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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
bewusstlosen Naturgegenstand -- bewogen haben können,
so hat man den Ausweg ergriffen, als das eigentliche Ob-
jekt, auf welches Jesus hier wirken wollte, die Jünger
zu substituiren, den Baum aber und was Jesus an ihm
that, als blosses Mittel seiner Absicht auf jene zu betrach-
ten. Diess ist die symbolische Auffassung, durch welche
schon die Kirchenväter, und nun auch die meisten ortho-
doxen Theologen unter den Neueren, die Handlungsweise
Jesu von dem Vorwurf des Unpassenden zu befreien ge-
meint haben. Nicht Erbossung über den Baum, der sei-
nem Hunger keine Stillung bot, war hienach die Stimmung
Jesu bei diesem Akte, sein Zweck nicht schlechtweg die
Vertilgung des unfruchtbaren Gewächses: sondern mit Be-
sonnenheit hat er die Gelegenheit eines früchteleer befun-
denen Baumes dazu benüzt, den Jüngern durch eine sym-
bolische Handlung anschaulicher und unvergesslicher als
durch Worte die Wahrheit zu machen, die nun entweder
speciell so gefasst werden kann, dass das jüdische Volk,
welches beharrlich keine Gott und dem Messias gefälligen
Früchte bringe, zu Grunde gehen werde, oder allgemeiner
so, dass überhaupt jeder, der von guten Werken so ent-
blösst sei, wie dieser Baum von Früchten, einem ähnlichen
Strafgerichte entgegenzusehen habe 15). Mit Recht indess
fordern andre Ausleger, wenn Jesus mit der Handlung
diess bezweckte, so hätte er sich irgendwie darüber erklä-
ren müssen 16); denn war bei seinen Gleichnissreden eine
Auslegung nöthig, so war sie bei einer Handlung um
so unentbehrlicher, je mehr diese ohne eine derartige Hin-
weisung auf einen ausser ihr liegenden Zweck als Zweck
für sich selbst gefasst werden musste. Zwar liesse sich auch

15) Ullmann, über die Unsündlichkeit Jesu, in seinen Studien,
1, S. 50. Sieffert, a. a. O. S. 115 ff. Olshausen, 1, S. 783 f.
16) Paulus, a. a. O. S. 170; Hase, L. J. §. 128; auch Sieffert,
a. a. O.

Zweiter Abschnitt.
bewuſstlosen Naturgegenstand — bewogen haben können,
so hat man den Ausweg ergriffen, als das eigentliche Ob-
jekt, auf welches Jesus hier wirken wollte, die Jünger
zu substituiren, den Baum aber und was Jesus an ihm
that, als bloſses Mittel seiner Absicht auf jene zu betrach-
ten. Dieſs ist die symbolische Auffassung, durch welche
schon die Kirchenväter, und nun auch die meisten ortho-
doxen Theologen unter den Neueren, die Handlungsweise
Jesu von dem Vorwurf des Unpassenden zu befreien ge-
meint haben. Nicht Erboſsung über den Baum, der sei-
nem Hunger keine Stillung bot, war hienach die Stimmung
Jesu bei diesem Akte, sein Zweck nicht schlechtweg die
Vertilgung des unfruchtbaren Gewächses: sondern mit Be-
sonnenheit hat er die Gelegenheit eines früchteleer befun-
denen Baumes dazu benüzt, den Jüngern durch eine sym-
bolische Handlung anschaulicher und unvergeſslicher als
durch Worte die Wahrheit zu machen, die nun entweder
speciell so gefaſst werden kann, daſs das jüdische Volk,
welches beharrlich keine Gott und dem Messias gefälligen
Früchte bringe, zu Grunde gehen werde, oder allgemeiner
so, daſs überhaupt jeder, der von guten Werken so ent-
blöſst sei, wie dieser Baum von Früchten, einem ähnlichen
Strafgerichte entgegenzusehen habe 15). Mit Recht indeſs
fordern andre Ausleger, wenn Jesus mit der Handlung
dieſs bezweckte, so hätte er sich irgendwie darüber erklä-
ren müssen 16); denn war bei seinen Gleichniſsreden eine
Auslegung nöthig, so war sie bei einer Handlung um
so unentbehrlicher, je mehr diese ohne eine derartige Hin-
weisung auf einen ausser ihr liegenden Zweck als Zweck
für sich selbst gefaſst werden muſste. Zwar lieſse sich auch

15) Ullmann, über die Unsündlichkeit Jesu, in seinen Studien,
1, S. 50. Sieffert, a. a. O. S. 115 ff. Olshausen, 1, S. 783 f.
16) Paulus, a. a. O. S. 170; Hase, L. J. §. 128; auch Sieffert,
a. a. O.
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[246/0265] Zweiter Abschnitt. bewuſstlosen Naturgegenstand — bewogen haben können, so hat man den Ausweg ergriffen, als das eigentliche Ob- jekt, auf welches Jesus hier wirken wollte, die Jünger zu substituiren, den Baum aber und was Jesus an ihm that, als bloſses Mittel seiner Absicht auf jene zu betrach- ten. Dieſs ist die symbolische Auffassung, durch welche schon die Kirchenväter, und nun auch die meisten ortho- doxen Theologen unter den Neueren, die Handlungsweise Jesu von dem Vorwurf des Unpassenden zu befreien ge- meint haben. Nicht Erboſsung über den Baum, der sei- nem Hunger keine Stillung bot, war hienach die Stimmung Jesu bei diesem Akte, sein Zweck nicht schlechtweg die Vertilgung des unfruchtbaren Gewächses: sondern mit Be- sonnenheit hat er die Gelegenheit eines früchteleer befun- denen Baumes dazu benüzt, den Jüngern durch eine sym- bolische Handlung anschaulicher und unvergeſslicher als durch Worte die Wahrheit zu machen, die nun entweder speciell so gefaſst werden kann, daſs das jüdische Volk, welches beharrlich keine Gott und dem Messias gefälligen Früchte bringe, zu Grunde gehen werde, oder allgemeiner so, daſs überhaupt jeder, der von guten Werken so ent- blöſst sei, wie dieser Baum von Früchten, einem ähnlichen Strafgerichte entgegenzusehen habe 15). Mit Recht indeſs fordern andre Ausleger, wenn Jesus mit der Handlung dieſs bezweckte, so hätte er sich irgendwie darüber erklä- ren müssen 16); denn war bei seinen Gleichniſsreden eine Auslegung nöthig, so war sie bei einer Handlung um so unentbehrlicher, je mehr diese ohne eine derartige Hin- weisung auf einen ausser ihr liegenden Zweck als Zweck für sich selbst gefaſst werden muſste. Zwar lieſse sich auch 15) Ullmann, über die Unsündlichkeit Jesu, in seinen Studien, 1, S. 50. Sieffert, a. a. O. S. 115 ff. Olshausen, 1, S. 783 f. 16) Paulus, a. a. O. S. 170; Hase, L. J. §. 128; auch Sieffert, a. a. O.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/265>, abgerufen am 22.11.2024.