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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Einleitung. §. 12.
sich anzueignen und auszudrücken im Stande waren: so
wird man erkennen: es musste unter diesen Umständen
entstehen was entstanden ist, eine Reihe heiliger Erzäh-
lungen, durch welche man die ganze Masse neuer, durch
Jesum angeregter, so wie alter, auf ihn übertragener Ideen
als einzelne Momente seines Lebens sich zur Anschauung
brachte. Das einfache historische Gerüste des Lebens Je-
su, dass er zu Nazaret aufgewachsen sei, von Johannes
sich habe taufen lassen, Jünger gesammelt habe, im jüdi-
schen Lande lehrend umhergezogen sei, überall dem Pha-
risäismus sich entgegengestellt und zum Messiasreiche ein-
geladen habe, dass er aber am Ende dem Hass und Neid
der pharisäischen Partei erlegen, und am Kreuze gestor-
ben sei: -- dieses Gerüste wurde mit den manchfaltigsten
und sinnvollsten Gewinden frommer Reflexionen und Phan-
tasieen umgeben, indem alle Ideen, welche die erste Chri-
stenheit über ihren entrissenen Meister hatte, in Thatsa-
chen verwandelt, seinem Lebenslaufe eingewoben wurden.
Den reichsten Stoff zu dieser mythischen Verzierung lie-
ferte das alte Testament, in welchem die erste, vornehm-
lich aus dem Judenthum gesammelte Christengemeinde lebte
und webte. Jesus als der grösste Prophet musste in sei-
nem Leben und seinen Thaten Alles vereinigt und überbo-
ten haben, was die alten Propheten, von welchen das A.
T. erzählt, gethan und erlebt hatten; er als der Erneurer
der hebräischen Religion durfte hinter dem ersten Gesez-
geber in keinem Stücke zurückgeblieben sein 31); an ihm,

31) Die A. T.liche Fundamentalstelle für dieses vorbildliche
Verhältniss des Moses zum Messias ist die auch im N. T.
A. G. 3, 22. 7, 37. messianisch gedeutete Stelle 5. Mos. 18,
15., wo Moses zu dem Volke spricht: propheten ek ton
adelphon sou, os eme, anasesei soi Kurios o theos sou,
autou akousesthe (LXX.). Daher denn das jüdische Dogma:

Einleitung. §. 12.
sich anzueignen und auszudrücken im Stande waren: so
wird man erkennen: es muſste unter diesen Umständen
entstehen was entstanden ist, eine Reihe heiliger Erzäh-
lungen, durch welche man die ganze Masse neuer, durch
Jesum angeregter, so wie alter, auf ihn übertragener Ideen
als einzelne Momente seines Lebens sich zur Anschauung
brachte. Das einfache historische Gerüste des Lebens Je-
su, daſs er zu Nazaret aufgewachsen sei, von Johannes
sich habe taufen lassen, Jünger gesammelt habe, im jüdi-
schen Lande lehrend umhergezogen sei, überall dem Pha-
risäismus sich entgegengestellt und zum Messiasreiche ein-
geladen habe, daſs er aber am Ende dem Haſs und Neid
der pharisäischen Partei erlegen, und am Kreuze gestor-
ben sei: — dieses Gerüste wurde mit den manchfaltigsten
und sinnvollsten Gewinden frommer Reflexionen und Phan-
tasieen umgeben, indem alle Ideen, welche die erste Chri-
stenheit über ihren entrissenen Meister hatte, in Thatsa-
chen verwandelt, seinem Lebenslaufe eingewoben wurden.
Den reichsten Stoff zu dieser mythischen Verzierung lie-
ferte das alte Testament, in welchem die erste, vornehm-
lich aus dem Judenthum gesammelte Christengemeinde lebte
und webte. Jesus als der gröſste Prophet muſste in sei-
nem Leben und seinen Thaten Alles vereinigt und überbo-
ten haben, was die alten Propheten, von welchen das A.
T. erzählt, gethan und erlebt hatten; er als der Erneurer
der hebräischen Religion durfte hinter dem ersten Gesez-
geber in keinem Stücke zurückgeblieben sein 31); an ihm,

31) Die A. T.liche Fundamentalstelle für dieses vorbildliche
Verhältniss des Moses zum Messias ist die auch im N. T.
A. G. 3, 22. 7, 37. messianisch gedeutete Stelle 5. Mos. 18,
15., wo Moses zu dem Volke spricht: προφήτην ἐκ τῶν
ἀδελφῶν σου, ὡς ἐμὲ, ἀναςήσει σοι Κύριος ὁ ϑεός σου,
ἀυτοῦ ἀκούσεσϑε (LXX.). Daher denn das jüdische Dogma:
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[72/0096] Einleitung. §. 12. sich anzueignen und auszudrücken im Stande waren: so wird man erkennen: es muſste unter diesen Umständen entstehen was entstanden ist, eine Reihe heiliger Erzäh- lungen, durch welche man die ganze Masse neuer, durch Jesum angeregter, so wie alter, auf ihn übertragener Ideen als einzelne Momente seines Lebens sich zur Anschauung brachte. Das einfache historische Gerüste des Lebens Je- su, daſs er zu Nazaret aufgewachsen sei, von Johannes sich habe taufen lassen, Jünger gesammelt habe, im jüdi- schen Lande lehrend umhergezogen sei, überall dem Pha- risäismus sich entgegengestellt und zum Messiasreiche ein- geladen habe, daſs er aber am Ende dem Haſs und Neid der pharisäischen Partei erlegen, und am Kreuze gestor- ben sei: — dieses Gerüste wurde mit den manchfaltigsten und sinnvollsten Gewinden frommer Reflexionen und Phan- tasieen umgeben, indem alle Ideen, welche die erste Chri- stenheit über ihren entrissenen Meister hatte, in Thatsa- chen verwandelt, seinem Lebenslaufe eingewoben wurden. Den reichsten Stoff zu dieser mythischen Verzierung lie- ferte das alte Testament, in welchem die erste, vornehm- lich aus dem Judenthum gesammelte Christengemeinde lebte und webte. Jesus als der gröſste Prophet muſste in sei- nem Leben und seinen Thaten Alles vereinigt und überbo- ten haben, was die alten Propheten, von welchen das A. T. erzählt, gethan und erlebt hatten; er als der Erneurer der hebräischen Religion durfte hinter dem ersten Gesez- geber in keinem Stücke zurückgeblieben sein 31); an ihm, 31) Die A. T.liche Fundamentalstelle für dieses vorbildliche Verhältniss des Moses zum Messias ist die auch im N. T. A. G. 3, 22. 7, 37. messianisch gedeutete Stelle 5. Mos. 18, 15., wo Moses zu dem Volke spricht: προφήτην ἐκ τῶν ἀδελφῶν σου, ὡς ἐμὲ, ἀναςήσει σοι Κύριος ὁ ϑεός σου, ἀυτοῦ ἀκούσεσϑε (LXX.). Daher denn das jüdische Dogma:

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/96>, abgerufen am 24.11.2024.