Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 96. haupt als Todtenerweckung, sollte man glauben, da derennach unsern Berichten nur wenige vorgekommen waren, und diese von ausgezeichneter Beweiskraft sind, es müsste die Evangelisten nicht verdrossen haben, neben der einen auch noch die zweite aufzunehmen, da es ja Matthäus für der Mühe werth gehalten hat, z. B. von Blindenheilungen drei Proben zu berichten, welche doch weit weniger Ge- wicht hatten, wo er also weit eher mit Einer hätte ab- kommen, und statt der übrigen noch eine oder die ande- re Todtenerweckung aufnehmen können. Gesezt aber auch, die zwei ersten Evangelisten wollten aus einem nicht mehr zu ermittelnden Grunde nicht weiter als Eine Todtener- weckungsgeschichte geben, so sollten sie, muss man mei- nen, weit eher die vom Jüngling zu Nain, sofern sie von derselben wussten, ausgewählt haben, als die von der Jai- rustochter, weil sie, wie oben ausgeführt, eine entschiede- nere und auffallendere Todtenerweckung war. Geben sie dessen ungeachtet nur die leztere, so kann von der andern wenigstens Matthäus nichts gewusst haben; dem Markus freilich lag sie wahrscheinlich im Lukas vor, aber er war schon 3, 7. oder 20. von Lukas 6, 12. (17.) zu Matthäus 12, 15. übergesprungen, und kehrt erst 4, 35. (21 ff.) zu Lukas 8, 22. (16 ff.) zurück 43), wo er dann die Erweckung des Jünglings (Luc. 7, 11 ff.) bereits hinter sich hat. Die nunmehr entstehen- de zweite Frage: wie kann die Wiederbelebung des Jüng- lings, wenn sie wirklich vorgegangen war, dem Verfasser des ersten Evangeliums unbekannt geblieben sein? hat, auch abgesehen von dem voraussezlich apostolischen Ur- sprung dieses Evangeliums, doch nicht geringere Schwie- rigkeiten als die vorige. Waren doch ausser vielem Vol- ke auch mathetai ikanoi dabei; der Ort Nain kann, wie Josephus seine Lage im Verhältniss zum Thabor bestimmt, nicht fern von dem gewöhnlichen galiläischen Schauplaz 43) Saunier, über die Quellen des Markus, S. 66 ff. 11 *
Neuntes Kapitel. §. 96. haupt als Todtenerweckung, sollte man glauben, da derennach unsern Berichten nur wenige vorgekommen waren, und diese von ausgezeichneter Beweiskraft sind, es müſste die Evangelisten nicht verdrossen haben, neben der einen auch noch die zweite aufzunehmen, da es ja Matthäus für der Mühe werth gehalten hat, z. B. von Blindenheilungen drei Proben zu berichten, welche doch weit weniger Ge- wicht hatten, wo er also weit eher mit Einer hätte ab- kommen, und statt der übrigen noch eine oder die ande- re Todtenerweckung aufnehmen können. Gesezt aber auch, die zwei ersten Evangelisten wollten aus einem nicht mehr zu ermittelnden Grunde nicht weiter als Eine Todtener- weckungsgeschichte geben, so sollten sie, muſs man mei- nen, weit eher die vom Jüngling zu Nain, sofern sie von derselben wuſsten, ausgewählt haben, als die von der Jai- rustochter, weil sie, wie oben ausgeführt, eine entschiede- nere und auffallendere Todtenerweckung war. Geben sie dessen ungeachtet nur die leztere, so kann von der andern wenigstens Matthäus nichts gewuſst haben; dem Markus freilich lag sie wahrscheinlich im Lukas vor, aber er war schon 3, 7. oder 20. von Lukas 6, 12. (17.) zu Matthäus 12, 15. übergesprungen, und kehrt erst 4, 35. (21 ff.) zu Lukas 8, 22. (16 ff.) zurück 43), wo er dann die Erweckung des Jünglings (Luc. 7, 11 ff.) bereits hinter sich hat. Die nunmehr entstehen- de zweite Frage: wie kann die Wiederbelebung des Jüng- lings, wenn sie wirklich vorgegangen war, dem Verfasser des ersten Evangeliums unbekannt geblieben sein? hat, auch abgesehen von dem voraussezlich apostolischen Ur- sprung dieses Evangeliums, doch nicht geringere Schwie- rigkeiten als die vorige. Waren doch ausser vielem Vol- ke auch μαϑηταὶ ἱκανοὶ dabei; der Ort Nain kann, wie Josephus seine Lage im Verhältniſs zum Thabor bestimmt, nicht fern von dem gewöhnlichen galiläischen Schauplaz 43) Saunier, über die Quellen des Markus, S. 66 ff. 11 *
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Neuntes Kapitel. §. 96.
haupt als Todtenerweckung, sollte man glauben, da deren
nach unsern Berichten nur wenige vorgekommen waren,
und diese von ausgezeichneter Beweiskraft sind, es müſste
die Evangelisten nicht verdrossen haben, neben der einen
auch noch die zweite aufzunehmen, da es ja Matthäus für
der Mühe werth gehalten hat, z. B. von Blindenheilungen
drei Proben zu berichten, welche doch weit weniger Ge-
wicht hatten, wo er also weit eher mit Einer hätte ab-
kommen, und statt der übrigen noch eine oder die ande-
re Todtenerweckung aufnehmen können. Gesezt aber auch,
die zwei ersten Evangelisten wollten aus einem nicht mehr
zu ermittelnden Grunde nicht weiter als Eine Todtener-
weckungsgeschichte geben, so sollten sie, muſs man mei-
nen, weit eher die vom Jüngling zu Nain, sofern sie von
derselben wuſsten, ausgewählt haben, als die von der Jai-
rustochter, weil sie, wie oben ausgeführt, eine entschiede-
nere und auffallendere Todtenerweckung war. Geben sie
dessen ungeachtet nur die leztere, so kann von der andern
wenigstens Matthäus nichts gewuſst haben; dem Markus
freilich lag sie wahrscheinlich im Lukas vor, aber er war
schon 3, 7. oder 20. von Lukas 6, 12. (17.) zu Matthäus 12, 15.
übergesprungen, und kehrt erst 4, 35. (21 ff.) zu Lukas 8, 22.
(16 ff.) zurück 43), wo er dann die Erweckung des Jünglings
(Luc. 7, 11 ff.) bereits hinter sich hat. Die nunmehr entstehen-
de zweite Frage: wie kann die Wiederbelebung des Jüng-
lings, wenn sie wirklich vorgegangen war, dem Verfasser
des ersten Evangeliums unbekannt geblieben sein? hat,
auch abgesehen von dem voraussezlich apostolischen Ur-
sprung dieses Evangeliums, doch nicht geringere Schwie-
rigkeiten als die vorige. Waren doch ausser vielem Vol-
ke auch μαϑηταὶ ἱκανοὶ dabei; der Ort Nain kann, wie
Josephus seine Lage im Verhältniſs zum Thabor bestimmt,
nicht fern von dem gewöhnlichen galiläischen Schauplaz
43) Saunier, über die Quellen des Markus, S. 66 ff.
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