Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiter Abschnitt.
(Matth. 8, 16 f. Marc. 1, 39. 3, 11 f. Luc. 6, 18.). Auch
seinen Jüngern theilt Jesus vor allem Andern die Voll-
macht mit, Dämonen auszutreiben (Matth. 10, 1. 8. Marc.
3, 15. 6, 7. Luc. 9, 1.), was ihnen zu ihrer besondern
Freude wirklich nach Wunsch gelang (Luc. 10, 17. 20.
Marc. 6, 13.).

Ausser diesen summarischen Angaben aber werden
uns auch die Heilungen mehrerer Dämonischen im Einzel-
nen erzählt, so dass wir uns eine ziemlich genaue Vorstel-
lung von dem eigenthümlichen Zustand dieser Leute ma-
chen können. Gleich bei demjenigen, dessen Heilung in
der Synagoge zu Kapernaum die Evangelisten als die er-
ste dieser Art setzen (Marc. 1, 23 ff. Luc. 4, 33 ff.), fin-
den wir einestheils eine Alterirung des Selbstbewusstseins,
vermöge deren der Besessene in der Person des Dämon
redet, was sich auch bei andern Dämonischen, wie bei
den Gadarenischen (Matth. 8, 29 f. parall.), wiederholt;
anderntheils Krämpfe und Convulsionen mit wildem Ge-
schrei. Dieses krampfhafte Wesen findet sich bei jenem
Dämonischen, der zugleich als Mondsüchtiger bezeichnet
ist (Matth. 17, 14 ff. parall.) deutlich als Fallsucht ausge-
bildet; denn das plözliche Niederstürzen, oft an gefährli-
chen Orten, das Brüllen, Zähne knirschen und Schäumen
sind bekannte Symptome der Epilepsie 2). Die andre Seite,
die Störung des Selbstbewusstseins, erscheint besonders
bei dem Gadarenischen Besessenen, neben dem, dass gleich-
falls der Dämon, oder vielmehr eine Mehrheit von solchen
als Subjekt aus ihnen spricht, zum menschenscheuen Wahn-
sinn mit Anfällen einer gegen sich und Andre wüthenden
Tobsucht gesteigert 3). Doch nicht blos Wahnsinnige und
Epileptische, sondern auch Stumme (Matth. 9, 32. Luc. 11,

2) Vergl. die Stellen alter Ärzte bei Winer, bibl. Realwörterb.
1, S. 191.
3) Rabbinische u. a. Stellen s. bei Winer, a. a. O. S. 192.

Zweiter Abschnitt.
(Matth. 8, 16 f. Marc. 1, 39. 3, 11 f. Luc. 6, 18.). Auch
seinen Jüngern theilt Jesus vor allem Andern die Voll-
macht mit, Dämonen auszutreiben (Matth. 10, 1. 8. Marc.
3, 15. 6, 7. Luc. 9, 1.), was ihnen zu ihrer besondern
Freude wirklich nach Wunsch gelang (Luc. 10, 17. 20.
Marc. 6, 13.).

Ausser diesen summarischen Angaben aber werden
uns auch die Heilungen mehrerer Dämonischen im Einzel-
nen erzählt, so daſs wir uns eine ziemlich genaue Vorstel-
lung von dem eigenthümlichen Zustand dieser Leute ma-
chen können. Gleich bei demjenigen, dessen Heilung in
der Synagoge zu Kapernaum die Evangelisten als die er-
ste dieser Art setzen (Marc. 1, 23 ff. Luc. 4, 33 ff.), fin-
den wir einestheils eine Alterirung des Selbstbewuſstseins,
vermöge deren der Besessene in der Person des Dämon
redet, was sich auch bei andern Dämonischen, wie bei
den Gadarenischen (Matth. 8, 29 f. parall.), wiederholt;
anderntheils Krämpfe und Convulsionen mit wildem Ge-
schrei. Dieses krampfhafte Wesen findet sich bei jenem
Dämonischen, der zugleich als Mondsüchtiger bezeichnet
ist (Matth. 17, 14 ff. parall.) deutlich als Fallsucht ausge-
bildet; denn das plözliche Niederstürzen, oft an gefährli-
chen Orten, das Brüllen, Zähne knirschen und Schäumen
sind bekannte Symptome der Epilepsie 2). Die andre Seite,
die Störung des Selbstbewuſstseins, erscheint besonders
bei dem Gadarenischen Besessenen, neben dem, daſs gleich-
falls der Dämon, oder vielmehr eine Mehrheit von solchen
als Subjekt aus ihnen spricht, zum menschenscheuen Wahn-
sinn mit Anfällen einer gegen sich und Andre wüthenden
Tobsucht gesteigert 3). Doch nicht blos Wahnsinnige und
Epileptische, sondern auch Stumme (Matth. 9, 32. Luc. 11,

