Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 99. sers in den Krügen sich fand, diess für eine wunderbareVerwandlung gehalten wurde, ist leicht begreiflich in ei- ner späten Nachtstunde, wo man schon ziemlich getrunken hatte; dass endlich Jesus die Hochzeitleute über den wah- ren Thatbestand nicht aufklärte, war die natürliche Con- sequenz, die hervorgebrachte scherzhafte Täuschung nicht selbst zerstören zu wollen 22). Wie übrigens die Sache zugegangen, durch welche Veranstaltung Jesus den Wein an die Stelle des Wassers gebracht, diess, meint Paulus, lasse sich nicht mehr ausmachen; genug, wenn wir wis- sen, dass Alles natürlich vor sich gegangen sei. Da aber nach der Annahme dieses Auslegers der Evangelist sich der Natürlichkeit des Erfolgs im Allgemeinen bewusst war, warum hat er uns keinen Wink darüber gegeben? Wollte er auch den Lesern die Überraschung bereiten, welche Je- sus den Zuschauern bereitet hatte, so musste er sie doch hinterher auflösen, um die Täuschung nicht bleibend zu machen. Namentlich durfte er nicht den irreführenden Ausdruck gebrauchen, dass Jesus durch diesen Akt ten doxan autou (V. 11.), was in der Sprache seines Evangeliums nur dessen höhere Würde bedeuten kann, geoffenbart ha- be; er durfte den Vorfall kein semeion nennen, was ein Übernatürliches involvirt; er durfte endlich nicht durch den Ausdruck: to udor oinon gegenemenon (V. 9.), noch we- niger unten (4, 46.) durch die Bezeichnung Kana's mit opou epoiesen udor oinon, den Schein erregen, als stimmte er der wunderhaften Auffassung des Vorgangs bei 23). Die- se Schwierigkeiten suchte der Verfasser der natürlichen Geschichte durch die Einräumung zu umgehen, dass der Referent selbst, Johannes, die Sache für ein Wunder an- gesehen habe und als solches erzähle. Indess, abgesehen 22) Paulus, Comm. 4, S. 150 ff.; L. J. 1, a, S. 169 ff.; Natür- liche Geschichte, 2, S. 61 ff. 23) Vgl. hierüber Flatt a. a. O. S. 77 ff. und Lücke, z. d. Absch.
Neuntes Kapitel. §. 99. sers in den Krügen sich fand, dieſs für eine wunderbareVerwandlung gehalten wurde, ist leicht begreiflich in ei- ner späten Nachtstunde, wo man schon ziemlich getrunken hatte; daſs endlich Jesus die Hochzeitleute über den wah- ren Thatbestand nicht aufklärte, war die natürliche Con- sequenz, die hervorgebrachte scherzhafte Täuschung nicht selbst zerstören zu wollen 22). Wie übrigens die Sache zugegangen, durch welche Veranstaltung Jesus den Wein an die Stelle des Wassers gebracht, dieſs, meint Paulus, lasse sich nicht mehr ausmachen; genug, wenn wir wis- sen, daſs Alles natürlich vor sich gegangen sei. Da aber nach der Annahme dieses Auslegers der Evangelist sich der Natürlichkeit des Erfolgs im Allgemeinen bewuſst war, warum hat er uns keinen Wink darüber gegeben? Wollte er auch den Lesern die Überraschung bereiten, welche Je- sus den Zuschauern bereitet hatte, so muſste er sie doch hinterher auflösen, um die Täuschung nicht bleibend zu machen. Namentlich durfte er nicht den irreführenden Ausdruck gebrauchen, daſs Jesus durch diesen Akt τὴν δόξαν αὑτοῦ (V. 11.), was in der Sprache seines Evangeliums nur dessen höhere Würde bedeuten kann, geoffenbart ha- be; er durfte den Vorfall kein σημεῖον nennen, was ein Übernatürliches involvirt; er durfte endlich nicht durch den Ausdruck: τὸ ὕδωρ οἶνον γεγενημένον (V. 9.), noch we- niger unten (4, 46.) durch die Bezeichnung Kana's mit ὅπου ἐποίησεν ὕδωρ οἶνον, den Schein erregen, als stimmte er der wunderhaften Auffassung des Vorgangs bei 23). Die- se Schwierigkeiten suchte der Verfasser der natürlichen Geschichte durch die Einräumung zu umgehen, daſs der Referent selbst, Johannes, die Sache für ein Wunder an- gesehen habe und als solches erzähle. Indeſs, abgesehen 22) Paulus, Comm. 4, S. 150 ff.; L. J. 1, a, S. 169 ff.; Natür- liche Geschichte, 2, S. 61 ff. 23) Vgl. hierüber Flatt a. a. O. S. 77 ff. und Lücke, z. d. Absch.
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Neuntes Kapitel. §. 99.
sers in den Krügen sich fand, dieſs für eine wunderbare
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ner späten Nachtstunde, wo man schon ziemlich getrunken
hatte; daſs endlich Jesus die Hochzeitleute über den wah-
ren Thatbestand nicht aufklärte, war die natürliche Con-
sequenz, die hervorgebrachte scherzhafte Täuschung nicht
selbst zerstören zu wollen 22). Wie übrigens die Sache
zugegangen, durch welche Veranstaltung Jesus den Wein
an die Stelle des Wassers gebracht, dieſs, meint Paulus,
lasse sich nicht mehr ausmachen; genug, wenn wir wis-
sen, daſs Alles natürlich vor sich gegangen sei. Da aber
nach der Annahme dieses Auslegers der Evangelist sich der
Natürlichkeit des Erfolgs im Allgemeinen bewuſst war,
warum hat er uns keinen Wink darüber gegeben? Wollte
er auch den Lesern die Überraschung bereiten, welche Je-
sus den Zuschauern bereitet hatte, so muſste er sie doch
hinterher auflösen, um die Täuschung nicht bleibend zu
machen. Namentlich durfte er nicht den irreführenden
Ausdruck gebrauchen, daſs Jesus durch diesen Akt τὴν
δόξαν αὑτοῦ (V. 11.), was in der Sprache seines Evangeliums
nur dessen höhere Würde bedeuten kann, geoffenbart ha-
be; er durfte den Vorfall kein σημεῖον nennen, was ein
Übernatürliches involvirt; er durfte endlich nicht durch
den Ausdruck: τὸ ὕδωρ οἶνον γεγενημένον (V. 9.), noch we-
niger unten (4, 46.) durch die Bezeichnung Kana's mit
ὅπου ἐποίησεν ὕδωρ οἶνον, den Schein erregen, als stimmte
er der wunderhaften Auffassung des Vorgangs bei 23). Die-
se Schwierigkeiten suchte der Verfasser der natürlichen
Geschichte durch die Einräumung zu umgehen, daſs der
Referent selbst, Johannes, die Sache für ein Wunder an-
gesehen habe und als solches erzähle. Indeſs, abgesehen
22) Paulus, Comm. 4, S. 150 ff.; L. J. 1, a, S. 169 ff.; Natür-
liche Geschichte, 2, S. 61 ff.
23) Vgl. hierüber Flatt a. a. O. S. 77 ff. und Lücke, z. d. Absch.
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