Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. Grammatik verstösst, so ist die Deutung, zu welcher dieVergleichung des Markus die meisten Ausleger geneigt macht, dass Jesus nach Judäa gekommen sei durch das Land jenseits des Jordans 3), auch nach der von Fritzsche angebrachten Modifikation wenigstens nicht ohne gramma- tische Schwierigkeit. Bleibt indess so viel in jedem Fall, dass auch Matthäus wie Markus Jesum von Galiläa nach Judäa den weiteren Weg über Peräa nehmen lässt: so scheint dagegen Lukas ihn den näheren, durch Samaria, zu führen. Zwar ist sein Ausdruck 17, 11, dass Jesus auf seiner Reise nach Jerusalem dierkheto dia mesou Samareias kai Galilaias, kaum klarer, als der eben erwogene des Matthäus. Der gewöhnlichen Wortbedeutung nach scheint er auszusagen, Jesus habe zuerst Samarien, dann Galiläa, queer durchschnitten, um so nach Jerusalem zu kommen. Aber diese Aufeinanderfolge ist verkehrt; denn gieng er von einem galiläischen Orte aus, so musste er zuerst das übrige Galiläa, und dann erst Samarien durchreisen. Man hat desswegen dem dierkhesthai dia mesou die Bedeutung ei- nes Hinziehens auf der Grenze zwischen Galiläa und Sa- marien gegeben 4), und nun den Lukas mit den beiden er- sten Evangelisten durch die Voraussetzung vereinigt, Jesus sei auf der galiläisch-samarischen Grenze bis zum Jordan hingereist, habe hierauf diesen überschritten, und sei so- fort durch Peräa nach Judäa und Jerusalem gewandert. Diese leztere Voraussetzung verträgt sich aber mit Luc. 9, 51 ff. nicht; denn wenn dieser Stelle zufolge Jesus nach dem Aufbruch aus Galiläa alsbald einem samarischen Dor- fe zugeht, und hier übeln Eindruck macht, oti to proso- pon autou en poreuomenon eis Ierousalem: so lautet diess ganz, wie wenn er die Richtung von Galiläa durch Sama- 3) So z. B. Lightfoot, z. d. St. 4) Wetstein, Olshausen z. d. St.; Schleiermacher, a. a. O.
S. 164. 214. Zweiter Abschnitt. Grammatik verstöſst, so ist die Deutung, zu welcher dieVergleichung des Markus die meisten Ausleger geneigt macht, daſs Jesus nach Judäa gekommen sei durch das Land jenseits des Jordans 3), auch nach der von Fritzsche angebrachten Modifikation wenigstens nicht ohne gramma- tische Schwierigkeit. Bleibt indeſs so viel in jedem Fall, daſs auch Matthäus wie Markus Jesum von Galiläa nach Judäa den weiteren Weg über Peräa nehmen läſst: so scheint dagegen Lukas ihn den näheren, durch Samaria, zu führen. Zwar ist sein Ausdruck 17, 11, daſs Jesus auf seiner Reise nach Jerusalem διήρχετο διὰ μέσου Σαμαρείας καὶ Γαλιλαίας, kaum klarer, als der eben erwogene des Matthäus. Der gewöhnlichen Wortbedeutung nach scheint er auszusagen, Jesus habe zuerst Samarien, dann Galiläa, queer durchschnitten, um so nach Jerusalem zu kommen. Aber diese Aufeinanderfolge ist verkehrt; denn gieng er von einem galiläischen Orte aus, so muſste er zuerst das übrige Galiläa, und dann erst Samarien durchreisen. Man hat deſswegen dem διέρχεσϑαι διὰ μέσου die Bedeutung ei- nes Hinziehens auf der Grenze zwischen Galiläa und Sa- marien gegeben 4), und nun den Lukas mit den beiden er- sten Evangelisten durch die Voraussetzung vereinigt, Jesus sei auf der galiläisch-samarischen Grenze bis zum Jordan hingereist, habe hierauf diesen überschritten, und sei so- fort durch Peräa nach Judäa und Jerusalem gewandert. Diese leztere Voraussetzung verträgt sich aber mit Luc. 9, 51 ff. nicht; denn wenn dieser Stelle zufolge Jesus nach dem Aufbruch aus Galiläa alsbald einem samarischen Dor- fe zugeht, und hier übeln Eindruck macht, ὅτι τὸ πρόσω- πον αὐτοῦ ἦν πορευόμενον εἰς Ἱερουσαλήμ: so lautet dieſs ganz, wie wenn er die Richtung von Galiläa durch Sama- 3) So z. B. Lightfoot, z. d. St. 4) Wetstein, Olshausen z. d. St.; Schleiermacher, a. a. O.
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Zweiter Abschnitt.
Grammatik verstöſst, so ist die Deutung, zu welcher die
Vergleichung des Markus die meisten Ausleger geneigt
macht, daſs Jesus nach Judäa gekommen sei durch das
Land jenseits des Jordans 3), auch nach der von Fritzsche
angebrachten Modifikation wenigstens nicht ohne gramma-
tische Schwierigkeit. Bleibt indeſs so viel in jedem Fall,
daſs auch Matthäus wie Markus Jesum von Galiläa nach
Judäa den weiteren Weg über Peräa nehmen läſst: so
scheint dagegen Lukas ihn den näheren, durch Samaria, zu
führen. Zwar ist sein Ausdruck 17, 11, daſs Jesus auf
seiner Reise nach Jerusalem διήρχετο διὰ μέσου Σαμαρείας
καὶ Γαλιλαίας, kaum klarer, als der eben erwogene des
Matthäus. Der gewöhnlichen Wortbedeutung nach scheint
er auszusagen, Jesus habe zuerst Samarien, dann Galiläa,
queer durchschnitten, um so nach Jerusalem zu kommen.
Aber diese Aufeinanderfolge ist verkehrt; denn gieng er
von einem galiläischen Orte aus, so muſste er zuerst das
übrige Galiläa, und dann erst Samarien durchreisen. Man
hat deſswegen dem διέρχεσϑαι διὰ μέσου die Bedeutung ei-
nes Hinziehens auf der Grenze zwischen Galiläa und Sa-
marien gegeben 4), und nun den Lukas mit den beiden er-
sten Evangelisten durch die Voraussetzung vereinigt, Jesus
sei auf der galiläisch-samarischen Grenze bis zum Jordan
hingereist, habe hierauf diesen überschritten, und sei so-
fort durch Peräa nach Judäa und Jerusalem gewandert.
Diese leztere Voraussetzung verträgt sich aber mit Luc.
9, 51 ff. nicht; denn wenn dieser Stelle zufolge Jesus nach
dem Aufbruch aus Galiläa alsbald einem samarischen Dor-
fe zugeht, und hier übeln Eindruck macht, ὅτι τὸ πρόσω-
πον αὐτοῦ ἦν πορευόμενον εἰς Ἱερουσαλήμ: so lautet dieſs
ganz, wie wenn er die Richtung von Galiläa durch Sama-
3) So z. B. Lightfoot, z. d. St.
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