Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zehntes Kapitel. §. 104. sei 8). Allein, wenn die Schriftgelehrten ohnehin nichtsbeweisen, so ist auch von Bethanien nirgends die Rede, sondern nur von einer Einkehr Jesu bei Martha und Ma- ria, welche der vierte Evangelist in jenes Dorf versezt, woraus jedoch nicht folgt, dass auch der dritte sie ebenda- selbst wohnhaft, und also Jesum, wenn er bei ihnen war, in der Nähe von Jerusalem sich gedacht habe. Daraus aber, dass so sehr lange nach der Abreise (9, 51--17, 11.) Jesus erst auf der Grenze zwischen Galiläa und Samarien erscheint, folgt nur, dass wir hier keine geordnet fort- schreitende Erzählung vor uns haben. Doch selbst Mat- thäus soll nach dieser harmonisirenden Ansicht von jenen Zwischenbegebenheiten gewusst, und sie für den genauer Zusehenden angedeutet haben; sein meteren apo tes Ga- lilaias nämlich soll als Andeutung der Reise Jesu auf die Enkänien eine Diegese abschliessen, das kai elthen eis ta oria tes Ioudaias peran tou Iordanou dagegen mit Angabe der Ausweichung von Jerusalem nach Peräa (Joh. 10, 40.) einen neuen Abschnitt eröffnen; wobei übrigens zugestan- den wird, dass ohne die Data des Johannes Niemand auf eine solche Zerreissung der Worte des Matthäus kommen würde 9). Dergleichen Künsteleien gegenüber ist für denje- nigen, welcher die Richtigkeit des johanneischen Berichts voraussezt, kein anderer Weg übrig, als der von der neue- sten Kritik eingeschlagene, nämlich die Autopsie des Mat- thäus, der die Reise nur ganz kurz behandelt, aufzugeben, von Lukas aber, der einen ausführlichen Reisebericht hat, anzunehmen, dass er oder ein von ihm benüzter Sammler zwei verschiedene Berichte, von welchen der eine die frü- here Reise Jesu auf das Fest der Tempelweihe, der andre seine lezte Paschareise betraf, zusammengefügt habe, ohne zu ahnen, dass zwischen die Abreise Jesu aus Galiläa und 8) Paulus, 2, S. 294 ff. 9) Paulus, a. a. O. 295 f. 584 f.
Zehntes Kapitel. §. 104. sei 8). Allein, wenn die Schriftgelehrten ohnehin nichtsbeweisen, so ist auch von Bethanien nirgends die Rede, sondern nur von einer Einkehr Jesu bei Martha und Ma- ria, welche der vierte Evangelist in jenes Dorf versezt, woraus jedoch nicht folgt, daſs auch der dritte sie ebenda- selbst wohnhaft, und also Jesum, wenn er bei ihnen war, in der Nähe von Jerusalem sich gedacht habe. Daraus aber, daſs so sehr lange nach der Abreise (9, 51—17, 11.) Jesus erst auf der Grenze zwischen Galiläa und Samarien erscheint, folgt nur, daſs wir hier keine geordnet fort- schreitende Erzählung vor uns haben. Doch selbst Mat- thäus soll nach dieser harmonisirenden Ansicht von jenen Zwischenbegebenheiten gewuſst, und sie für den genauer Zusehenden angedeutet haben; sein μετῇρεν ἀπὸ τῆς Γα- λιλαίας nämlich soll als Andeutung der Reise Jesu auf die Enkänien eine Diegese abschlieſsen, das καὶ ἠλϑεν εἰς τὰ ὅρια τῆς Ἰουδαίας πέραν τοῦ Ἰορδάνου dagegen mit Angabe der Ausweichung von Jerusalem nach Peräa (Joh. 10, 40.) einen neuen Abschnitt eröffnen; wobei übrigens zugestan- den wird, daſs ohne die Data des Johannes Niemand auf eine solche Zerreissung der Worte des Matthäus kommen würde 9). Dergleichen Künsteleien gegenüber ist für denje- nigen, welcher die Richtigkeit des johanneischen Berichts voraussezt, kein anderer Weg übrig, als der von der neue- sten Kritik eingeschlagene, nämlich die Autopsie des Mat- thäus, der die Reise nur ganz kurz behandelt, aufzugeben, von Lukas aber, der einen ausführlichen Reisebericht hat, anzunehmen, daſs er oder ein von ihm benüzter Sammler zwei verschiedene Berichte, von welchen der eine die frü- here Reise Jesu auf das Fest der Tempelweihe, der andre seine lezte Paschareise betraf, zusammengefügt habe, ohne zu ahnen, daſs zwischen die Abreise Jesu aus Galiläa und 8) Paulus, 2, S. 294 ff. 9) Paulus, a. a. O. 295 f. 584 f.
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Zehntes Kapitel. §. 104.
sei 8). Allein, wenn die Schriftgelehrten ohnehin nichts
beweisen, so ist auch von Bethanien nirgends die Rede,
sondern nur von einer Einkehr Jesu bei Martha und Ma-
ria, welche der vierte Evangelist in jenes Dorf versezt,
woraus jedoch nicht folgt, daſs auch der dritte sie ebenda-
selbst wohnhaft, und also Jesum, wenn er bei ihnen war,
in der Nähe von Jerusalem sich gedacht habe. Daraus
aber, daſs so sehr lange nach der Abreise (9, 51—17, 11.)
Jesus erst auf der Grenze zwischen Galiläa und Samarien
erscheint, folgt nur, daſs wir hier keine geordnet fort-
schreitende Erzählung vor uns haben. Doch selbst Mat-
thäus soll nach dieser harmonisirenden Ansicht von jenen
Zwischenbegebenheiten gewuſst, und sie für den genauer
Zusehenden angedeutet haben; sein μετῇρεν ἀπὸ τῆς Γα-
λιλαίας nämlich soll als Andeutung der Reise Jesu auf die
Enkänien eine Diegese abschlieſsen, das καὶ ἠλϑεν εἰς τὰ
ὅρια τῆς Ἰουδαίας πέραν τοῦ Ἰορδάνου dagegen mit Angabe der
Ausweichung von Jerusalem nach Peräa (Joh. 10, 40.)
einen neuen Abschnitt eröffnen; wobei übrigens zugestan-
den wird, daſs ohne die Data des Johannes Niemand auf
eine solche Zerreissung der Worte des Matthäus kommen
würde 9). Dergleichen Künsteleien gegenüber ist für denje-
nigen, welcher die Richtigkeit des johanneischen Berichts
voraussezt, kein anderer Weg übrig, als der von der neue-
sten Kritik eingeschlagene, nämlich die Autopsie des Mat-
thäus, der die Reise nur ganz kurz behandelt, aufzugeben,
von Lukas aber, der einen ausführlichen Reisebericht hat,
anzunehmen, daſs er oder ein von ihm benüzter Sammler
zwei verschiedene Berichte, von welchen der eine die frü-
here Reise Jesu auf das Fest der Tempelweihe, der andre
seine lezte Paschareise betraf, zusammengefügt habe, ohne
zu ahnen, daſs zwischen die Abreise Jesu aus Galiläa und
8) Paulus, 2, S. 294 ff.
9) Paulus, a. a. O. 295 f. 584 f.
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