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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
Frau des Hebräerevangeliums und des Papias für die Ehe-
brecherin des Johannes zu halten. Hat man hiegegen mit
Recht erinnert, die wegen vieler Sünden bei Jesus Ver-
läumdete sei doch eine andre als die auf der Einen That
des Ehebruchs Ertappte 7): so muss ich mich wundern,
dass meines Wissens noch Niemand auf den Einfall ge-
kommen ist, bei der Stelle des Eusebius vielmehr an die
Sünderin des Lukas zu denken, von welcher Jesus eben
sagt, dass ihr amartiai pollai vergeben seien. Freilich
passt zu dieser das diabletheises nicht ganz, da bei Lukas
nicht von wirklichen Äusserungen des Pharisäers zum
Nachtheil der Frau, sondern nur von ungünstigen Ge-
danken, die er hatte, die Rede ist, und in dieser Hin-
sicht würde zu der Eusebischen Stelle hinwiederum die
johanneische Erzählung besser passen, welche ein aus-
drückliches Anbringen, ein diaballein, hat.

So sind wir durch einen äussern Grund, durch den
Zweifel, ob eine alte Erwähnung sich auf die eine oder
andere beziehe, auf die Verwandtschaft der beiden Erzäh-
lungen geführt 8), welche aus inneren Gründen ohnehin
von solber einleuchten muss. Beidemale ein Weib, eine
Sünderin, vor Jesu; diese beidemale von pharisäischer
Scheinheiligkeit übel angesehen, von Jesu aber in Schutz
genommen, und mit einem friedlichen poreuou entlassen.
Gerade diese Züge wussten wir in der Erzählung des Lu-
kas, sofern sie nur eine Variation von der Salbungsge-
schichte der übrigen Evangelisten sein sollte, in ihrer Ent-
stehung nicht zu begreifen. Was liegt also näher, als an-
zunehmen, dass sie aus der Geschichte von der losgespro-

isorian peri gunaikos epi pollais amartiais diablethei-
ses epi tou; Kuriou, en to kath' Ebraious euaggelion pe-
riekhei.
7) Lücke, 2, S. 217. Paulus, Comm. 4, S. 410.
8) Auch sonst wurden beide verwechselt, s. Fabricii Cod. apo-
cryph. N T. 1, S. 357. not.

Zweiter Abschnitt.
Frau des Hebräerevangeliums und des Papias für die Ehe-
brecherin des Johannes zu halten. Hat man hiegegen mit
Recht erinnert, die wegen vieler Sünden bei Jesus Ver-
läumdete sei doch eine andre als die auf der Einen That
des Ehebruchs Ertappte 7): so muſs ich mich wundern,
daſs meines Wissens noch Niemand auf den Einfall ge-
kommen ist, bei der Stelle des Eusebius vielmehr an die
Sünderin des Lukas zu denken, von welcher Jesus eben
sagt, daſs ihr ἁμαρτίαι πολλαὶ vergeben seien. Freilich
paſst zu dieser das διαβληϑείσης nicht ganz, da bei Lukas
nicht von wirklichen Äusserungen des Pharisäers zum
Nachtheil der Frau, sondern nur von ungünstigen Ge-
danken, die er hatte, die Rede ist, und in dieser Hin-
sicht würde zu der Eusebischen Stelle hinwiederum die
johanneische Erzählung besser passen, welche ein aus-
drückliches Anbringen, ein διαβάλλειν, hat.

So sind wir durch einen äussern Grund, durch den
Zweifel, ob eine alte Erwähnung sich auf die eine oder
andere beziehe, auf die Verwandtschaft der beiden Erzäh-
lungen geführt 8), welche aus inneren Gründen ohnehin
von solber einleuchten muſs. Beidemale ein Weib, eine
Sünderin, vor Jesu; diese beidemale von pharisäischer
Scheinheiligkeit übel angesehen, von Jesu aber in Schutz
genommen, und mit einem friedlichen πορεύου entlassen.
Gerade diese Züge wuſsten wir in der Erzählung des Lu-
kas, sofern sie nur eine Variation von der Salbungsge-
schichte der übrigen Evangelisten sein sollte, in ihrer Ent-
stehung nicht zu begreifen. Was liegt also näher, als an-
zunehmen, daſs sie aus der Geschichte von der losgespro-

ἱςορίαν περὶ γυναικὸς ἐπὶ πολλαῖς ἁμαρτίαις διαβληϑεί-
σης ἐπὶ τοῦ· Κυρίοῦ, ἣν τὸ καϑ' Ἑβραίους εὐαγγέλιον πε-
ριέχει.
7) Lücke, 2, S. 217. Paulus, Comm. 4, S. 410.
8) Auch sonst wurden beide verwechselt, s. Fabricii Cod. apo-
cryph. N T. 1, S. 357. not.
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[726/0750] Zweiter Abschnitt. Frau des Hebräerevangeliums und des Papias für die Ehe- brecherin des Johannes zu halten. Hat man hiegegen mit Recht erinnert, die wegen vieler Sünden bei Jesus Ver- läumdete sei doch eine andre als die auf der Einen That des Ehebruchs Ertappte 7): so muſs ich mich wundern, daſs meines Wissens noch Niemand auf den Einfall ge- kommen ist, bei der Stelle des Eusebius vielmehr an die Sünderin des Lukas zu denken, von welcher Jesus eben sagt, daſs ihr ἁμαρτίαι πολλαὶ vergeben seien. Freilich paſst zu dieser das διαβληϑείσης nicht ganz, da bei Lukas nicht von wirklichen Äusserungen des Pharisäers zum Nachtheil der Frau, sondern nur von ungünstigen Ge- danken, die er hatte, die Rede ist, und in dieser Hin- sicht würde zu der Eusebischen Stelle hinwiederum die johanneische Erzählung besser passen, welche ein aus- drückliches Anbringen, ein διαβάλλειν, hat. So sind wir durch einen äussern Grund, durch den Zweifel, ob eine alte Erwähnung sich auf die eine oder andere beziehe, auf die Verwandtschaft der beiden Erzäh- lungen geführt 8), welche aus inneren Gründen ohnehin von solber einleuchten muſs. Beidemale ein Weib, eine Sünderin, vor Jesu; diese beidemale von pharisäischer Scheinheiligkeit übel angesehen, von Jesu aber in Schutz genommen, und mit einem friedlichen πορεύου entlassen. Gerade diese Züge wuſsten wir in der Erzählung des Lu- kas, sofern sie nur eine Variation von der Salbungsge- schichte der übrigen Evangelisten sein sollte, in ihrer Ent- stehung nicht zu begreifen. Was liegt also näher, als an- zunehmen, daſs sie aus der Geschichte von der losgespro- 6) 7) Lücke, 2, S. 217. Paulus, Comm. 4, S. 410. 8) Auch sonst wurden beide verwechselt, s. Fabricii Cod. apo- cryph. N T. 1, S. 357. not. 6) ἱςορίαν περὶ γυναικὸς ἐπὶ πολλαῖς ἁμαρτίαις διαβληϑεί- σης ἐπὶ τοῦ· Κυρίοῦ, ἣν τὸ καϑ' Ἑβραίους εὐαγγέλιον πε- ριέχει.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 726. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/750>, abgerufen am 24.11.2024.