Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Achtes Kapitel. §. 83. Marc. 9, 33 ff. Luc. 9, 46 ff.), wobei sich zwar Differen-zen in den Erzählungen finden, aber die Identität dersel- ben durch die in allen vorkommende Aufstellung eines Kin- des verbürgt ist, da so etwas, wie auch Schleiermacher bemerkt 1), sich nicht leicht wiederholt. Matthäus und Mar- kus haben einen Rangstreit gemein, welcher durch die bei- den Söhne des Zebedäus angeregt wurde, indem diese sich (nach Markus) oder ihre Mutter ihnen (nach Matthäus) die zwei ersten Stellen neben Jesu im messianischen Reich ausbat (Matth. 20, 20 ff. Marc. 10, 35 ff.) 2). Von einer solchen Bitte der Zebedaiden weiss das dritte Evangelium nichts, wohl aber hat es ohne diesen Anlass noch einen weiteren Rangstreit, bei welchem ähnliche Reden fallen, wie sie die beiden ersten an jene Bitte angeknüpft haben. Bei dem lezten Mahle nämlich, das Jesus vor seinem Leiden mit seinen Jüngern hielt, lässt Lukas unter den Jüngern eine philoneikia ausbrechen, wer von ihnen der grösste sei, welche Jesus sofort durch dieselben Gründe, zum Theil 1) a. a. O. S. 152. 2) Es ist consequent in dem Tone der neueren Kritik über den
Matthäus gesprochen, wenn Schulz (üb. d. Abendm. S. 320.) in Bezug auf die bemerkte Differenz zwischen den beiden ersten Evangelisten äussert, er zweifle keinen Augen- blick, dass jeder aufmerksame Leser sich ohne Be- denken der Darstellung des Markus zuwenden werde, wel- cher, ohne Erwähnung der Mutter, die ganze Verhandlung zwischen Jesus und den beiden Aposteln vorgehen lasse. Al- lein, was die historische Wahrscheinlichkeit betrifft, so möch- te ich wissen, warum eine Frau, welche zu den Begleiterin- nen Jesu gehörte (Matth. 27, 56.), eine solche Bitte nicht sollte haben wagen dürfen; was aber die psychologische, so hat das Gefühl der Kirche in der Wahl der Perikope auf den Jakobustag wohl mit Recht für die Darstellung des Matthäus entschieden, da eine so feierliche Bittscene aus dem Steg- reif ganz in der Art eines Weibes und näher einer für ihre Söhne sich verwendenden Mutter ist. Achtes Kapitel. §. 83. Marc. 9, 33 ff. Luc. 9, 46 ff.), wobei sich zwar Differen-zen in den Erzählungen finden, aber die Identität dersel- ben durch die in allen vorkommende Aufstellung eines Kin- des verbürgt ist, da so etwas, wie auch Schleiermacher bemerkt 1), sich nicht leicht wiederholt. Matthäus und Mar- kus haben einen Rangstreit gemein, welcher durch die bei- den Söhne des Zebedäus angeregt wurde, indem diese sich (nach Markus) oder ihre Mutter ihnen (nach Matthäus) die zwei ersten Stellen neben Jesu im messianischen Reich ausbat (Matth. 20, 20 ff. Marc. 10, 35 ff.) 2). Von einer solchen Bitte der Zebedaiden weiſs das dritte Evangelium nichts, wohl aber hat es ohne diesen Anlaſs noch einen weiteren Rangstreit, bei welchem ähnliche Reden fallen, wie sie die beiden ersten an jene Bitte angeknüpft haben. Bei dem lezten Mahle nämlich, das Jesus vor seinem Leiden mit seinen Jüngern hielt, läſst Lukas unter den Jüngern eine φιλονεικία ausbrechen, wer von ihnen der gröſste sei, welche Jesus sofort durch dieselben Gründe, zum Theil 1) a. a. O. S. 152. 2) Es ist consequent in dem Tone der neueren Kritik über den
Matthäus gesprochen, wenn Schulz (üb. d. Abendm. S. 320.) in Bezug auf die bemerkte Differenz zwischen den beiden ersten Evangelisten äussert, er zweifle keinen Augen- blick, dass jeder aufmerksame Leser sich ohne Be- denken der Darstellung des Markus zuwenden werde, wel- cher, ohne Erwähnung der Mutter, die ganze Verhandlung zwischen Jesus und den beiden Aposteln vorgehen lasse. Al- lein, was die historische Wahrscheinlichkeit betrifft, so möch- te ich wissen, warum eine Frau, welche zu den Begleiterin- nen Jesu gehörte (Matth. 27, 56.), eine solche Bitte nicht sollte haben wagen dürfen; was aber die psychologische, so hat das Gefühl der Kirche in der Wahl der Perikope auf den Jakobustag wohl mit Recht für die Darstellung des Matthäus entschieden, da eine so feierliche Bittscene aus dem Steg- reif ganz in der Art eines Weibes und näher einer für ihre Söhne sich verwendenden Mutter ist. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0721" n="697"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Achtes Kapitel</hi>. §. 83.