aus; beidemale werden sie vollkommen satt, und es kann noch eine unverhältnissmässig grosse Menge übrig gebliebe- ner Brocken in Körbe gesammelt werden; endlich einmal wie das andere sezt Jesus nach vollbrachter Speisung über den See.
Bei dieser Wiederholung desselben Faktums macht na- mentlich die Frage Schwierigkeit, ob es wohl denkbar sei, dass die Jünger, nachdem sie selbst mitangesehen hatten, wie Jesus mit wenigen Nahrungsmitteln eine grosse Menge zu speisen vermochte, dennoch bei einem zweiten ähnli- chen Fall jenen ersten spurlos vergessen gehabt, und ge- fragt haben sollten: pothen emin en eremia artoi tosoutoi, ose khortasai okhlon tosouton; Wenn man sich für eine sol- che Vergesslichkeit der Jünger darauf beruft, dass sie auf ähnliche unbegreifliche Weise die Erklärungen Jesu über sein bevorstehendes Leiden und Sterben vergessen gehabt haben, als dasselbe eintrat 1), so ist es ja ebenso noch eine obschwebende Frage, ob nach so deutlichen Voraussagen Jesu sein Tod den Jüngern so unerwartet hätte sein kön- nen? Denkt man sich aber zwischen beide Speisungen eine längere Zeit und eine Anzahl analoger Fälle hinein, wo aber Jesus nicht für gut gefunden habe, auf wunderbare Weise zu helfen 2), so sind diess theils reine Erdichtungen, theils bliebe auch so unbegreiflich, wie die gar zu spre-
1)Olshausen, 1, S. 512. Die ebendas. in der Anmerkung gel- tend gemachte Instanz, dass laut des artous ouk elabomen Matth. 16, 7. die Jünger auch nach der zweiten Speisung noch sich nicht gemerkt hatten, wie man in der Nähe des Menschen- sohns keine Speise für den Leib mitzunehmen brauche, be- weist desswegen nichts, weil die Umstände hier ganz andere waren. Dass aus der wunderbaren Sättigung des zufällig in der Wüste verspäteten Volks die Jünger nicht den beque- men Schluss zogen, welchen der bibl. Comm. daraus zieht, kann ihnen nur zur Ehre gereichen.
2) Ders. ebendas.
Neuntes Kapitel. §. 98.
aus; beidemale werden sie vollkommen satt, und es kann noch eine unverhältniſsmäſsig groſse Menge übrig gebliebe- ner Brocken in Körbe gesammelt werden; endlich einmal wie das andere sezt Jesus nach vollbrachter Speisung über den See.
Bei dieser Wiederholung desselben Faktums macht na- mentlich die Frage Schwierigkeit, ob es wohl denkbar sei, daſs die Jünger, nachdem sie selbst mitangesehen hatten, wie Jesus mit wenigen Nahrungsmitteln eine groſse Menge zu speisen vermochte, dennoch bei einem zweiten ähnli- chen Fall jenen ersten spurlos vergessen gehabt, und ge- fragt haben sollten: πόϑεν ἡμῖν ἐν ἐρημίᾳ ἄρτοι τοσοῦτοι, ὥςε χορτάσαι ὄχλον τοσοῦτον; Wenn man sich für eine sol- che Vergeſslichkeit der Jünger darauf beruft, daſs sie auf ähnliche unbegreifliche Weise die Erklärungen Jesu über sein bevorstehendes Leiden und Sterben vergessen gehabt haben, als dasselbe eintrat 1), so ist es ja ebenso noch eine obschwebende Frage, ob nach so deutlichen Voraussagen Jesu sein Tod den Jüngern so unerwartet hätte sein kön- nen? Denkt man sich aber zwischen beide Speisungen eine längere Zeit und eine Anzahl analoger Fälle hinein, wo aber Jesus nicht für gut gefunden habe, auf wunderbare Weise zu helfen 2), so sind dieſs theils reine Erdichtungen, theils bliebe auch so unbegreiflich, wie die gar zu spre-
1)Olshausen, 1, S. 512. Die ebendas. in der Anmerkung gel- tend gemachte Instanz, dass laut des ἄρτους ουκ ἐλάβομεν Matth. 16, 7. die Jünger auch nach der zweiten Speisung noch sich nicht gemerkt hatten, wie man in der Nähe des Menschen- sohns keine Speise für den Leib mitzunehmen brauche, be- weist desswegen nichts, weil die Umstände hier ganz andere waren. Dass aus der wunderbaren Sättigung des zufällig in der Wüste verspäteten Volks die Jünger nicht den beque- men Schluss zogen, welchen der bibl. Comm. daraus zieht, kann ihnen nur zur Ehre gereichen.
