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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 96.
den Todten wiedererwecken könne, sondern nur die Ver-
muthung, dass er vielleicht den Kranken am Leben zu er-
halten im Stande gewesen wäre, sprachen ja die Juden
aus; es hatte also schon früher Martha durch die Äusse-
rung, dass auch jezt noch der Vater ihm gewähren werde,
was er bitte, mehr gesagt: so dass, wenn dergleichen
Hoffnungen erst von aussen in Jesu angeregt wurden, die-
selben schon früher angeregt sein mussten, und namentlich
vor jenem Weinen Jesu, auf welches man sich dafür, dass
sie noch nicht angeregt gewesen, zu berufen pflegt.

Dass die Äusserung der Martha, als Jesus den Stein
vom Grabe zu nehmen befiehlt: kurie, ede ozei (V. 39.),
für die wirklich schon eingetretene Verwesung und also
gegen die Möglichkeit einer natürlichen Wiederbelebung
nichts beweise, da sie auch blosser Schluss aus dem tetar-
taios sein kann, ist auch von supranaturalistischen Aus-
legern eingeräumt worden 25). Hierauf aber die Worte,
mit welchen Jesus, die Einrede der Martha ablehnend,
auf der Öffnung des mnemeion besteht (V. 40.), dass sie,
wenn sie nur glaube, ten doxan tou theou sehen werde, wie
konnte er diese aussprechen, wenn er sich seiner Macht,
den Lazarus zu erwecken, nicht auf's Bestimmteste bewusst
war? Nach Paulus sagte jener Ausspruch nur allgemein,
dass der Vertrauensvolle auf irgend eine Weise eine herr-
liche Äusserung der Gottheit erlebe. Allein welche herr-
liche Äusserung der Gottheit war denn hier, bei Eröffnung
der Gruft eines seit vier Tagen Begrabenen zu erleben,
wenn nicht die, dass er auferweckt werden sollte? und
im Gegensaz vollends gegen die Versicherung der Martha,
dass den Bruder bereits die Verwesung ergriffen haben müs-
se, was können jene Worte für einen Sinn haben, als,
hier sei der Mann, der Verwesung zu wehren? Um aber
ganz sicher zu erfahren, was die doxa tou theou in unserer

25) Flatt, S. 106; Olshausen, 2, S. 269.

Neuntes Kapitel. §. 96.
den Todten wiedererwecken könne, sondern nur die Ver-
muthung, daſs er vielleicht den Kranken am Leben zu er-
halten im Stande gewesen wäre, sprachen ja die Juden
aus; es hatte also schon früher Martha durch die Äusse-
rung, daſs auch jezt noch der Vater ihm gewähren werde,
was er bitte, mehr gesagt: so daſs, wenn dergleichen
Hoffnungen erst von aussen in Jesu angeregt wurden, die-
selben schon früher angeregt sein muſsten, und namentlich
vor jenem Weinen Jesu, auf welches man sich dafür, daſs
sie noch nicht angeregt gewesen, zu berufen pflegt.

Daſs die Äusserung der Martha, als Jesus den Stein
vom Grabe zu nehmen befiehlt: κύριε, ἤδη ὄζει (V. 39.),
für die wirklich schon eingetretene Verwesung und also
gegen die Möglichkeit einer natürlichen Wiederbelebung
nichts beweise, da sie auch bloſser Schluſs aus dem τεταρ-
ταῖος sein kann, ist auch von supranaturalistischen Aus-
legern eingeräumt worden 25). Hierauf aber die Worte,
mit welchen Jesus, die Einrede der Martha ablehnend,
auf der Öffnung des μνημεῖον besteht (V. 40.), daſs sie,
wenn sie nur glaube, τὴν δοξαν τοῦ ϑεοῦ sehen werde, wie
konnte er diese aussprechen, wenn er sich seiner Macht,
den Lazarus zu erwecken, nicht auf's Bestimmteste bewuſst
war? Nach Paulus sagte jener Ausspruch nur allgemein,
daſs der Vertrauensvolle auf irgend eine Weise eine herr-
liche Äusserung der Gottheit erlebe. Allein welche herr-
liche Äusserung der Gottheit war denn hier, bei Eröffnung
der Gruft eines seit vier Tagen Begrabenen zu erleben,
wenn nicht die, daſs er auferweckt werden sollte? und
im Gegensaz vollends gegen die Versicherung der Martha,
daſs den Bruder bereits die Verwesung ergriffen haben müs-
se, was können jene Worte für einen Sinn haben, als,
hier sei der Mann, der Verwesung zu wehren? Um aber
ganz sicher zu erfahren, was die δόξα τοῦ ϑεοῦ in unserer

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[149/0168] Neuntes Kapitel. §. 96. den Todten wiedererwecken könne, sondern nur die Ver- muthung, daſs er vielleicht den Kranken am Leben zu er- halten im Stande gewesen wäre, sprachen ja die Juden aus; es hatte also schon früher Martha durch die Äusse- rung, daſs auch jezt noch der Vater ihm gewähren werde, was er bitte, mehr gesagt: so daſs, wenn dergleichen Hoffnungen erst von aussen in Jesu angeregt wurden, die- selben schon früher angeregt sein muſsten, und namentlich vor jenem Weinen Jesu, auf welches man sich dafür, daſs sie noch nicht angeregt gewesen, zu berufen pflegt. Daſs die Äusserung der Martha, als Jesus den Stein vom Grabe zu nehmen befiehlt: κύριε, ἤδη ὄζει (V. 39.), für die wirklich schon eingetretene Verwesung und also gegen die Möglichkeit einer natürlichen Wiederbelebung nichts beweise, da sie auch bloſser Schluſs aus dem τεταρ- ταῖος sein kann, ist auch von supranaturalistischen Aus- legern eingeräumt worden 25). Hierauf aber die Worte, mit welchen Jesus, die Einrede der Martha ablehnend, auf der Öffnung des μνημεῖον besteht (V. 40.), daſs sie, wenn sie nur glaube, τὴν δοξαν τοῦ ϑεοῦ sehen werde, wie konnte er diese aussprechen, wenn er sich seiner Macht, den Lazarus zu erwecken, nicht auf's Bestimmteste bewuſst war? Nach Paulus sagte jener Ausspruch nur allgemein, daſs der Vertrauensvolle auf irgend eine Weise eine herr- liche Äusserung der Gottheit erlebe. Allein welche herr- liche Äusserung der Gottheit war denn hier, bei Eröffnung der Gruft eines seit vier Tagen Begrabenen zu erleben, wenn nicht die, daſs er auferweckt werden sollte? und im Gegensaz vollends gegen die Versicherung der Martha, daſs den Bruder bereits die Verwesung ergriffen haben müs- se, was können jene Worte für einen Sinn haben, als, hier sei der Mann, der Verwesung zu wehren? Um aber ganz sicher zu erfahren, was die δόξα τοῦ ϑεοῦ in unserer 25) Flatt, S. 106; Olshausen, 2, S. 269.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/168>, abgerufen am 22.11.2024.