</fw><lb/> Marc. 9, 33 ff. Luc. 9, 46 ff.), wobei sich zwar Differen-<lb/> zen in den Erzählungen finden, aber die Identität dersel-<lb/> ben durch die in allen vorkommende Aufstellung eines Kin-<lb/> des verbürgt ist, da so etwas, wie auch <hi rendition="#k">Schleiermacher</hi><lb/> bemerkt <note place="foot" n="1)">a. a. O. S. 152.</note>, sich nicht leicht wiederholt. Matthäus und Mar-<lb/> kus haben einen Rangstreit gemein, welcher durch die bei-<lb/> den Söhne des Zebedäus angeregt wurde, indem diese sich<lb/> (nach Markus) oder ihre Mutter ihnen (nach Matthäus)<lb/> die zwei ersten Stellen neben Jesu im messianischen Reich<lb/> ausbat (Matth. 20, 20 ff. Marc. 10, 35 ff.) <note place="foot" n="2)">Es ist consequent in dem Tone der neueren Kritik über den<lb/> Matthäus gesprochen, wenn <hi rendition="#k">Schulz</hi> (üb. d. Abendm. S. 320.)<lb/> in Bezug auf die bemerkte Differenz zwischen den beiden<lb/> ersten Evangelisten äussert, er zweifle <hi rendition="#g">keinen Augen-<lb/> blick</hi>, dass <hi rendition="#g">jeder aufmerksame</hi> Leser sich <hi rendition="#g">ohne Be-<lb/> denken</hi> der Darstellung des Markus zuwenden werde, wel-<lb/> cher, ohne Erwähnung der Mutter, die ganze Verhandlung<lb/> zwischen Jesus und den beiden Aposteln vorgehen lasse. Al-<lb/> lein, was die historische Wahrscheinlichkeit betrifft, so möch-<lb/> te ich wissen, warum eine Frau, welche zu den Begleiterin-<lb/> nen Jesu gehörte (Matth. 27, 56.), eine solche Bitte nicht<lb/> sollte haben wagen dürfen; was aber die psychologische, so<lb/> hat das Gefühl der Kirche in der Wahl der Perikope auf den<lb/> Jakobustag wohl mit Recht für die Darstellung des Matthäus<lb/> entschieden, da eine so feierliche Bittscene aus dem Steg-<lb/> reif ganz in der Art eines Weibes und näher einer für ihre<lb/> Söhne sich verwendenden Mutter ist.</note>. Von einer<lb/> solchen Bitte der Zebedaiden weiſs das dritte Evangelium<lb/> nichts, wohl aber hat es ohne diesen Anlaſs noch einen<lb/> weiteren Rangstreit, bei welchem ähnliche Reden fallen,<lb/> wie sie die beiden ersten an jene Bitte angeknüpft haben.<lb/> Bei dem lezten Mahle nämlich, das Jesus vor seinem Leiden<lb/> mit seinen Jüngern hielt, läſst Lukas unter den Jüngern<lb/> eine <foreign xml:lang="ell">φιλονεικία</foreign> ausbrechen, wer von ihnen der gröſste sei,<lb/> welche Jesus sofort durch dieselben Gründe, zum Theil<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [697/0721]
Achtes Kapitel. §. 83.
Marc. 9, 33 ff. Luc. 9, 46 ff.), wobei sich zwar Differen-
zen in den Erzählungen finden, aber die Identität dersel-
ben durch die in allen vorkommende Aufstellung eines Kin-
des verbürgt ist, da so etwas, wie auch Schleiermacher
bemerkt 1), sich nicht leicht wiederholt. Matthäus und Mar-
kus haben einen Rangstreit gemein, welcher durch die bei-
den Söhne des Zebedäus angeregt wurde, indem diese sich
(nach Markus) oder ihre Mutter ihnen (nach Matthäus)
die zwei ersten Stellen neben Jesu im messianischen Reich
ausbat (Matth. 20, 20 ff. Marc. 10, 35 ff.) 2). Von einer
solchen Bitte der Zebedaiden weiſs das dritte Evangelium
nichts, wohl aber hat es ohne diesen Anlaſs noch einen
weiteren Rangstreit, bei welchem ähnliche Reden fallen,
wie sie die beiden ersten an jene Bitte angeknüpft haben.
Bei dem lezten Mahle nämlich, das Jesus vor seinem Leiden
mit seinen Jüngern hielt, läſst Lukas unter den Jüngern
eine φιλονεικία ausbrechen, wer von ihnen der gröſste sei,
welche Jesus sofort durch dieselben Gründe, zum Theil
1) a. a. O. S. 152.
2) Es ist consequent in dem Tone der neueren Kritik über den
Matthäus gesprochen, wenn Schulz (üb. d. Abendm. S. 320.)
in Bezug auf die bemerkte Differenz zwischen den beiden
ersten Evangelisten äussert, er zweifle keinen Augen-
blick, dass jeder aufmerksame Leser sich ohne Be-
denken der Darstellung des Markus zuwenden werde, wel-
cher, ohne Erwähnung der Mutter, die ganze Verhandlung
zwischen Jesus und den beiden Aposteln vorgehen lasse. Al-
lein, was die historische Wahrscheinlichkeit betrifft, so möch-
te ich wissen, warum eine Frau, welche zu den Begleiterin-
nen Jesu gehörte (Matth. 27, 56.), eine solche Bitte nicht
sollte haben wagen dürfen; was aber die psychologische, so
hat das Gefühl der Kirche in der Wahl der Perikope auf den
Jakobustag wohl mit Recht für die Darstellung des Matthäus
entschieden, da eine so feierliche Bittscene aus dem Steg-
reif ganz in der Art eines Weibes und näher einer für ihre
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