Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 97. an sich nicht zusammenhänge, ist Olshausen auf den Ver-such geführt worden, das Naturereigniss, welchem Jesus hier Einhalt thut, in eine Beziehung zur Sünde, und da- mit zum Beruf Jesu zu setzen. Die Stürme sind ihm die Krämpfe und Zuckungen der Natur, und als solche Fol- gen der Sünde, welche in ihrer furchtbaren Wirksamkeit auch die physische Seite des Daseins zerrüttet hat 1). Al- lein nur eine Naturbeobachtung, welche über dem Einzel- nen das Allgemeine vergisst, kann Stürme, Gewitter u. dgl. die im Zusammenhang des Ganzen ihre nothwendige Stelle und wohlthätige Wirkung haben, als Übel und Abnormi- täten betrachten, und eine Weltansicht, welche im Ernst der Meinung ist, vor und ohne den Sündenfall würde es keine Stürme und Gewitter, wie andrerseits keine Gift- pflanzen und reissende Thiere, gegeben haben, streift -- man weiss nicht, soll man sagen, an das Schwärmerische oder an das Kindische. Wozu aber, wenn sich die Sache auf diese Weise nicht fassen lässt, bei Jesu eine solche Macht über die Natur? Als Mittel, ihm Glauben zu erwe- cken, war sie unzureichend und überflüssig; denn einzelne Gläubige fand Jesus auch ohne diese Art von Machtbewei- sen, und allgemeinen Anhang verschafften ihm auch diese nicht. Als Bild der ursprünglichen Herrschaft des Men- schen über die äussere Natur, zu deren Wiedererlangung er bestimmt ist, kann sie ebensowenig betrachtet werden, denn der Werth dieser Herrschaft besteht eben darin, dass sie eine vermittelte, durch das fortgesetzte Nachdenken und die vereinigte Anstrengung von Jahrhunderten der Natur abgerungene, nicht aber eine unmittelbare, magische ist, welche nur ein Wort kostet. So ist in Bezug auf den Theil der Natur, von welchem hier die Rede ist, der Kompass, das Dampfschiff, eine ungleich wahrere Verwirk- lichung der Herrschaft des Menschen über dieselbe, als 1) b. Comm. 1, S. 287.
Neuntes Kapitel. §. 97. an sich nicht zusammenhänge, ist Olshausen auf den Ver-such geführt worden, das Naturereigniſs, welchem Jesus hier Einhalt thut, in eine Beziehung zur Sünde, und da- mit zum Beruf Jesu zu setzen. Die Stürme sind ihm die Krämpfe und Zuckungen der Natur, und als solche Fol- gen der Sünde, welche in ihrer furchtbaren Wirksamkeit auch die physische Seite des Daseins zerrüttet hat 1). Al- lein nur eine Naturbeobachtung, welche über dem Einzel- nen das Allgemeine vergiſst, kann Stürme, Gewitter u. dgl. die im Zusammenhang des Ganzen ihre nothwendige Stelle und wohlthätige Wirkung haben, als Übel und Abnormi- täten betrachten, und eine Weltansicht, welche im Ernst der Meinung ist, vor und ohne den Sündenfall würde es keine Stürme und Gewitter, wie andrerseits keine Gift- pflanzen und reissende Thiere, gegeben haben, streift — man weiſs nicht, soll man sagen, an das Schwärmerische oder an das Kindische. Wozu aber, wenn sich die Sache auf diese Weise nicht fassen läſst, bei Jesu eine solche Macht über die Natur? Als Mittel, ihm Glauben zu erwe- cken, war sie unzureichend und überflüssig; denn einzelne Gläubige fand Jesus auch ohne diese Art von Machtbewei- sen, und allgemeinen Anhang verschafften ihm auch diese nicht. Als Bild der ursprünglichen Herrschaft des Men- schen über die äussere Natur, zu deren Wiedererlangung er bestimmt ist, kann sie ebensowenig betrachtet werden, denn der Werth dieser Herrschaft besteht eben darin, daſs sie eine vermittelte, durch das fortgesetzte Nachdenken und die vereinigte Anstrengung von Jahrhunderten der Natur abgerungene, nicht aber eine unmittelbare, magische ist, welche nur ein Wort kostet. So ist in Bezug auf den Theil der Natur, von welchem hier die Rede ist, der Kompaſs, das Dampfschiff, eine ungleich wahrere Verwirk- lichung der Herrschaft des Menschen über dieselbe, als 1) b. Comm. 1, S. 287.
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Neuntes Kapitel. §. 97.
an sich nicht zusammenhänge, ist Olshausen auf den Ver-
such geführt worden, das Naturereigniſs, welchem Jesus
hier Einhalt thut, in eine Beziehung zur Sünde, und da-
mit zum Beruf Jesu zu setzen. Die Stürme sind ihm die
Krämpfe und Zuckungen der Natur, und als solche Fol-
gen der Sünde, welche in ihrer furchtbaren Wirksamkeit
auch die physische Seite des Daseins zerrüttet hat 1). Al-
lein nur eine Naturbeobachtung, welche über dem Einzel-
nen das Allgemeine vergiſst, kann Stürme, Gewitter u. dgl.
die im Zusammenhang des Ganzen ihre nothwendige Stelle
und wohlthätige Wirkung haben, als Übel und Abnormi-
täten betrachten, und eine Weltansicht, welche im Ernst
der Meinung ist, vor und ohne den Sündenfall würde es
keine Stürme und Gewitter, wie andrerseits keine Gift-
pflanzen und reissende Thiere, gegeben haben, streift —
man weiſs nicht, soll man sagen, an das Schwärmerische
oder an das Kindische. Wozu aber, wenn sich die Sache
auf diese Weise nicht fassen läſst, bei Jesu eine solche
Macht über die Natur? Als Mittel, ihm Glauben zu erwe-
cken, war sie unzureichend und überflüssig; denn einzelne
Gläubige fand Jesus auch ohne diese Art von Machtbewei-
sen, und allgemeinen Anhang verschafften ihm auch diese
nicht. Als Bild der ursprünglichen Herrschaft des Men-
schen über die äussere Natur, zu deren Wiedererlangung
er bestimmt ist, kann sie ebensowenig betrachtet werden,
denn der Werth dieser Herrschaft besteht eben darin, daſs
sie eine vermittelte, durch das fortgesetzte Nachdenken und
die vereinigte Anstrengung von Jahrhunderten der Natur
abgerungene, nicht aber eine unmittelbare, magische ist,
welche nur ein Wort kostet. So ist in Bezug auf den
Theil der Natur, von welchem hier die Rede ist, der
Kompaſs, das Dampfschiff, eine ungleich wahrere Verwirk-
lichung der Herrschaft des Menschen über dieselbe, als
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