2) Ders. ebendas.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0218"n="199"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 98.</fw><lb/>
aus; beidemale werden sie vollkommen satt, und es kann<lb/>
noch eine unverhältniſsmäſsig groſse Menge übrig gebliebe-<lb/>
ner Brocken in Körbe gesammelt werden; endlich einmal<lb/>
wie das andere sezt Jesus nach vollbrachter Speisung über<lb/>
den See.</p><lb/><p>Bei dieser Wiederholung desselben Faktums macht na-<lb/>
mentlich die Frage Schwierigkeit, ob es wohl denkbar sei,<lb/>
daſs die Jünger, nachdem sie selbst mitangesehen hatten,<lb/>
wie Jesus mit wenigen Nahrungsmitteln eine groſse Menge<lb/>
zu speisen vermochte, dennoch bei einem zweiten ähnli-<lb/>
chen Fall jenen ersten spurlos vergessen gehabt, und ge-<lb/>
fragt haben sollten: <foreignxml:lang="ell">πόϑενἡμῖνἐνἐρημίᾳἄρτοιτοσοῦτοι,<lb/>ὥςεχορτάσαιὄχλοντοσοῦτον;</foreign> Wenn man sich für eine sol-<lb/>
che Vergeſslichkeit der Jünger darauf beruft, daſs sie auf<lb/>
ähnliche unbegreifliche Weise die Erklärungen Jesu über<lb/>
sein bevorstehendes Leiden und Sterben vergessen gehabt<lb/>
haben, als dasselbe eintrat <noteplace="foot"n="1)"><hirendition="#k">Olshausen</hi>, 1, S. 512. Die ebendas. in der Anmerkung gel-<lb/>
tend gemachte Instanz, dass laut des <foreignxml:lang="ell">ἄρτουςουκἐλάβομεν</foreign> Matth.<lb/>
16, 7. die Jünger auch nach der zweiten Speisung noch sich<lb/>
nicht gemerkt hatten, wie man in der Nähe des Menschen-<lb/>
sohns keine Speise für den Leib mitzunehmen brauche, be-<lb/>
weist desswegen nichts, weil die Umstände hier ganz andere<lb/>
waren. Dass aus der wunderbaren Sättigung des zufällig in<lb/>
der Wüste verspäteten Volks die Jünger nicht den beque-<lb/>
men Schluss zogen, welchen der bibl. Comm. daraus zieht,<lb/>
kann ihnen nur zur Ehre gereichen.</note>, so ist es ja ebenso noch eine<lb/>
obschwebende Frage, ob nach so deutlichen Voraussagen<lb/>
Jesu sein Tod den Jüngern so unerwartet hätte sein kön-<lb/>
nen? Denkt man sich aber zwischen beide Speisungen eine<lb/>
längere Zeit und eine Anzahl analoger Fälle hinein, wo<lb/>
aber Jesus nicht für gut gefunden habe, auf wunderbare<lb/>
Weise zu helfen <noteplace="foot"n="2)">Ders. ebendas.</note>, so sind dieſs theils reine Erdichtungen,<lb/>
theils bliebe auch so unbegreiflich, wie die gar zu spre-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[199/0218]
Neuntes Kapitel. §. 98.
aus; beidemale werden sie vollkommen satt, und es kann
noch eine unverhältniſsmäſsig groſse Menge übrig gebliebe-
ner Brocken in Körbe gesammelt werden; endlich einmal
wie das andere sezt Jesus nach vollbrachter Speisung über
den See.
Bei dieser Wiederholung desselben Faktums macht na-
mentlich die Frage Schwierigkeit, ob es wohl denkbar sei,
daſs die Jünger, nachdem sie selbst mitangesehen hatten,
wie Jesus mit wenigen Nahrungsmitteln eine groſse Menge
zu speisen vermochte, dennoch bei einem zweiten ähnli-
chen Fall jenen ersten spurlos vergessen gehabt, und ge-
fragt haben sollten: πόϑεν ἡμῖν ἐν ἐρημίᾳ ἄρτοι τοσοῦτοι,
ὥςε χορτάσαι ὄχλον τοσοῦτον; Wenn man sich für eine sol-
che Vergeſslichkeit der Jünger darauf beruft, daſs sie auf
ähnliche unbegreifliche Weise die Erklärungen Jesu über
sein bevorstehendes Leiden und Sterben vergessen gehabt
haben, als dasselbe eintrat 1), so ist es ja ebenso noch eine
obschwebende Frage, ob nach so deutlichen Voraussagen
Jesu sein Tod den Jüngern so unerwartet hätte sein kön-
nen? Denkt man sich aber zwischen beide Speisungen eine
längere Zeit und eine Anzahl analoger Fälle hinein, wo
aber Jesus nicht für gut gefunden habe, auf wunderbare
Weise zu helfen 2), so sind dieſs theils reine Erdichtungen,
theils bliebe auch so unbegreiflich, wie die gar zu spre-
1) Olshausen, 1, S. 512. Die ebendas. in der Anmerkung gel-
tend gemachte Instanz, dass laut des ἄρτους ουκ ἐλάβομεν Matth.
16, 7. die Jünger auch nach der zweiten Speisung noch sich
nicht gemerkt hatten, wie man in der Nähe des Menschen-
sohns keine Speise für den Leib mitzunehmen brauche, be-
weist desswegen nichts, weil die Umstände hier ganz andere
waren. Dass aus der wunderbaren Sättigung des zufällig in
der Wüste verspäteten Volks die Jünger nicht den beque-
men Schluss zogen, welchen der bibl. Comm. daraus zieht,
kann ihnen nur zur Ehre gereichen.
2) Ders. ebendas.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/218>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.