vierte Evangelist die früheren ergänzt 19). Allein, da je- ne beiden auf die Handlung der Frau so grosses Gewicht legen, dass sie, was Johannes nicht hat, ihr Unvergesslich- keit ankündigen lassen, so würden sie sicher auch den Na- men der Thäterin angegeben haben, wenn er ihnen bekannt gewesen wäre, so dass also in jedem Falle soviel bleibt: sie wissen von der Frau nicht, wer, und namentlich nicht, dass sie die Bethanische Maria war.
Also, wenn man die Identität auch nur dessen, was die beiden ersten und was der lezte Evangelist erzählen, aner- kennt, muss man eingestehen, dass man auf der einen oder an- dern Seite ungenaue und durch die Überlieferung entstellte Be- richte hat. -- Doch nicht allein zwischen diesen, sondern auch zwischen Lukas und den übrigen, sucht, wer ihren Berichten nur Eine Begebenheit unterlegt, den Schein des Wider- spruchs möglichst zu entfernen. Schleiermacher, dessen höchste Instanz Johannes ist, der aber doch auch seinen Lukas nirgends fallen lassen will, kommt hier, wo sie so stark abweichen, in eine eigene Klemme, aus der er sich besonders geschickt ziehen zu können geglaubt haben muss, da er ihr nicht, wie ähnlichen sonst, durch die Annahme zweier zum Grunde liegenden Begebenheiten ausgewichen ist. So viel zwar sieht er sich gedrungen, zu Gunsten des Johannes dem Lukas zu vergeben, dass sein Gewährsmann hier kein Augenzeuge sei, woraus sich geringere Abwei- chungen, wie namentlich in Bezug auf die Lokalität, erklä- ren; die scheinbar bedeutenderen Differenzen dagegen, dass nach Lukas die Frau eine Sünderin ist, nach Johannes Maria von Bethanien, dass nach jenem der Wirth, nach den übrigen die Jünger Einwendungen machen, und dass die Erwiederung Jesu beiderseits eine ganz andere ist, -- die- se haben nach Schleiermacher darin ihren Grund, dass der Vorgang sich aus zwei Gesichtspunkten fassen liess. Die
19) so Paulus, ex. Handb. 3, b. S. 466. und viele Andere.
Zweiter Abschnitt.
vierte Evangelist die früheren ergänzt 19). Allein, da je- ne beiden auf die Handlung der Frau so groſses Gewicht legen, daſs sie, was Johannes nicht hat, ihr Unvergeſslich- keit ankündigen lassen, so würden sie sicher auch den Na- men der Thäterin angegeben haben, wenn er ihnen bekannt gewesen wäre, so daſs also in jedem Falle soviel bleibt: sie wissen von der Frau nicht, wer, und namentlich nicht, daſs sie die Bethanische Maria war.
Also, wenn man die Identität auch nur dessen, was die beiden ersten und was der lezte Evangelist erzählen, aner- kennt, muſs man eingestehen, daſs man auf der einen oder an- dern Seite ungenaue und durch die Überlieferung entstellte Be- richte hat. — Doch nicht allein zwischen diesen, sondern auch zwischen Lukas und den übrigen, sucht, wer ihren Berichten nur Eine Begebenheit unterlegt, den Schein des Wider- spruchs möglichst zu entfernen. Schleiermacher, dessen höchste Instanz Johannes ist, der aber doch auch seinen Lukas nirgends fallen lassen will, kommt hier, wo sie so stark abweichen, in eine eigene Klemme, aus der er sich besonders geschickt ziehen zu können geglaubt haben muſs, da er ihr nicht, wie ähnlichen sonst, durch die Annahme zweier zum Grunde liegenden Begebenheiten ausgewichen ist. So viel zwar sieht er sich gedrungen, zu Gunsten des Johannes dem Lukas zu vergeben, daſs sein Gewährsmann hier kein Augenzeuge sei, woraus sich geringere Abwei- chungen, wie namentlich in Bezug auf die Lokalität, erklä- ren; die scheinbar bedeutenderen Differenzen dagegen, daſs nach Lukas die Frau eine Sünderin ist, nach Johannes Maria von Bethanien, daſs nach jenem der Wirth, nach den übrigen die Jünger Einwendungen machen, und daſs die Erwiederung Jesu beiderseits eine ganz andere ist, — die- se haben nach Schleiermacher darin ihren Grund, daſs der Vorgang sich aus zwei Gesichtspunkten fassen lieſs. Die
19) so Paulus, ex. Handb. 3, b. S. 466. und viele Andere.
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Zweiter Abschnitt.
vierte Evangelist die früheren ergänzt 19). Allein, da je-
ne beiden auf die Handlung der Frau so groſses Gewicht
legen, daſs sie, was Johannes nicht hat, ihr Unvergeſslich-
keit ankündigen lassen, so würden sie sicher auch den Na-
men der Thäterin angegeben haben, wenn er ihnen bekannt
gewesen wäre, so daſs also in jedem Falle soviel bleibt:
sie wissen von der Frau nicht, wer, und namentlich nicht,
daſs sie die Bethanische Maria war.
Also, wenn man die Identität auch nur dessen, was die
beiden ersten und was der lezte Evangelist erzählen, aner-
kennt, muſs man eingestehen, daſs man auf der einen oder an-
dern Seite ungenaue und durch die Überlieferung entstellte Be-
richte hat. — Doch nicht allein zwischen diesen, sondern auch
zwischen Lukas und den übrigen, sucht, wer ihren Berichten
nur Eine Begebenheit unterlegt, den Schein des Wider-
spruchs möglichst zu entfernen. Schleiermacher, dessen
höchste Instanz Johannes ist, der aber doch auch seinen
Lukas nirgends fallen lassen will, kommt hier, wo sie so
stark abweichen, in eine eigene Klemme, aus der er sich
besonders geschickt ziehen zu können geglaubt haben muſs,
da er ihr nicht, wie ähnlichen sonst, durch die Annahme
zweier zum Grunde liegenden Begebenheiten ausgewichen
ist. So viel zwar sieht er sich gedrungen, zu Gunsten des
Johannes dem Lukas zu vergeben, daſs sein Gewährsmann
hier kein Augenzeuge sei, woraus sich geringere Abwei-
chungen, wie namentlich in Bezug auf die Lokalität, erklä-
ren; die scheinbar bedeutenderen Differenzen dagegen, daſs
nach Lukas die Frau eine Sünderin ist, nach Johannes
Maria von Bethanien, daſs nach jenem der Wirth, nach den
übrigen die Jünger Einwendungen machen, und daſs die
Erwiederung Jesu beiderseits eine ganz andere ist, — die-
se haben nach Schleiermacher darin ihren Grund, daſs der
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19) so Paulus, ex. Handb. 3, b. S. 466. und viele Andere.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 718. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/742>, abgerufen am 25.11.2024.
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