ren konnten, d. h. man denkt sich den Vorgang als Vi- sion 1). Allein die erste Stütze dieser Auffassung, dass ja Matthäus selbst durch den Ausdruck: orama (V. 9.) die Sache als einen bloss subjektiven, visionären Vorgang be- zeichne, weicht alsbald, wenn man sich erinnert, dass we- der in der Wortbedeutung von orama das Merkmal des bloss Innerlichen liegt, noch auch der N. T.liche Sprach- gebrauch den Ausdruck nur für innere, sondern, wie A. G. 7, 31., ebenso auch für äussere Anschauungen verwendet 2). Die Sache selbst betreffend aber ist es unwahrscheinlich, und auch in der Schrift beispiellos, dass Mehrere, wie hier Drei oder Viere, an demselben Gesichte Theil gehabt hät- ten 3); wozu noch kommt, dass die ganze schwierige Frage nach der Zweckmässigkeit einer solchen wunderbaren Ver- anstaltung auch bei dieser Auffassung der Sache wiederkehrt.
Diesen Anstoss zu vermeiden, haben daher Andere den Vorgang zwar im Innern der betheiligten Personen belas- sen, aber als Produkt einer natürlichen Thätigkeit der Seele, das Ganze mithin für einen Traum erklärt 4). Wäh- rend oder nach einem von Jesu oder ihnen selbst gespro- chenen Gebete, in welchem des Moses und Elias gedacht, und ihre Ankunft als messianischer Vorläufer gewünscht worden war, schliefen dieser Auffassung zufolge die drei Jünger ein, und träumten, indem wohl auch die von Jesu genannten Namen jener Beiden in ihre schlaftrunkenen Oh- ren hineintönten, als ob Moses und Elias gegenwärtig wä- ren und Jesus sich mit ihnen unterhielte, was ihnen auch
1) So Tertull. adv. Marcion. 4, 22; Herder, a. a. O. S. 115 f., welchen auch Gratz, Comm. z. Matth. 2, S. 163 f. 169. bei- stimmt.
2)Fritzsche, in Matth. p. 552. Olshausen, 1, S. 533.
3)Olshausen, a. a. O.
4)Rau, symbola ad illustrandam Evv. de metamorphosi J. Chr. narrationem; Gabler, a. a. O. S. 539 ff. Ruinöl, Comm. z. Matth. p. 459 ff.
Das Leben Jesu II. Band. 17
Zehntes Kapitel. §. 102.
ren konnten, d. h. man denkt sich den Vorgang als Vi- sion 1). Allein die erste Stütze dieser Auffassung, daſs ja Matthäus selbst durch den Ausdruck: ὅραμα (V. 9.) die Sache als einen bloſs subjektiven, visionären Vorgang be- zeichne, weicht alsbald, wenn man sich erinnert, daſs we- der in der Wortbedeutung von ὅραμα das Merkmal des bloſs Innerlichen liegt, noch auch der N. T.liche Sprach- gebrauch den Ausdruck nur für innere, sondern, wie A. G. 7, 31., ebenso auch für äussere Anschauungen verwendet 2). Die Sache selbst betreffend aber ist es unwahrscheinlich, und auch in der Schrift beispiellos, daſs Mehrere, wie hier Drei oder Viere, an demselben Gesichte Theil gehabt hät- ten 3); wozu noch kommt, daſs die ganze schwierige Frage nach der Zweckmäſsigkeit einer solchen wunderbaren Ver- anstaltung auch bei dieser Auffassung der Sache wiederkehrt.
Diesen Anstoſs zu vermeiden, haben daher Andere den Vorgang zwar im Innern der betheiligten Personen belas- sen, aber als Produkt einer natürlichen Thätigkeit der Seele, das Ganze mithin für einen Traum erklärt 4). Wäh- rend oder nach einem von Jesu oder ihnen selbst gespro- chenen Gebete, in welchem des Moses und Elias gedacht, und ihre Ankunft als messianischer Vorläufer gewünscht worden war, schliefen dieser Auffassung zufolge die drei Jünger ein, und träumten, indem wohl auch die von Jesu genannten Namen jener Beiden in ihre schlaftrunkenen Oh- ren hineintönten, als ob Moses und Elias gegenwärtig wä- ren und Jesus sich mit ihnen unterhielte, was ihnen auch
1) So Tertull. adv. Marcion. 4, 22; Herder, a. a. O. S. 115 f., welchen auch Gratz, Comm. z. Matth. 2, S. 163 f. 169. bei- stimmt.
2)Fritzsche, in Matth. p. 552. Olshausen, 1, S. 533.
3)Olshausen, a. a. O.
4)Rau, symbola ad illustrandam Evv. de metamorphosi J. Chr. narrationem; Gabler, a. a. O. S. 539 ff. Ruinöl, Comm. z. Matth. p. 459 ff.
Das Leben Jesu II. Band. 17
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Zehntes Kapitel. §. 102.
ren konnten, d. h. man denkt sich den Vorgang als Vi-
sion 1). Allein die erste Stütze dieser Auffassung, daſs ja
Matthäus selbst durch den Ausdruck: ὅραμα (V. 9.) die
Sache als einen bloſs subjektiven, visionären Vorgang be-
zeichne, weicht alsbald, wenn man sich erinnert, daſs we-
der in der Wortbedeutung von ὅραμα das Merkmal des
bloſs Innerlichen liegt, noch auch der N. T.liche Sprach-
gebrauch den Ausdruck nur für innere, sondern, wie A. G.
7, 31., ebenso auch für äussere Anschauungen verwendet 2).
Die Sache selbst betreffend aber ist es unwahrscheinlich,
und auch in der Schrift beispiellos, daſs Mehrere, wie hier
Drei oder Viere, an demselben Gesichte Theil gehabt hät-
ten 3); wozu noch kommt, daſs die ganze schwierige Frage
nach der Zweckmäſsigkeit einer solchen wunderbaren Ver-
anstaltung auch bei dieser Auffassung der Sache wiederkehrt.
Diesen Anstoſs zu vermeiden, haben daher Andere den
Vorgang zwar im Innern der betheiligten Personen belas-
sen, aber als Produkt einer natürlichen Thätigkeit der
Seele, das Ganze mithin für einen Traum erklärt 4). Wäh-
rend oder nach einem von Jesu oder ihnen selbst gespro-
chenen Gebete, in welchem des Moses und Elias gedacht,
und ihre Ankunft als messianischer Vorläufer gewünscht
worden war, schliefen dieser Auffassung zufolge die drei
Jünger ein, und träumten, indem wohl auch die von Jesu
genannten Namen jener Beiden in ihre schlaftrunkenen Oh-
ren hineintönten, als ob Moses und Elias gegenwärtig wä-
ren und Jesus sich mit ihnen unterhielte, was ihnen auch
1) So Tertull. adv. Marcion. 4, 22; Herder, a. a. O. S. 115 f.,
welchen auch Gratz, Comm. z. Matth. 2, S. 163 f. 169. bei-
stimmt.
2) Fritzsche, in Matth. p. 552. Olshausen, 1, S. 533.
3) Olshausen, a. a. O.
4) Rau, symbola ad illustrandam Evv. de metamorphosi J. Chr.
narrationem; Gabler, a. a. O. S. 539 ff. Ruinöl, Comm. z.
Matth. p. 459 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/276>, abgerufen am 16.02.2025.
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