Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 99. (2. Kön. 2, 19 ff.). Wie, laut der angeführten rabbinischenStelle, die Wasserbescheerung, so scheint unsrer johannei- schen Erzählung zufolge auch die Wasserverwandlung von Moses und den Propheten auf den Messias übergetragen worden zu sein, mit denjenigen Modificationen jedoch, wel- che in der Natur der Sache lagen. Konnte nämlich auf der einen Seite eine Veränderung des Wassers in's Schlim- mere, wie jene mosaische Verwandlung desselben in Blut, konnte ein solches Strafwunder dem milden Geiste des als Messias erkannten Jesus nicht wohl angemessen gefunden werden: so konnte andrerseits eine solche Veränderung in's Bessere, welche, wie die Vertreibung der Bitterkeit oder Schädlichkeit, innerhalb der species des Wassers ste- hen blieb, und nicht, wie jene Verwandlung in Blut, die Substanz des Wassers selbst änderte, für den Messias ungenügend erscheinen; beides zusammengenommen aber, eine Veränderung des Wassers in's Bessere, welche zu- gleich eine specifische Veränderung seiner Substanz wäre, musste beinahe von selbst eine Verwandlung in Wein ge- ben. Diese ist nun von Johannes so erzählt, wie es zwar nicht der Wirklichkeit, um so mehr aber dem Geist seines Evangeliums angemessen gefunden werden muss. Denn so undenkbar, geschichtlich betrachtet, die Härte Jesu ge- gen seine Mutter erscheint: so ganz im Geiste des vierten Evangeliums ist es, seine Erhabenheit als des göttlichen logos durch ein solches Benehmen gegen Bittende (wie Joh. 4, 48.), und selbst gegen seine Mutter, auf die Spitze zu stellen 28). Ebenso im Geiste dieses Evangelisten ist es auch, den festen Glauben, welchen Maria unerachtet der abweisenden Antwort Jesu behielt, dadurch herauszu- heben, dass er sie in einer historisch unmöglichen Ahnung selbst von der Art und Weise, wie Jesus das Wunder ver- 28) Vgl. die Probabilien, a. a. O.
Neuntes Kapitel. §. 99. (2. Kön. 2, 19 ff.). Wie, laut der angeführten rabbinischenStelle, die Wasserbescheerung, so scheint unsrer johannei- schen Erzählung zufolge auch die Wasserverwandlung von Moses und den Propheten auf den Messias übergetragen worden zu sein, mit denjenigen Modificationen jedoch, wel- che in der Natur der Sache lagen. Konnte nämlich auf der einen Seite eine Veränderung des Wassers in's Schlim- mere, wie jene mosaische Verwandlung desselben in Blut, konnte ein solches Strafwunder dem milden Geiste des als Messias erkannten Jesus nicht wohl angemessen gefunden werden: so konnte andrerseits eine solche Veränderung in's Bessere, welche, wie die Vertreibung der Bitterkeit oder Schädlichkeit, innerhalb der species des Wassers ste- hen blieb, und nicht, wie jene Verwandlung in Blut, die Substanz des Wassers selbst änderte, für den Messias ungenügend erscheinen; beides zusammengenommen aber, eine Veränderung des Wassers in's Bessere, welche zu- gleich eine specifische Veränderung seiner Substanz wäre, muſste beinahe von selbst eine Verwandlung in Wein ge- ben. Diese ist nun von Johannes so erzählt, wie es zwar nicht der Wirklichkeit, um so mehr aber dem Geist seines Evangeliums angemessen gefunden werden muſs. Denn so undenkbar, geschichtlich betrachtet, die Härte Jesu ge- gen seine Mutter erscheint: so ganz im Geiste des vierten Evangeliums ist es, seine Erhabenheit als des göttlichen λόγος durch ein solches Benehmen gegen Bittende (wie Joh. 4, 48.), und selbst gegen seine Mutter, auf die Spitze zu stellen 28). Ebenso im Geiste dieses Evangelisten ist es auch, den festen Glauben, welchen Maria unerachtet der abweisenden Antwort Jesu behielt, dadurch herauszu- heben, daſs er sie in einer historisch unmöglichen Ahnung selbst von der Art und Weise, wie Jesus das Wunder ver- 28) Vgl. die Probabilien, a. a. O.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0254" n="235"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 99.