kührlichste, da sie meist nach subjektiven Gründen ent- scheiden, was der Geschichte, und was der Mythe ange- hören solle, -- wenigstens wissen die Evangelisten, die Logik und die ihr angehörige historische Kritik nichts von solchen Unterscheidungen. Den Begriff des Mythus auf den ganzen Umfang der Lebensgeschichte Jesu anzuwenden, in allen Theilen derselben mythische Erzählungen oder wenigstens Ausschmückungen zerstreut zu finden, diess ist der Standpunkt dieses Verfassers, welcher nicht blos die Wundererzählungen aus der Kindheit Jesu, sondern auch die aus seinem öffentlichen Leben, und nicht blos die an ihm vorgegangenen, sondern auch die von ihm verrichte- ten Wunder unter die Kategorie des Mythischen stellt.
Wenn de Wette den drei ersten Evangelien einen sa- genhaften und zum Theil sogar mythischen Charakter zu- schreibt, und aus diesem ihre Abweichung in den Erzäh- lungen und selbst in ihrer Darstellung der Reden und Leh- ren Jesu erklärt 7), wenn er das Wunder bei Jesu Taufe als Mythus betrachtet 8), wenn er zugiebt, dass manche von Jesu angeblich verrichtete Wunder in der Überlieferung entstanden, oder doch vergrössert worden sein mögen 9), und endlich selbst den Zweifel stehen lässt, ob Jesus leib- lich oder nur geistig auferstanden und wiedererschienen sei 10): so scheint er ziemlich auf demselben Standpunkte mit dem zuletzt angeführten Verf. zu stehen, und man be- greift schwer, wie er dazu kommt, den Standpunkt jener Abhandlung als zu weit geführte mythische Ansicht zu bezeichnen 11). Es mag diess wohl daher rühren, dass de Wette das Johannes-Evangelium als Richtschnur der
7) Biblische Dogmatik §. 226. (2te Auflage.)
8) a. a. O. §. 208.
9) a. a. O. §. 222.
10) a. a. O. §. 224.
11) §. 226. Anm. a.
Einleitung. §. 11.
kührlichste, da sie meist nach subjektiven Gründen ent- scheiden, was der Geschichte, und was der Mythe ange- hören solle, — wenigstens wissen die Evangelisten, die Logik und die ihr angehörige historische Kritik nichts von solchen Unterscheidungen. Den Begriff des Mythus auf den ganzen Umfang der Lebensgeschichte Jesu anzuwenden, in allen Theilen derselben mythische Erzählungen oder wenigstens Ausschmückungen zerstreut zu finden, dieſs ist der Standpunkt dieses Verfassers, welcher nicht blos die Wundererzählungen aus der Kindheit Jesu, sondern auch die aus seinem öffentlichen Leben, und nicht blos die an ihm vorgegangenen, sondern auch die von ihm verrichte- ten Wunder unter die Kategorie des Mythischen stellt.
Wenn de Wette den drei ersten Evangelien einen sa- genhaften und zum Theil sogar mythischen Charakter zu- schreibt, und aus diesem ihre Abweichung in den Erzäh- lungen und selbst in ihrer Darstellung der Reden und Leh- ren Jesu erklärt 7), wenn er das Wunder bei Jesu Taufe als Mythus betrachtet 8), wenn er zugiebt, daſs manche von Jesu angeblich verrichtete Wunder in der Überlieferung entstanden, oder doch vergröſsert worden sein mögen 9), und endlich selbst den Zweifel stehen läſst, ob Jesus leib- lich oder nur geistig auferstanden und wiedererschienen sei 10): so scheint er ziemlich auf demselben Standpunkte mit dem zuletzt angeführten Verf. zu stehen, und man be- greift schwer, wie er dazu kommt, den Standpunkt jener Abhandlung als zu weit geführte mythische Ansicht zu bezeichnen 11). Es mag dieſs wohl daher rühren, daſs de Wette das Johannes-Evangelium als Richtschnur der
7) Biblische Dogmatik §. 226. (2te Auflage.)
8) a. a. O. §. 208.
9) a. a. O. §. 222.
10) a. a. O. §. 224.
11) §. 226. Anm. a.
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Einleitung. §. 11.
kührlichste, da sie meist nach subjektiven Gründen ent-
scheiden, was der Geschichte, und was der Mythe ange-
hören solle, — wenigstens wissen die Evangelisten, die
Logik und die ihr angehörige historische Kritik nichts von
solchen Unterscheidungen. Den Begriff des Mythus auf den
ganzen Umfang der Lebensgeschichte Jesu anzuwenden,
in allen Theilen derselben mythische Erzählungen oder
wenigstens Ausschmückungen zerstreut zu finden, dieſs ist
der Standpunkt dieses Verfassers, welcher nicht blos die
Wundererzählungen aus der Kindheit Jesu, sondern auch
die aus seinem öffentlichen Leben, und nicht blos die an
ihm vorgegangenen, sondern auch die von ihm verrichte-
ten Wunder unter die Kategorie des Mythischen stellt.
Wenn de Wette den drei ersten Evangelien einen sa-
genhaften und zum Theil sogar mythischen Charakter zu-
schreibt, und aus diesem ihre Abweichung in den Erzäh-
lungen und selbst in ihrer Darstellung der Reden und Leh-
ren Jesu erklärt 7), wenn er das Wunder bei Jesu Taufe
als Mythus betrachtet 8), wenn er zugiebt, daſs manche von
Jesu angeblich verrichtete Wunder in der Überlieferung
entstanden, oder doch vergröſsert worden sein mögen 9),
und endlich selbst den Zweifel stehen läſst, ob Jesus leib-
lich oder nur geistig auferstanden und wiedererschienen
sei 10): so scheint er ziemlich auf demselben Standpunkte
mit dem zuletzt angeführten Verf. zu stehen, und man be-
greift schwer, wie er dazu kommt, den Standpunkt jener
Abhandlung als zu weit geführte mythische Ansicht zu
bezeichnen 11). Es mag dieſs wohl daher rühren, daſs
de Wette das Johannes-Evangelium als Richtschnur der
7) Biblische Dogmatik §. 226. (2te Auflage.)
8) a. a. O. §. 208.
9) a. a. O. §. 222.
10) a. a. O. §. 224.
11) §. 226. Anm. a.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/74>, abgerufen am 24.11.2024.
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