte den Ort
seines Leidens vorher, nämlich Jerusalem; die Zeit dessel-
ben: daſs eben auf dieser Festreise ihn sein Schicksal er-
eilen würde; die Subjekte, von welchen er zu leiden ha-
ben würde (ἀρχιερεῖς, γραμματεῖς, ἔϑνη); die wesentliche
Form seines Leidens: Kreuzigung in Folge eines Richter-
spruchs; auch Nebenzüge sagte er voraus: daſs es an Geis-
selhieben, Spott und Verspeien nicht fehlen würde (Matth.
16, 21. 17, 12. 22 f. 20, 17 ff. 26, 12. mit den Parall.,
Luc. 13, 33.). — Zwischen den Synoptikern und dem Ver-
fasser des vierten Evangeliums findet hier ein dreifacher
1) Was er ganz in der Nähe des Erfolgs, in den lezten Tagen
seines Lebens, noch von einzelnen Umständen seines Lei-
dens vorhersagte, kann erst weiter unten, in der Geschichte
jener Tage, in Betrachtung kommen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. [303]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/322>, abgerufen am 19.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.