Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuntes Kapitel. §. 94.
ähnliche Art an Jesum gewendet, und sein Beispiel ebenso
durch Demuth zu übertreffen gesucht habe, wie der erste
Hauptmann (Matth.), dem die frühere Geschichte des Hof-
manns (Joh.) bekannt gewesen sei, das schwache Vertrauen
dieses lezteren habe übertreffen wollen, und dass endlich
Jesus alle drei Patienten auf dieselbe Weise aus der Ferne
geheilt habe. Allein der Vorfall, dass ein vornehmer Be-
amter von Kapernaum Jesum um die Heilung eines Ange-
hörigen bat, und Jesus aus der Entfernung so auf diesen
einwirkte, dass um dieselbe Zeit, da Jesus das heilende
Wort sprach, der Kranke zu Hause genas, ist so einzig
in seiner Art, dass eine dreimalige Wiederholung dessel-
ben unmöglich angenommen werden kann, und auch schon
eine bloss zweimalige Schwierigkeiten hat; wesswegen der
Versuch gemacht werden muss, ob nicht die drei Berichte
auf Eine Grundlage zurückgeführt werden können.

Hier ist nun die am allgemeinsten für verschiedenartig
gehaltene Erzählung des vierten Evangelisten nicht allein
in den schon angegebenen Grundzügen der synoptischen
verwandt, sondern in manchen bemerkenswerthen Einzel-
heiten stimmt einer oder der andere der beiden synopti-
schen Referenten genauer mit Johannes zusammen als mit
dem andern Synoptiker. So, während in dem Zuge, dass
er den Kranken als pais bezeichnet, Matthäus mindestens
ebensowohl mit dem johanneischen uios übereinstimmend
gefunden werden kann, als mit dem doulos des Lukas, tref-
fen Matthäus und Johannes darin entschieden zusammen,
dass nach beiden der kapernaitische Beamte sich unmittel-
bar an Jesum selber wendet, und nicht, wie bei Lukas,
durch Vermittler. Dagegen stimmt der johanneische Be-
richt mit dem des Lukas gegen den Matthäus in der Be-
schreibung des Zustandes überein, in welchem der Lei-
dende sich befunden haben soll: beide wissen nichts von
der paralusis, von welcher Matthäus spricht, sondern be-
zeichnen den Kranken als dem Tode nahe, Lukas durch

Neuntes Kapitel. §. 94.
ähnliche Art an Jesum gewendet, und sein Beispiel ebenso
durch Demuth zu übertreffen gesucht habe, wie der erste
Hauptmann (Matth.), dem die frühere Geschichte des Hof-
manns (Joh.) bekannt gewesen sei, das schwache Vertrauen
dieses lezteren habe übertreffen wollen, und daſs endlich
Jesus alle drei Patienten auf dieselbe Weise aus der Ferne
geheilt habe. Allein der Vorfall, daſs ein vornehmer Be-
amter von Kapernaum Jesum um die Heilung eines Ange-
hörigen bat, und Jesus aus der Entfernung so auf diesen
einwirkte, daſs um dieselbe Zeit, da Jesus das heilende
Wort sprach, der Kranke zu Hause genas, ist so einzig
in seiner Art, daſs eine dreimalige Wiederholung dessel-
ben unmöglich angenommen werden kann, und auch schon
eine bloſs zweimalige Schwierigkeiten hat; weſswegen der
Versuch gemacht werden muſs, ob nicht die drei Berichte
auf Eine Grundlage zurückgeführt werden können.

