dass das besondere Wunder, welches wir hier haben, we- der aus dem allgemeinen Zweck des Wunderthuns über- haupt, noch aus irgend einem besondern Zweck und Grund als wirklich von Jesu verrichtet sich erklären lässt, viel- mehr in jeder Hinsicht seiner Theorie wie sonstigen Praxis widerstrebt, und desswegen mit grösserer Bestimmtheit als irgend ein andres, auch abgesehen von der Frage über die physische Möglichkeit, für ein solches erklärt werden muss, welches Jesus nicht wirklich verrichtet haben kann.
Indem uns nun aber noch der positive Nachweis der- jenigen Veranlassung obliegt, durch welche, auch ohne ge- schichtlichen Grund, eine solche Erzählung entstehen konn- te: so finden wir in unsrer gewöhnlichen Quelle, dem A. T., zwar wohl manche bildliche Reden und Erzählungen von Bäumen und von Feigenbäumen insbesondere, aber keine, welche zu unsrer Erzählung eine so specifische Ver- wandtschaft hätte, dass wir sagen könnten, diese sei jener nachgebildet. Statt dessen aber dürfen wir im N. T. nicht weit blättern, so finden wir schon, zuerst in des Täufers (Matth. 3, 10.), dann in Jesu eigenem Munde (7, 19.) die Gnome von dem Baum, der, weil er keine gute Frucht trägt, abgehauen und in's Feuer geworfen wird, und wei- terhin (Luc. 13, 6 ff.) findet sich dieses Thema zu der fin- girten Geschichte eines Herrn ausgeführt, welcher auf ei- nem Feigenbaum in seinem Weinberge drei Jahre lang ver- geblich Früchte sucht, und desswegen denselben umhauen lassen will, wenn nicht durch die Fürbitte des Gärtners ihm noch eine einjährige Frist ausgewirkt würde. Schon Kirchenväter haben in der Verwünschung des Feigenbaums nur eine thatsächliche Ausführung der Parabel vom Fei- genbaum gefunden 21); freilich in dem Sinne der vorhin angeführten Erklärung, dass Jesus selbst den damaligen Zustand und das bevorstehende Schicksal des jüdischen
21) Ambrosius, Comm. in Luc. z. d. St.
Neuntes Kapitel. §. 100.
daſs das besondere Wunder, welches wir hier haben, we- der aus dem allgemeinen Zweck des Wunderthuns über- haupt, noch aus irgend einem besondern Zweck und Grund als wirklich von Jesu verrichtet sich erklären läſst, viel- mehr in jeder Hinsicht seiner Theorie wie sonstigen Praxis widerstrebt, und deſswegen mit gröſserer Bestimmtheit als irgend ein andres, auch abgesehen von der Frage über die physische Möglichkeit, für ein solches erklärt werden muſs, welches Jesus nicht wirklich verrichtet haben kann.
Indem uns nun aber noch der positive Nachweis der- jenigen Veranlassung obliegt, durch welche, auch ohne ge- schichtlichen Grund, eine solche Erzählung entstehen konn- te: so finden wir in unsrer gewöhnlichen Quelle, dem A. T., zwar wohl manche bildliche Reden und Erzählungen von Bäumen und von Feigenbäumen insbesondere, aber keine, welche zu unsrer Erzählung eine so specifische Ver- wandtschaft hätte, daſs wir sagen könnten, diese sei jener nachgebildet. Statt dessen aber dürfen wir im N. T. nicht weit blättern, so finden wir schon, zuerst in des Täufers (Matth. 3, 10.), dann in Jesu eigenem Munde (7, 19.) die Gnome von dem Baum, der, weil er keine gute Frucht trägt, abgehauen und in's Feuer geworfen wird, und wei- terhin (Luc. 13, 6 ff.) findet sich dieses Thema zu der fin- girten Geschichte eines Herrn ausgeführt, welcher auf ei- nem Feigenbaum in seinem Weinberge drei Jahre lang ver- geblich Früchte sucht, und deſswegen denselben umhauen lassen will, wenn nicht durch die Fürbitte des Gärtners ihm noch eine einjährige Frist ausgewirkt würde. Schon Kirchenväter haben in der Verwünschung des Feigenbaums nur eine thatsächliche Ausführung der Parabel vom Fei- genbaum gefunden 21); freilich in dem Sinne der vorhin angeführten Erklärung, daſs Jesus selbst den damaligen Zustand und das bevorstehende Schicksal des jüdischen
21) Ambrosius, Comm. in Luc. z. d. St.
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Neuntes Kapitel. §. 100.
daſs das besondere Wunder, welches wir hier haben, we-
der aus dem allgemeinen Zweck des Wunderthuns über-
haupt, noch aus irgend einem besondern Zweck und Grund
als wirklich von Jesu verrichtet sich erklären läſst, viel-
mehr in jeder Hinsicht seiner Theorie wie sonstigen Praxis
widerstrebt, und deſswegen mit gröſserer Bestimmtheit als
irgend ein andres, auch abgesehen von der Frage über die
physische Möglichkeit, für ein solches erklärt werden muſs,
welches Jesus nicht wirklich verrichtet haben kann.
Indem uns nun aber noch der positive Nachweis der-
jenigen Veranlassung obliegt, durch welche, auch ohne ge-
schichtlichen Grund, eine solche Erzählung entstehen konn-
te: so finden wir in unsrer gewöhnlichen Quelle, dem A.
T., zwar wohl manche bildliche Reden und Erzählungen
von Bäumen und von Feigenbäumen insbesondere, aber
keine, welche zu unsrer Erzählung eine so specifische Ver-
wandtschaft hätte, daſs wir sagen könnten, diese sei jener
nachgebildet. Statt dessen aber dürfen wir im N. T. nicht
weit blättern, so finden wir schon, zuerst in des Täufers
(Matth. 3, 10.), dann in Jesu eigenem Munde (7, 19.) die
Gnome von dem Baum, der, weil er keine gute Frucht
trägt, abgehauen und in's Feuer geworfen wird, und wei-
terhin (Luc. 13, 6 ff.) findet sich dieses Thema zu der fin-
girten Geschichte eines Herrn ausgeführt, welcher auf ei-
nem Feigenbaum in seinem Weinberge drei Jahre lang ver-
geblich Früchte sucht, und deſswegen denselben umhauen
lassen will, wenn nicht durch die Fürbitte des Gärtners
ihm noch eine einjährige Frist ausgewirkt würde. Schon
Kirchenväter haben in der Verwünschung des Feigenbaums
nur eine thatsächliche Ausführung der Parabel vom Fei-
genbaum gefunden 21); freilich in dem Sinne der vorhin
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21) Ambrosius, Comm. in Luc. z. d. St.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/268>, abgerufen am 22.11.2024.
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