Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 99. be, was in langsamer Entwickelung sich jährlich am Wein-stock darstelle. Diese Betrachtungsweise wäre in dem Fall gegründet, wenn das Substrat, auf welches Jesus ein- wirkte, dasselbe gewesen wäre, aus welchem naturgemäss der Wein hervorzugehen pflegt: hätte er eine Weinrebe zur Hand genommen, und diese plözlich zum Blühen und Tragen reifer Trauben gebracht, so liesse sich diess ein beschleunigter Naturprocess nennen. Auch so übrigens hät- ten wir noch keinen Wein, und brachte Jesus aus der zur Hand genommenen Rebe sogleich auch diesen hervor, so musste er noch ein unsichtbares Surrogat des Kelterns, also einen beschleunigten Kunstprocess hinzufügen, so dass auch so schon die Kategorie des beschleunigten Naturprocesses unzureichend würde. Doch wir haben ja keine Rebe als Substrat dieser Weinproduktion, sondern Wasser, und hiebei könnte von einem beschleunigten Naturprocess nur dann mit Fug gesprochen werden, wenn jemals aus Was- ser, sei es auch noch so allmählig, Wein entstände. Hier wird nun der Sache die Wendung gegeben, dass allerdings aus Wasser, aus der durch Regen u. dgl. in die Erde ge- brachten Feuchtigkeit, die Rebe ihren Saft ziehe, den sie sofort zur Produktion der Traube und des in ihr enthal- tenen Weines verwende, so dass folglich allerdings jähr- lich vermöge eines natürlichen Processes aus Wasser Wein entstehe 3). Allein abgesehen davon, dass das Wasser nur Eine der elementarischen Potenzen ist, welche die Rebe zu ihrer Fruchtbarkeit nöthig hat, und dass zu demselben noch Erde, Luft und Licht hinzukommen müssen: so könnte doch weder von einer, noch von allen diesen elementari- schen Potenzen zusammen gesagt werden, dass sie die 3) So, von Olshausen gebilligt, Augustin a. a. O.: sicut enim,
quod miserunt ministri in hydrias, in vinum conversum est opere Domini, sic et quod nubes fundunt, in vinum conver- titur ejusdem opere Domini. Neuntes Kapitel. §. 99. be, was in langsamer Entwickelung sich jährlich am Wein-stock darstelle. Diese Betrachtungsweise wäre in dem Fall gegründet, wenn das Substrat, auf welches Jesus ein- wirkte, dasselbe gewesen wäre, aus welchem naturgemäſs der Wein hervorzugehen pflegt: hätte er eine Weinrebe zur Hand genommen, und diese plözlich zum Blühen und Tragen reifer Trauben gebracht, so lieſse sich dieſs ein beschleunigter Naturproceſs nennen. Auch so übrigens hät- ten wir noch keinen Wein, und brachte Jesus aus der zur Hand genommenen Rebe sogleich auch diesen hervor, so muſste er noch ein unsichtbares Surrogat des Kelterns, also einen beschleunigten Kunstproceſs hinzufügen, so daſs auch so schon die Kategorie des beschleunigten Naturprocesses unzureichend würde. Doch wir haben ja keine Rebe als Substrat dieser Weinproduktion, sondern Wasser, und hiebei könnte von einem beschleunigten Naturproceſs nur dann mit Fug gesprochen werden, wenn jemals aus Was- ser, sei es auch noch so allmählig, Wein entstände. Hier wird nun der Sache die Wendung gegeben, daſs allerdings aus Wasser, aus der durch Regen u. dgl. in die Erde ge- brachten Feuchtigkeit, die Rebe ihren Saft ziehe, den sie sofort zur Produktion der Traube und des in ihr enthal- tenen Weines verwende, so daſs folglich allerdings jähr- lich vermöge eines natürlichen Processes aus Wasser Wein entstehe 3). Allein abgesehen davon, daſs das Wasser nur Eine der elementarischen Potenzen ist, welche die Rebe zu ihrer Fruchtbarkeit nöthig hat, und daſs zu demselben noch Erde, Luft und Licht hinzukommen müssen: so könnte doch weder von einer, noch von allen diesen elementari- schen Potenzen zusammen gesagt werden, daſs sie die 3) So, von Olshausen gebilligt, Augustin a. a. O.: sicut enim,
