ten in noch anderer Verbindung zukommen konnte; denn auch noch einer dritten Heilungsgeschichte ist ein ähnlicher Ausspruch beigesellt. Lukas nämlich erzählt 13, 10 ff. die von Jesu am Sabbat vollzogene Heilung einer dämonisch zusammengebückten Frau, wo auf die Beschwerde des Syn- agogenvorstehers Jesus die Frage zurückgiebt, ob denn nicht jeder am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe löse und zur Tränke führe? eine Frage, in wel- cher die Variation der obigen nicht zu verkennen ist. So ganz identisch erscheint diese Geschichte mit der zulezt er- wähnten, dass Schleiermacher daraus, dass bei der zwei- ten nicht auf die vorhergehende zurückgewiesen, und so die Wiederholung durch das Eingeständniss entschuldigt ist, schliesst, es könne Luc. 13, 10 -- 14, 5. nicht von demsel- ben Verfasser hintereinander geschrieben sein 15).
Haben wir hienach gleich nicht drei verschiedene Vorfälle hier, sondern nur drei verschiedene Rahmen, in welche die Sage das unvergessliche, wahrhaft volksthümli- che Diktum von dem am Sabbat zu rettenden oder zu ver- sorgenden Hausthier gefasst hat: so muss doch, scheint es, wenn wir Jesu eine so originelle und angemessene Re- de nicht absprechen wollen, irgend eine, am Sabbat vor- gefallene Heilung zum Grunde liegen. Nur nicht gerade eine wunderbare. Sondern wie Lukas in der zulezt an- geführten Stelle jenen Ausspruch mit der Heilung einer dämonischen Frau verbindet, so könnte er von Jesu bei Ge- legenheit einer jener Heilungen von Dämonischen, deren natürliche Möglichkeit wir unter gewissen Einschränkun- gen zugegeben haben, gethan worden sein; oder kann Je- sus auch, wenn er bei Krankheitsfällen unter seiner Ge- sellschaft in Anwendung der üblichen Medikamente auf den Sabbat keine Rücksicht nahm, jene Appellation an den praktischen Menschenverstand zu seiner Rechtfertigung
15) a. a. O. S. 196.
Zweiter Abschnitt.
ten in noch anderer Verbindung zukommen konnte; denn auch noch einer dritten Heilungsgeschichte ist ein ähnlicher Ausspruch beigesellt. Lukas nämlich erzählt 13, 10 ff. die von Jesu am Sabbat vollzogene Heilung einer dämonisch zusammengebückten Frau, wo auf die Beschwerde des Syn- agogenvorstehers Jesus die Frage zurückgiebt, ob denn nicht jeder am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe löse und zur Tränke führe? eine Frage, in wel- cher die Variation der obigen nicht zu verkennen ist. So ganz identisch erscheint diese Geschichte mit der zulezt er- wähnten, daſs Schleiermacher daraus, daſs bei der zwei- ten nicht auf die vorhergehende zurückgewiesen, und so die Wiederholung durch das Eingeständniſs entschuldigt ist, schlieſst, es könne Luc. 13, 10 — 14, 5. nicht von demsel- ben Verfasser hintereinander geschrieben sein 15).
Haben wir hienach gleich nicht drei verschiedene Vorfälle hier, sondern nur drei verschiedene Rahmen, in welche die Sage das unvergeſsliche, wahrhaft volksthümli- che Diktum von dem am Sabbat zu rettenden oder zu ver- sorgenden Hausthier gefaſst hat: so muſs doch, scheint es, wenn wir Jesu eine so originelle und angemessene Re- de nicht absprechen wollen, irgend eine, am Sabbat vor- gefallene Heilung zum Grunde liegen. Nur nicht gerade eine wunderbare. Sondern wie Lukas in der zulezt an- geführten Stelle jenen Ausspruch mit der Heilung einer dämonischen Frau verbindet, so könnte er von Jesu bei Ge- legenheit einer jener Heilungen von Dämonischen, deren natürliche Möglichkeit wir unter gewissen Einschränkun- gen zugegeben haben, gethan worden sein; oder kann Je- sus auch, wenn er bei Krankheitsfällen unter seiner Ge- sellschaft in Anwendung der üblichen Medikamente auf den Sabbat keine Rücksicht nahm, jene Appellation an den praktischen Menschenverstand zu seiner Rechtfertigung
15) a. a. O. S. 196.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0147"n="128"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
ten in noch anderer Verbindung zukommen konnte; denn<lb/>
auch noch einer dritten Heilungsgeschichte ist ein ähnlicher<lb/>
Ausspruch beigesellt. Lukas nämlich erzählt 13, 10 ff. die<lb/>
von Jesu am Sabbat vollzogene Heilung einer dämonisch<lb/>
zusammengebückten Frau, wo auf die Beschwerde des Syn-<lb/>
agogenvorstehers Jesus die Frage zurückgiebt, ob denn<lb/>
nicht jeder am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der<lb/>
Krippe löse und zur Tränke führe? eine Frage, in wel-<lb/>
cher die Variation der obigen nicht zu verkennen ist. So<lb/>
ganz identisch erscheint diese Geschichte mit der zulezt er-<lb/>
wähnten, daſs <hirendition="#k">Schleiermacher</hi> daraus, daſs bei der zwei-<lb/>
ten nicht auf die vorhergehende zurückgewiesen, und so<lb/>
die Wiederholung durch das Eingeständniſs entschuldigt ist,<lb/>
schlieſst, es könne Luc. 13, 10 — 14, 5. nicht von demsel-<lb/>
ben Verfasser hintereinander geschrieben sein <noteplace="foot"n="15)">a. a. O. S. 196.</note>.</p><lb/><p>Haben wir hienach gleich nicht drei verschiedene<lb/>
Vorfälle hier, sondern nur drei verschiedene Rahmen, in<lb/>
welche die Sage das unvergeſsliche, wahrhaft volksthümli-<lb/>
che Diktum von dem am Sabbat zu rettenden oder zu ver-<lb/>
sorgenden Hausthier gefaſst hat: so muſs doch, scheint<lb/>
es, wenn wir Jesu eine so originelle und angemessene Re-<lb/>
de nicht absprechen wollen, irgend eine, am Sabbat vor-<lb/>
gefallene Heilung zum Grunde liegen. Nur nicht gerade<lb/>
eine wunderbare. Sondern wie Lukas in der zulezt an-<lb/>
geführten Stelle jenen Ausspruch mit der Heilung einer<lb/>
dämonischen Frau verbindet, so könnte er von Jesu bei Ge-<lb/>
legenheit einer jener Heilungen von Dämonischen, deren<lb/>
natürliche Möglichkeit wir unter gewissen Einschränkun-<lb/>
gen zugegeben haben, gethan worden sein; oder kann Je-<lb/>
sus auch, wenn er bei Krankheitsfällen unter seiner Ge-<lb/>
sellschaft in Anwendung der üblichen Medikamente auf<lb/>
den Sabbat keine Rücksicht nahm, jene Appellation an<lb/>
den praktischen Menschenverstand zu seiner Rechtfertigung<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[128/0147]
Zweiter Abschnitt.
ten in noch anderer Verbindung zukommen konnte; denn
auch noch einer dritten Heilungsgeschichte ist ein ähnlicher
Ausspruch beigesellt. Lukas nämlich erzählt 13, 10 ff. die
von Jesu am Sabbat vollzogene Heilung einer dämonisch
zusammengebückten Frau, wo auf die Beschwerde des Syn-
agogenvorstehers Jesus die Frage zurückgiebt, ob denn
nicht jeder am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der
Krippe löse und zur Tränke führe? eine Frage, in wel-
cher die Variation der obigen nicht zu verkennen ist. So
ganz identisch erscheint diese Geschichte mit der zulezt er-
wähnten, daſs Schleiermacher daraus, daſs bei der zwei-
ten nicht auf die vorhergehende zurückgewiesen, und so
die Wiederholung durch das Eingeständniſs entschuldigt ist,
schlieſst, es könne Luc. 13, 10 — 14, 5. nicht von demsel-
ben Verfasser hintereinander geschrieben sein 15).
Haben wir hienach gleich nicht drei verschiedene
Vorfälle hier, sondern nur drei verschiedene Rahmen, in
welche die Sage das unvergeſsliche, wahrhaft volksthümli-
che Diktum von dem am Sabbat zu rettenden oder zu ver-
sorgenden Hausthier gefaſst hat: so muſs doch, scheint
es, wenn wir Jesu eine so originelle und angemessene Re-
de nicht absprechen wollen, irgend eine, am Sabbat vor-
gefallene Heilung zum Grunde liegen. Nur nicht gerade
eine wunderbare. Sondern wie Lukas in der zulezt an-
geführten Stelle jenen Ausspruch mit der Heilung einer
dämonischen Frau verbindet, so könnte er von Jesu bei Ge-
legenheit einer jener Heilungen von Dämonischen, deren
natürliche Möglichkeit wir unter gewissen Einschränkun-
gen zugegeben haben, gethan worden sein; oder kann Je-
sus auch, wenn er bei Krankheitsfällen unter seiner Ge-
sellschaft in Anwendung der üblichen Medikamente auf
den Sabbat keine Rücksicht nahm, jene Appellation an
den praktischen Menschenverstand zu seiner Rechtfertigung
15) a. a. O. S. 196.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/147>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.