Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. lung aus der Ferne berichtet, in welcher das Wunder umso grösser erscheint, je weiter die Distanz zwischen dem Heilenden und Geheilten ist. Wird nun die mündliche Überlieferung, wenn sich die Erzählung in dieser fort- pflanzt, eine Neigung haben, jene Entfernung, und damit das Wunder, zu verkleinern, so dass wir in der Darstel- lung des Johannes, der Jesum die Heilung von einem Orte aus verrichten lässt, von welchem der Hofbeamte erst am andern Tag bei dem Geheilten ankommt, die ursprüngliche, in der der Synoptiker dagegen, welche Jesum mit dem kranken Knecht in derselben Stadt sich befinden lassen, die traditionell umgebildete Erzählung hätten? Nur das Um- gekehrte kann der Sage gemäss gefunden werden, und auch hierin also zeigt sich der johanneische Bericht als ein abgeleiteter. Besonders gemacht zeigt sich noch die Pünktlichkeit, mit welcher im vierten Evangelium die Stun- de der Genesung des Kranken ausgemittelt wird. Aus dem einfachen, auch sonst am Schlusse von Heilungsgeschichten vorkommenden iathe en te ora ekeine des Matthäus ist ei- ne Nachfrage des Vaters nach der ora en e kompsoteron eskhe, eine Antwort der Knechte: oti khthes, oran ebdomen, apheken auton o puretos, und endlich das Resultat, dass en ekeine teeora, en e eipen auto o I. o uios souze, die- ser wirklich gesund geworden sei, gemacht: eine ängstli- che Genauigkeit, eine Quälerei mit der Rechnung, welche weit mehr das Streben des Referenten, das Wunder zu constatiren, als den ursprünglichen Hergang der Sache zu zeigen scheint. Darin, dass er den basilikos persönlich mit Jesu verhandeln lässt, hat der Verfasser des vierten Evan- geliums mehr als der des dritten die ursprüngliche Ein- fachheit der Erzählung bewahrt, wiewohl er, wie bemerkt, in den entgegenkommenden Knechten einen Anklang an die zweite Botschaft des Lukas hat. In dem Hauptdiffe- renzpunkt aber, der den Charakter des Bittstellers betrifft, könnte man mit Anwendung unsers eigenen Massstabes dem Zweiter Abschnitt. lung aus der Ferne berichtet, in welcher das Wunder umso gröſser erscheint, je weiter die Distanz zwischen dem Heilenden und Geheilten ist. Wird nun die mündliche Überlieferung, wenn sich die Erzählung in dieser fort- pflanzt, eine Neigung haben, jene Entfernung, und damit das Wunder, zu verkleinern, so daſs wir in der Darstel- lung des Johannes, der Jesum die Heilung von einem Orte aus verrichten läſst, von welchem der Hofbeamte erst am andern Tag bei dem Geheilten ankommt, die ursprüngliche, in der der Synoptiker dagegen, welche Jesum mit dem kranken Knecht in derselben Stadt sich befinden lassen, die traditionell umgebildete Erzählung hätten? Nur das Um- gekehrte kann der Sage gemäſs gefunden werden, und auch hierin also zeigt sich der johanneische Bericht als ein abgeleiteter. Besonders gemacht zeigt sich noch die Pünktlichkeit, mit welcher im vierten Evangelium die Stun- de der Genesung des Kranken ausgemittelt wird. Aus dem einfachen, auch sonst am Schlusse von Heilungsgeschichten vorkommenden ἰάϑη ἐν τῇ ὥρᾳ ἐκείνῃ des Matthäus ist ei- ne Nachfrage des Vaters nach der ὥρα ἐν ᾖ κομψότερον ἔσχε, eine Antwort der Knechte: ὅτι χϑὲς, ὥραν ἑβδόμην, ἀφῆκεν αὐτὸν ὁ πυρετὸς, und endlich das Resultat, daſs ἐν ἐκείνῃ τἥἥὥρᾳ, ἐν ᾖ εἶπεν αὐτῷ ὁ Ἰ. ὁ υἱός σουζῇ, die- ser wirklich gesund geworden sei, gemacht: eine ängstli- che Genauigkeit, eine Quälerei mit der Rechnung, welche weit mehr das Streben des Referenten, das Wunder zu constatiren, als den ursprünglichen Hergang der Sache zu zeigen scheint. Darin, daſs er den βασιλικὸς persönlich mit Jesu verhandeln läſst, hat der Verfasser des vierten Evan- geliums mehr als der des dritten die ursprüngliche Ein- fachheit der Erzählung bewahrt, wiewohl er, wie bemerkt, in den entgegenkommenden Knechten einen Anklang an die zweite Botschaft des Lukas hat. 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Zweiter Abschnitt.
lung aus der Ferne berichtet, in welcher das Wunder um
so gröſser erscheint, je weiter die Distanz zwischen dem
Heilenden und Geheilten ist. Wird nun die mündliche
Überlieferung, wenn sich die Erzählung in dieser fort-
pflanzt, eine Neigung haben, jene Entfernung, und damit
das Wunder, zu verkleinern, so daſs wir in der Darstel-
lung des Johannes, der Jesum die Heilung von einem Orte
aus verrichten läſst, von welchem der Hofbeamte erst am
andern Tag bei dem Geheilten ankommt, die ursprüngliche,
in der der Synoptiker dagegen, welche Jesum mit dem
kranken Knecht in derselben Stadt sich befinden lassen, die
traditionell umgebildete Erzählung hätten? Nur das Um-
gekehrte kann der Sage gemäſs gefunden werden, und
auch hierin also zeigt sich der johanneische Bericht als
ein abgeleiteter. Besonders gemacht zeigt sich noch die
Pünktlichkeit, mit welcher im vierten Evangelium die Stun-
de der Genesung des Kranken ausgemittelt wird. Aus dem
einfachen, auch sonst am Schlusse von Heilungsgeschichten
vorkommenden ἰάϑη ἐν τῇ ὥρᾳ ἐκείνῃ des Matthäus ist ei-
ne Nachfrage des Vaters nach der ὥρα ἐν ᾖ κομψότερον
ἔσχε, eine Antwort der Knechte: ὅτι χϑὲς, ὥραν ἑβδόμην,
ἀφῆκεν αὐτὸν ὁ πυρετὸς, und endlich das Resultat, daſs
ἐν ἐκείνῃ τἥἥὥρᾳ, ἐν ᾖ εἶπεν αὐτῷ ὁ Ἰ. ὁ υἱός σουζῇ, die-
ser wirklich gesund geworden sei, gemacht: eine ängstli-
che Genauigkeit, eine Quälerei mit der Rechnung, welche
weit mehr das Streben des Referenten, das Wunder zu
constatiren, als den ursprünglichen Hergang der Sache zu
zeigen scheint. Darin, daſs er den βασιλικὸς persönlich mit
Jesu verhandeln läſst, hat der Verfasser des vierten Evan-
geliums mehr als der des dritten die ursprüngliche Ein-
fachheit der Erzählung bewahrt, wiewohl er, wie bemerkt,
in den entgegenkommenden Knechten einen Anklang an
die zweite Botschaft des Lukas hat. In dem Hauptdiffe-
renzpunkt aber, der den Charakter des Bittstellers betrifft,
könnte man mit Anwendung unsers eigenen Maſsstabes dem
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