2) Vergl. die Stellen alter Ärzte bei Winer, bibl. Realwörterb.
1, S. 191.
3) Rabbinische u. a. Stellen s. bei Winer, a. a. O. S. 192.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0025" n="6"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
(Matth. 8, 16 f. Marc. 1, 39. 3, 11 f. Luc. 6, 18.). Auch<lb/>
seinen Jüngern theilt Jesus vor allem Andern die Voll-<lb/>
macht mit, Dämonen auszutreiben (Matth. 10, 1. 8. Marc.<lb/>
3, 15. 6, 7. Luc. 9, 1.), was ihnen zu ihrer besondern<lb/>
Freude wirklich nach Wunsch gelang (Luc. 10, 17. 20.<lb/>
Marc. 6, 13.).</p><lb/>
          <p>Ausser diesen summarischen Angaben aber werden<lb/>
uns auch die Heilungen mehrerer Dämonischen im Einzel-<lb/>
nen erzählt, so da&#x017F;s wir uns eine ziemlich genaue Vorstel-<lb/>
lung von dem eigenthümlichen Zustand dieser Leute ma-<lb/>
chen können. Gleich bei demjenigen, dessen Heilung in<lb/>
der Synagoge zu Kapernaum die Evangelisten als die er-<lb/>
ste dieser Art setzen (Marc. 1, 23 ff. Luc. 4, 33 ff.), fin-<lb/>
den wir einestheils eine Alterirung des Selbstbewu&#x017F;stseins,<lb/>
vermöge deren der Besessene in der Person des Dämon<lb/>
redet, was sich auch bei andern Dämonischen, wie bei<lb/>
den Gadarenischen (Matth. 8, 29 f. parall.), wiederholt;<lb/>
anderntheils Krämpfe und Convulsionen mit wildem Ge-<lb/>
schrei. Dieses krampfhafte Wesen findet sich bei jenem<lb/>
Dämonischen, der zugleich als Mondsüchtiger bezeichnet<lb/>
ist (Matth. 17, 14 ff. parall.) deutlich als Fallsucht ausge-<lb/>
bildet; denn das plözliche Niederstürzen, oft an gefährli-<lb/>
chen Orten, das Brüllen, Zähne knirschen und Schäumen<lb/>
sind bekannte Symptome der Epilepsie <note place="foot" n="2)">Vergl. die Stellen alter Ärzte bei <hi rendition="#k">Winer</hi>, bibl. Realwörterb.<lb/>
1, S. 191.</note>. Die andre Seite,<lb/>
die Störung des Selbstbewu&#x017F;stseins, erscheint besonders<lb/>
bei dem Gadarenischen Besessenen, neben dem, da&#x017F;s gleich-<lb/>
falls der Dämon, oder vielmehr eine Mehrheit von solchen<lb/>
als Subjekt aus ihnen spricht, zum menschenscheuen Wahn-<lb/>
sinn mit Anfällen einer gegen sich und Andre wüthenden<lb/>
Tobsucht gesteigert <note place="foot" n="3)">Rabbinische u. a. Stellen s. bei <hi rendition="#k">Winer</hi>, a. a. O. S. 192.</note>. Doch nicht blos Wahnsinnige und<lb/>
Epileptische, sondern auch Stumme (Matth. 9, 32. Luc. 11,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0025] Zweiter Abschnitt. (Matth. 8, 16 f. Marc. 1, 39. 3, 11 f. Luc. 6, 18.). Auch seinen Jüngern theilt Jesus vor allem Andern die Voll- macht mit, Dämonen auszutreiben (Matth. 10, 1. 8. Marc. 3, 15. 6, 7. Luc. 9, 1.), was ihnen zu ihrer besondern Freude wirklich nach Wunsch gelang (Luc. 10, 17. 20. Marc. 6, 13.). Ausser diesen summarischen Angaben aber werden uns auch die Heilungen mehrerer Dämonischen im Einzel- nen erzählt, so daſs wir uns eine ziemlich genaue Vorstel- lung von dem eigenthümlichen Zustand dieser Leute ma- chen können. Gleich bei demjenigen, dessen Heilung in der Synagoge zu Kapernaum die Evangelisten als die er- ste dieser Art setzen (Marc. 1, 23 ff. Luc. 4, 33 ff.), fin- den wir einestheils eine Alterirung des Selbstbewuſstseins, vermöge deren der Besessene in der Person des Dämon redet, was sich auch bei andern Dämonischen, wie bei den Gadarenischen (Matth. 8, 29 f. parall.), wiederholt; anderntheils Krämpfe und Convulsionen mit wildem Ge- schrei. Dieses krampfhafte Wesen findet sich bei jenem Dämonischen, der zugleich als Mondsüchtiger bezeichnet ist (Matth. 17, 14 ff. parall.) deutlich als Fallsucht ausge- bildet; denn das plözliche Niederstürzen, oft an gefährli- chen Orten, das Brüllen, Zähne knirschen und Schäumen sind bekannte Symptome der Epilepsie 2). Die andre Seite, die Störung des Selbstbewuſstseins, erscheint besonders bei dem Gadarenischen Besessenen, neben dem, daſs gleich- falls der Dämon, oder vielmehr eine Mehrheit von solchen als Subjekt aus ihnen spricht, zum menschenscheuen Wahn- sinn mit Anfällen einer gegen sich und Andre wüthenden Tobsucht gesteigert 3). Doch nicht blos Wahnsinnige und Epileptische, sondern auch Stumme (Matth. 9, 32. Luc. 11, 2) Vergl. die Stellen alter Ärzte bei Winer, bibl. Realwörterb. 1, S. 191. 3) Rabbinische u. a. Stellen s. bei Winer, a. a. O. S. 192.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/25
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/25>, abgerufen am 24.11.2024.