</fw><lb/> (2. Kön. 2, 19 ff.). Wie, laut der angeführten rabbinischen<lb/> Stelle, die Wasserbescheerung, so scheint unsrer johannei-<lb/> schen Erzählung zufolge auch die Wasserverwandlung von<lb/> Moses und den Propheten auf den Messias übergetragen<lb/> worden zu sein, mit denjenigen Modificationen jedoch, wel-<lb/> che in der Natur der Sache lagen. Konnte nämlich auf<lb/> der einen Seite eine Veränderung des Wassers in's Schlim-<lb/> mere, wie jene mosaische Verwandlung desselben in Blut,<lb/> konnte ein solches Strafwunder dem milden Geiste des als<lb/> Messias erkannten Jesus nicht wohl angemessen gefunden<lb/> werden: so konnte andrerseits eine solche Veränderung<lb/> in's Bessere, welche, wie die Vertreibung der Bitterkeit<lb/> oder Schädlichkeit, innerhalb der <hi rendition="#i">species</hi> des Wassers ste-<lb/> hen blieb, und nicht, wie jene Verwandlung in Blut, die<lb/> Substanz des Wassers selbst änderte, für den Messias<lb/> ungenügend erscheinen; beides zusammengenommen aber,<lb/> eine Veränderung des Wassers in's Bessere, welche zu-<lb/> gleich eine specifische Veränderung seiner Substanz wäre,<lb/> muſste beinahe von selbst eine Verwandlung in Wein ge-<lb/> ben. Diese ist nun von Johannes so erzählt, wie es zwar<lb/> nicht der Wirklichkeit, um so mehr aber dem Geist seines<lb/> Evangeliums angemessen gefunden werden muſs. Denn<lb/> so undenkbar, geschichtlich betrachtet, die Härte Jesu ge-<lb/> gen seine Mutter erscheint: so ganz im Geiste des vierten<lb/> Evangeliums ist es, seine Erhabenheit als des göttlichen<lb/> λόγος durch ein solches Benehmen gegen Bittende (wie<lb/> Joh. 4, 48.), und selbst gegen seine Mutter, auf die Spitze<lb/> zu stellen <note place="foot" n="28)">Vgl. die Probabilien, a. a. O.</note>. Ebenso im Geiste dieses Evangelisten ist<lb/> es auch, den festen Glauben, welchen Maria unerachtet<lb/> der abweisenden Antwort Jesu behielt, dadurch herauszu-<lb/> heben, daſs er sie in einer historisch unmöglichen Ahnung<lb/> selbst von der Art und Weise, wie Jesus das Wunder ver-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [235/0254]
Neuntes Kapitel. §. 99.
(2. Kön. 2, 19 ff.). Wie, laut der angeführten rabbinischen
Stelle, die Wasserbescheerung, so scheint unsrer johannei-
schen Erzählung zufolge auch die Wasserverwandlung von
Moses und den Propheten auf den Messias übergetragen
worden zu sein, mit denjenigen Modificationen jedoch, wel-
che in der Natur der Sache lagen. Konnte nämlich auf
der einen Seite eine Veränderung des Wassers in's Schlim-
mere, wie jene mosaische Verwandlung desselben in Blut,
konnte ein solches Strafwunder dem milden Geiste des als
Messias erkannten Jesus nicht wohl angemessen gefunden
werden: so konnte andrerseits eine solche Veränderung
in's Bessere, welche, wie die Vertreibung der Bitterkeit
oder Schädlichkeit, innerhalb der species des Wassers ste-
hen blieb, und nicht, wie jene Verwandlung in Blut, die
Substanz des Wassers selbst änderte, für den Messias
ungenügend erscheinen; beides zusammengenommen aber,
eine Veränderung des Wassers in's Bessere, welche zu-
gleich eine specifische Veränderung seiner Substanz wäre,
muſste beinahe von selbst eine Verwandlung in Wein ge-
ben. Diese ist nun von Johannes so erzählt, wie es zwar
nicht der Wirklichkeit, um so mehr aber dem Geist seines
Evangeliums angemessen gefunden werden muſs. Denn
so undenkbar, geschichtlich betrachtet, die Härte Jesu ge-
gen seine Mutter erscheint: so ganz im Geiste des vierten
Evangeliums ist es, seine Erhabenheit als des göttlichen
λόγος durch ein solches Benehmen gegen Bittende (wie
Joh. 4, 48.), und selbst gegen seine Mutter, auf die Spitze
zu stellen 28). Ebenso im Geiste dieses Evangelisten ist
es auch, den festen Glauben, welchen Maria unerachtet
der abweisenden Antwort Jesu behielt, dadurch herauszu-
heben, daſs er sie in einer historisch unmöglichen Ahnung
selbst von der Art und Weise, wie Jesus das Wunder ver-
28) Vgl. die Probabilien, a. a. O.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |