tenerweckungen wir gethan haben, bei der lezten und merkwürdigsten Geschichte dieser Art von den verschiede- nen auf einander gefolgten Erklärungsversuchen selbst voll- zogen worden, nämlich die Sache auf die Alternative zu treiben, dass man von der evangelischen Erzählung entwe- der den Hergang als übernatürlichen hinnehmen, oder, wenn man ihn als solchen unglaublich findet, den histori- schen Charakter der Erzählung leugnen muss.
Um in diesem Dilemma für alle drei hiehergehörige Erzählungen eine Entscheidung zu finden, müssen wir auf den eigenthümlichen Charakter derjenigen Art von Wundern zurückgehen, welche wir hier vor uns haben. Wir sind bis jezt durch eine Stufenleiter des Wunderbaren aufge- stiegen. Zuerst Heilungen von Geisteskranken; dann von allen Arten leiblich Kranker, deren Organismus aber doch noch nicht bis zum Entweichen des Geistes und Lebens zerrüttet war; nunmehr die Wiederbelebung solcher Kör- per, aus welchen das Leben bereits geflohen ist. Dieser Klimax des Wunderbaren ist zugleich eine Stufenreihe des Undenkbaren. Das nämlich haben wir uns zwar etwa noch vorstellen können, wie eine geistige Störung, bei welcher von den körperlichen Organen nur das dem Geiste zunächst angehörige Nervensystem sich einigermassen angegriffen zeigte, auch auf dem rein geistigen Wege des blossen Wor- tes, Anblicks, Eindrucks Jesu gehoben werden mochte: je weiter aber in das Körperliche eingedrungen das Übel sich zeigte, desto undenkbarer war uns eine Heilung die- ser Art. Wo bei Geisteskranken das Gehirn bis zur wil- desten Tobsucht, bei Nervenkranken das Nervensystem bis zu periodischer Epilepsie zerrüttet war, da konnten wir uns schon schwer vorstellen, wie durch jene geistige Ein- wirkung bleibende Hülfe geschafft worden sein sollte; noch schwerer, wo die Krankheit ausser allem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Geistigen sich zeigte, wie bei Aus- saz, Blindheit, Lähmung und dergleichen. Immer aber
Neuntes Kapitel. §. 96.
tenerweckungen wir gethan haben, bei der lezten und merkwürdigsten Geschichte dieser Art von den verschiede- nen auf einander gefolgten Erklärungsversuchen selbst voll- zogen worden, nämlich die Sache auf die Alternative zu treiben, daſs man von der evangelischen Erzählung entwe- der den Hergang als übernatürlichen hinnehmen, oder, wenn man ihn als solchen unglaublich findet, den histori- schen Charakter der Erzählung leugnen muſs.
Um in diesem Dilemma für alle drei hiehergehörige Erzählungen eine Entscheidung zu finden, müssen wir auf den eigenthümlichen Charakter derjenigen Art von Wundern zurückgehen, welche wir hier vor uns haben. Wir sind bis jezt durch eine Stufenleiter des Wunderbaren aufge- stiegen. Zuerst Heilungen von Geisteskranken; dann von allen Arten leiblich Kranker, deren Organismus aber doch noch nicht bis zum Entweichen des Geistes und Lebens zerrüttet war; nunmehr die Wiederbelebung solcher Kör- per, aus welchen das Leben bereits geflohen ist. Dieser Klimax des Wunderbaren ist zugleich eine Stufenreihe des Undenkbaren. Das nämlich haben wir uns zwar etwa noch vorstellen können, wie eine geistige Störung, bei welcher von den körperlichen Organen nur das dem Geiste zunächst angehörige Nervensystem sich einigermaſsen angegriffen zeigte, auch auf dem rein geistigen Wege des bloſsen Wor- tes, Anblicks, Eindrucks Jesu gehoben werden mochte: je weiter aber in das Körperliche eingedrungen das Übel sich zeigte, desto undenkbarer war uns eine Heilung die- ser Art. Wo bei Geisteskranken das Gehirn bis zur wil- desten Tobsucht, bei Nervenkranken das Nervensystem bis zu periodischer Epilepsie zerrüttet war, da konnten wir uns schon schwer vorstellen, wie durch jene geistige Ein- wirkung bleibende Hülfe geschafft worden sein sollte; noch schwerer, wo die Krankheit ausser allem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Geistigen sich zeigte, wie bei Aus- saz, Blindheit, Lähmung und dergleichen. Immer aber
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Neuntes Kapitel. §. 96.
tenerweckungen wir gethan haben, bei der lezten und
merkwürdigsten Geschichte dieser Art von den verschiede-
nen auf einander gefolgten Erklärungsversuchen selbst voll-
zogen worden, nämlich die Sache auf die Alternative zu
treiben, daſs man von der evangelischen Erzählung entwe-
der den Hergang als übernatürlichen hinnehmen, oder,
wenn man ihn als solchen unglaublich findet, den histori-
schen Charakter der Erzählung leugnen muſs.
Um in diesem Dilemma für alle drei hiehergehörige
Erzählungen eine Entscheidung zu finden, müssen wir auf
den eigenthümlichen Charakter derjenigen Art von Wundern
zurückgehen, welche wir hier vor uns haben. Wir sind
bis jezt durch eine Stufenleiter des Wunderbaren aufge-
stiegen. Zuerst Heilungen von Geisteskranken; dann von
allen Arten leiblich Kranker, deren Organismus aber doch
noch nicht bis zum Entweichen des Geistes und Lebens
zerrüttet war; nunmehr die Wiederbelebung solcher Kör-
per, aus welchen das Leben bereits geflohen ist. Dieser
Klimax des Wunderbaren ist zugleich eine Stufenreihe des
Undenkbaren. Das nämlich haben wir uns zwar etwa noch
vorstellen können, wie eine geistige Störung, bei welcher
von den körperlichen Organen nur das dem Geiste zunächst
angehörige Nervensystem sich einigermaſsen angegriffen
zeigte, auch auf dem rein geistigen Wege des bloſsen Wor-
tes, Anblicks, Eindrucks Jesu gehoben werden mochte:
je weiter aber in das Körperliche eingedrungen das Übel
sich zeigte, desto undenkbarer war uns eine Heilung die-
ser Art. Wo bei Geisteskranken das Gehirn bis zur wil-
desten Tobsucht, bei Nervenkranken das Nervensystem bis
zu periodischer Epilepsie zerrüttet war, da konnten wir
uns schon schwer vorstellen, wie durch jene geistige Ein-
wirkung bleibende Hülfe geschafft worden sein sollte; noch
schwerer, wo die Krankheit ausser allem unmittelbaren
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/172>, abgerufen am 25.11.2024.
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