Darstellung des vierten Evangeliums, indem alle natürlichen Wege des Hinüberkommens Jesu abgeschnitten werden, nur ein übernatürlicher übrig, und diese Folgerung ist von der Menge in der verwunderten Frage wirklich gezogen, welche sie an Jesum, als sie ihn am jenseitigen Ufer fin- det, macht: pote ode gegonas; Da diese ganze Controle des wunderbaren Übergangs Jesu an der schnellen Überfahrt der Menge hängt: so beeilt sich der Evangelist, zum Be- huf von dieser alla ploiaria herbeizuschaffen (V. 23.). Nun ist die überfahrende Menge (V. 22. 26 ff.) als diejeni- ge bezeichnet, welche Jesus wunderbar gespeist hatte, und diese belief sich (nach V. 10.) auf 5000 Menschen. Wenn von diesen auch nur 1/5 , ja nur hinüberfuhr, so bedurfte es hiezu, nach der richtigen Bemerkung der Pro- babilien, einer ganzen Flotte von Schiffen, namentlich wenn man an Fischernachen denkt; nimmt man aber Frachtschiffe an, so werden diese nicht gerade alle die Richtung nach Kapernaum gehabt, oder dem Begehren des Volks zulieb ihre ursprüngliche Richtung abgeändert haben. Es scheint also diese ganze Volksüberfahrt nur gemacht zu sein 18), theils um das Wandeln Jesu auf dem Meer durch eine Controle zu bestätigen, theils, wie wir später noch sehen werden, um Jesum, welcher der allgemeinen Überlieferung zufolge unmittelbar nach der Speisung an das andre Ufer des Sees sich begeben hatte, noch mit dem Volk über die Speisung reden lassen zu können.
Nach Hinwegnahme dieser, den einzelnen Erzählungen eigenthümlichen Auswüchse des Wunderhaften bleibt im- mer noch der Stamm des Wunders, dass nämlich Jesus eine bedeutende Strecke weit auf dem Meer gewandelt ha- be, mit aller oben auseinandergesezten Unwahrscheinlich- keit eines solchen Faktums zurück. Doch hat uns die Auflösung jener Nebenzüge, indem wir die Anlässe ihrer
18)Bretschneider, Probabil. S. 81.
Neuntes Kapitel. §. 97.
Darstellung des vierten Evangeliums, indem alle natürlichen Wege des Hinüberkommens Jesu abgeschnitten werden, nur ein übernatürlicher übrig, und diese Folgerung ist von der Menge in der verwunderten Frage wirklich gezogen, welche sie an Jesum, als sie ihn am jenseitigen Ufer fin- det, macht: πότε ὧδε γέγονας; Da diese ganze Controle des wunderbaren Übergangs Jesu an der schnellen Überfahrt der Menge hängt: so beeilt sich der Evangelist, zum Be- huf von dieser ἄλλα πλοιάρια herbeizuschaffen (V. 23.). Nun ist die überfahrende Menge (V. 22. 26 ff.) als diejeni- ge bezeichnet, welche Jesus wunderbar gespeist hatte, und diese belief sich (nach V. 10.) auf 5000 Menschen. Wenn von diesen auch nur ⅕, ja nur hinüberfuhr, so bedurfte es hiezu, nach der richtigen Bemerkung der Pro- babilien, einer ganzen Flotte von Schiffen, namentlich wenn man an Fischernachen denkt; nimmt man aber Frachtschiffe an, so werden diese nicht gerade alle die Richtung nach Kapernaum gehabt, oder dem Begehren des Volks zulieb ihre ursprüngliche Richtung abgeändert haben. Es scheint also diese ganze Volksüberfahrt nur gemacht zu sein 18), theils um das Wandeln Jesu auf dem Meer durch eine Controle zu bestätigen, theils, wie wir später noch sehen werden, um Jesum, welcher der allgemeinen Überlieferung zufolge unmittelbar nach der Speisung an das andre Ufer des Sees sich begeben hatte, noch mit dem Volk über die Speisung reden lassen zu können.
Nach Hinwegnahme dieser, den einzelnen Erzählungen eigenthümlichen Auswüchse des Wunderhaften bleibt im- mer noch der Stamm des Wunders, daſs nämlich Jesus eine bedeutende Strecke weit auf dem Meer gewandelt ha- be, mit aller oben auseinandergesezten Unwahrscheinlich- keit eines solchen Faktums zurück. Doch hat uns die Auflösung jener Nebenzüge, indem wir die Anlässe ihrer
18)Bretschneider, Probabil. S. 81.
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Neuntes Kapitel. §. 97.
Darstellung des vierten Evangeliums, indem alle natürlichen
Wege des Hinüberkommens Jesu abgeschnitten werden,
nur ein übernatürlicher übrig, und diese Folgerung ist von
der Menge in der verwunderten Frage wirklich gezogen,
welche sie an Jesum, als sie ihn am jenseitigen Ufer fin-
det, macht: πότε ὧδε γέγονας; Da diese ganze Controle des
wunderbaren Übergangs Jesu an der schnellen Überfahrt
der Menge hängt: so beeilt sich der Evangelist, zum Be-
huf von dieser ἄλλα πλοιάρια herbeizuschaffen (V. 23.).
Nun ist die überfahrende Menge (V. 22. 26 ff.) als diejeni-
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und diese belief sich (nach V. 10.) auf 5000 Menschen.
Wenn von diesen auch nur ⅕, ja nur [FORMEL] hinüberfuhr, so
bedurfte es hiezu, nach der richtigen Bemerkung der Pro-
babilien, einer ganzen Flotte von Schiffen, namentlich wenn
man an Fischernachen denkt; nimmt man aber Frachtschiffe
an, so werden diese nicht gerade alle die Richtung nach
Kapernaum gehabt, oder dem Begehren des Volks zulieb
ihre ursprüngliche Richtung abgeändert haben. Es scheint
also diese ganze Volksüberfahrt nur gemacht zu sein 18),
theils um das Wandeln Jesu auf dem Meer durch eine
Controle zu bestätigen, theils, wie wir später noch sehen
werden, um Jesum, welcher der allgemeinen Überlieferung
zufolge unmittelbar nach der Speisung an das andre Ufer
des Sees sich begeben hatte, noch mit dem Volk über die
Speisung reden lassen zu können.
Nach Hinwegnahme dieser, den einzelnen Erzählungen
eigenthümlichen Auswüchse des Wunderhaften bleibt im-
mer noch der Stamm des Wunders, daſs nämlich Jesus
eine bedeutende Strecke weit auf dem Meer gewandelt ha-
be, mit aller oben auseinandergesezten Unwahrscheinlich-
keit eines solchen Faktums zurück. Doch hat uns die
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/208>, abgerufen am 16.02.2025.
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