Hier ist nun die am allgemeinsten für verschiedenartig
gehaltene Erzählung des vierten Evangelisten nicht allein
in den schon angegebenen Grundzügen der synoptischen
verwandt, sondern in manchen bemerkenswerthen Einzel-
heiten stimmt einer oder der andere der beiden synopti-
schen Referenten genauer mit Johannes zusammen als mit
dem andern Synoptiker. So, während in dem Zuge, daſs
er den Kranken als παῖς bezeichnet, Matthäus mindestens
ebensowohl mit dem johanneischen υἱὸς übereinstimmend
gefunden werden kann, als mit dem δοῦλος des Lukas, tref-
fen Matthäus und Johannes darin entschieden zusammen,
daſs nach beiden der kapernaitische Beamte sich unmittel-
bar an Jesum selber wendet, und nicht, wie bei Lukas,
durch Vermittler. Dagegen stimmt der johanneische Be-
richt mit dem des Lukas gegen den Matthäus in der Be-
schreibung des Zustandes überein, in welchem der Lei-
dende sich befunden haben soll: beide wissen nichts von
der παράλυσις, von welcher Matthäus spricht, sondern be-
zeichnen den Kranken als dem Tode nahe, Lukas durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0126" n="107"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 94.</fw><lb/>
ähnliche Art an Jesum gewendet, und sein Beispiel ebenso<lb/>
durch Demuth zu übertreffen gesucht habe, wie der erste<lb/>
Hauptmann (Matth.), dem die frühere Geschichte des Hof-<lb/>
manns (Joh.) bekannt gewesen sei, das schwache Vertrauen<lb/>
dieses lezteren habe übertreffen wollen, und da&#x017F;s endlich<lb/>
Jesus alle drei Patienten auf dieselbe Weise aus der Ferne<lb/>
geheilt habe. Allein der Vorfall, da&#x017F;s ein vornehmer Be-<lb/>
amter von Kapernaum Jesum um die Heilung eines Ange-<lb/>
hörigen bat, und Jesus aus der Entfernung so auf diesen<lb/>
einwirkte, da&#x017F;s um dieselbe Zeit, da Jesus das heilende<lb/>
Wort sprach, der Kranke zu Hause genas, ist so einzig<lb/>
in seiner Art, da&#x017F;s eine dreimalige Wiederholung dessel-<lb/>
ben unmöglich angenommen werden kann, und auch schon<lb/>
eine blo&#x017F;s zweimalige Schwierigkeiten hat; we&#x017F;swegen der<lb/>
Versuch gemacht werden mu&#x017F;s, ob nicht die drei Berichte<lb/>
auf Eine Grundlage zurückgeführt werden können.</p><lb/>
          <p>Hier ist nun die am allgemeinsten für verschiedenartig<lb/>
gehaltene Erzählung des vierten Evangelisten nicht allein<lb/>
in den schon angegebenen Grundzügen der synoptischen<lb/>
verwandt, sondern in manchen bemerkenswerthen Einzel-<lb/>
heiten stimmt einer oder der andere der beiden synopti-<lb/>
schen Referenten genauer mit Johannes zusammen als mit<lb/>
dem andern Synoptiker. So, während in dem Zuge, da&#x017F;s<lb/>
er den Kranken als &#x03C0;&#x03B1;&#x1FD6;&#x03C2; bezeichnet, Matthäus mindestens<lb/>
ebensowohl mit dem johanneischen <foreign xml:lang="ell">&#x03C5;&#x1F31;&#x1F78;&#x03C2;</foreign> übereinstimmend<lb/>
gefunden werden kann, als mit dem <foreign xml:lang="ell">&#x03B4;&#x03BF;&#x03C5;&#x0342;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C2;</foreign> des Lukas, tref-<lb/>
fen Matthäus und Johannes darin entschieden zusammen,<lb/>
da&#x017F;s nach beiden der kapernaitische Beamte sich unmittel-<lb/>
bar an Jesum selber wendet, und nicht, wie bei Lukas,<lb/>
durch Vermittler. Dagegen stimmt der johanneische Be-<lb/>
richt mit dem des Lukas gegen den Matthäus in der Be-<lb/>
schreibung des Zustandes überein, in welchem der Lei-<lb/>
dende sich befunden haben soll: beide wissen nichts von<lb/>
der &#x03C0;&#x03B1;&#x03C1;&#x03AC;&#x03BB;&#x03C5;&#x03C3;&#x03B9;&#x03C2;, von welcher Matthäus spricht, sondern be-<lb/>
zeichnen den Kranken als dem Tode nahe, Lukas durch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0126] Neuntes Kapitel. §. 94. ähnliche Art an Jesum gewendet, und sein Beispiel ebenso durch Demuth zu übertreffen gesucht habe, wie der erste Hauptmann (Matth.), dem die frühere Geschichte des Hof- manns (Joh.) bekannt gewesen sei, das schwache Vertrauen dieses lezteren habe übertreffen wollen, und daſs endlich Jesus alle drei Patienten auf dieselbe Weise aus der Ferne geheilt habe. Allein der Vorfall, daſs ein vornehmer Be- amter von Kapernaum Jesum um die Heilung eines Ange- hörigen bat, und Jesus aus der Entfernung so auf diesen einwirkte, daſs um dieselbe Zeit, da Jesus das heilende Wort sprach, der Kranke zu Hause genas, ist so einzig in seiner Art, daſs eine dreimalige Wiederholung dessel- ben unmöglich angenommen werden kann, und auch schon eine bloſs zweimalige Schwierigkeiten hat; weſswegen der Versuch gemacht werden muſs, ob nicht die drei Berichte auf Eine Grundlage zurückgeführt werden können. Hier ist nun die am allgemeinsten für verschiedenartig gehaltene Erzählung des vierten Evangelisten nicht allein in den schon angegebenen Grundzügen der synoptischen verwandt, sondern in manchen bemerkenswerthen Einzel- heiten stimmt einer oder der andere der beiden synopti- schen Referenten genauer mit Johannes zusammen als mit dem andern Synoptiker. So, während in dem Zuge, daſs er den Kranken als παῖς bezeichnet, Matthäus mindestens ebensowohl mit dem johanneischen υἱὸς übereinstimmend gefunden werden kann, als mit dem δοῦλος des Lukas, tref- fen Matthäus und Johannes darin entschieden zusammen, daſs nach beiden der kapernaitische Beamte sich unmittel- bar an Jesum selber wendet, und nicht, wie bei Lukas, durch Vermittler. Dagegen stimmt der johanneische Be- richt mit dem des Lukas gegen den Matthäus in der Be- schreibung des Zustandes überein, in welchem der Lei- dende sich befunden haben soll: beide wissen nichts von der παράλυσις, von welcher Matthäus spricht, sondern be- zeichnen den Kranken als dem Tode nahe, Lukas durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/126
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/126>, abgerufen am 22.11.2024.