quod miserunt ministri in hydrias, in vinum conversum est opere Domini, sic et quod nubes fundunt, in vinum conver- titur ejusdem opere Domini. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0240" n="221"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 99.</fw><lb/> be, was in langsamer Entwickelung sich jährlich am Wein-<lb/> stock darstelle. Diese Betrachtungsweise wäre in dem Fall<lb/> gegründet, wenn das Substrat, auf welches Jesus ein-<lb/> wirkte, dasselbe gewesen wäre, aus welchem naturgemäſs<lb/> der Wein hervorzugehen pflegt: hätte er eine Weinrebe<lb/> zur Hand genommen, und diese plözlich zum Blühen und<lb/> Tragen reifer Trauben gebracht, so lieſse sich dieſs ein<lb/> beschleunigter Naturproceſs nennen. Auch so übrigens hät-<lb/> ten wir noch keinen Wein, und brachte Jesus aus der zur<lb/> Hand genommenen Rebe sogleich auch diesen hervor, so<lb/> muſste er noch ein unsichtbares Surrogat des Kelterns, also<lb/> einen beschleunigten Kunstproceſs hinzufügen, so daſs auch<lb/> so schon die Kategorie des beschleunigten Naturprocesses<lb/> unzureichend würde. Doch wir haben ja keine Rebe als<lb/> Substrat dieser Weinproduktion, sondern Wasser, und<lb/> hiebei könnte von einem beschleunigten Naturproceſs nur<lb/> dann mit Fug gesprochen werden, wenn jemals aus Was-<lb/> ser, sei es auch noch so allmählig, Wein entstände. Hier<lb/> wird nun der Sache die Wendung gegeben, daſs allerdings<lb/> aus Wasser, aus der durch Regen u. dgl. in die Erde ge-<lb/> brachten Feuchtigkeit, die Rebe ihren Saft ziehe, den sie<lb/> sofort zur Produktion der Traube und des in ihr enthal-<lb/> tenen Weines verwende, so daſs folglich allerdings jähr-<lb/> lich vermöge eines natürlichen Processes aus Wasser Wein<lb/> entstehe <note place="foot" n="3)">So, von <hi rendition="#k">Olshausen</hi> gebilligt, Augustin a. a. O.: sicut enim,<lb/> quod miserunt ministri in hydrias, in vinum conversum est<lb/> opere Domini, sic et quod nubes fundunt, in vinum conver-<lb/> titur ejusdem opere Domini.</note>. Allein abgesehen davon, daſs das Wasser nur<lb/> Eine der elementarischen Potenzen ist, welche die Rebe<lb/> zu ihrer Fruchtbarkeit nöthig hat, und daſs zu demselben<lb/> noch Erde, Luft und Licht hinzukommen müssen: so könnte<lb/> doch weder von einer, noch von allen diesen elementari-<lb/> schen Potenzen zusammen gesagt werden, daſs sie die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [221/0240]
Neuntes Kapitel. §. 99.
be, was in langsamer Entwickelung sich jährlich am Wein-
stock darstelle. Diese Betrachtungsweise wäre in dem Fall
gegründet, wenn das Substrat, auf welches Jesus ein-
wirkte, dasselbe gewesen wäre, aus welchem naturgemäſs
der Wein hervorzugehen pflegt: hätte er eine Weinrebe
zur Hand genommen, und diese plözlich zum Blühen und
Tragen reifer Trauben gebracht, so lieſse sich dieſs ein
beschleunigter Naturproceſs nennen. Auch so übrigens hät-
ten wir noch keinen Wein, und brachte Jesus aus der zur
Hand genommenen Rebe sogleich auch diesen hervor, so
muſste er noch ein unsichtbares Surrogat des Kelterns, also
einen beschleunigten Kunstproceſs hinzufügen, so daſs auch
so schon die Kategorie des beschleunigten Naturprocesses
unzureichend würde. Doch wir haben ja keine Rebe als
Substrat dieser Weinproduktion, sondern Wasser, und
hiebei könnte von einem beschleunigten Naturproceſs nur
dann mit Fug gesprochen werden, wenn jemals aus Was-
ser, sei es auch noch so allmählig, Wein entstände. Hier
wird nun der Sache die Wendung gegeben, daſs allerdings
aus Wasser, aus der durch Regen u. dgl. in die Erde ge-
brachten Feuchtigkeit, die Rebe ihren Saft ziehe, den sie
sofort zur Produktion der Traube und des in ihr enthal-
tenen Weines verwende, so daſs folglich allerdings jähr-
lich vermöge eines natürlichen Processes aus Wasser Wein
entstehe 3). Allein abgesehen davon, daſs das Wasser nur
Eine der elementarischen Potenzen ist, welche die Rebe
zu ihrer Fruchtbarkeit nöthig hat, und daſs zu demselben
noch Erde, Luft und Licht hinzukommen müssen: so könnte
doch weder von einer, noch von allen diesen elementari-
schen Potenzen zusammen gesagt werden, daſs sie die
3) So, von Olshausen gebilligt, Augustin a. a. O.: sicut enim,
quod miserunt ministri in hydrias, in vinum conversum est
opere Domini, sic et quod nubes fundunt, in vinum conver-
titur ejusdem opere Domini.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |