Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiter Abschnitt.
der ähnlich auslaufenden Anekdote von der Frau. Dabei
glaube ich aber der grossen Ähnlichkeit beider Anekdoten
wegen kaum, dass zwei wirklich verschiedene Begeben-
heiten zum Grunde liegen: sondern der unvergessliche
Ausspruch Jesu, in welchem er seine geistigen Verwand-
ten über seine leiblichen sezte, hatte in der Sage zwei
verschiedene Fassungen oder Rahmen bekommen, indem
es dem Einen als das Natürlichste erscheinen mochte, dass
eine solche Zurücksetzung seiner Blutsverwandten mit ei-
ner wirklichen Zurückweisung derselben verbunden, dem
Andern, dass die Erhebung der ihm geistig nahe Stehen-
den durch eine vorangegangne Seligpreisung derjenigen,
die ihm leiblich am nächsten stand, hervorgerufen gewe-
sen sei. Von diesen zwei Formationen geben Matthäus
und Markus nur die erstere; Lukas aber, welcher diese
schon bei einer früheren Gelegenheit vorweggenommen
hatte, fand sich, als er an die Stelle kam, wo in der
gewöhnlichen evangelischen Tradition jene Anekdote ihren
Siz hatte, veranlasst, sie nunmehr in der zweiten Form
hier einzufügen.

§. 83.
Die Erzählungen von Rangstreitigkeiten unter den Jüngern und
von Jesu Liebe zu den Kindern.

Die drei ersten Evangelien erzählen uns von mehre-
ren Rangstreitigkeiten, welche unter den Jüngern ausge-
brochen seien, und von der Art, wie Jesus dieselben bei-
gelegt habe. Allen ist ein Rangstreit gemein, welcher nach
Jesu Verklärung und erster Leidensverkündigung unter den
Jüngern zum Ausbruch gekommen sein soll (Matth. 18, 1 ff.

ekhousi kai karpophorousin en upomone den ähnlichen Aus-
spruch Jesu bei jenem Besuche: outoi eisin oi ton logon
tou theou akouontes kai poiountes auton in die Erinnerung
rief.

Zweiter Abschnitt.
der ähnlich auslaufenden Anekdote von der Frau. Dabei
glaube ich aber der groſsen Ähnlichkeit beider Anekdoten
wegen kaum, daſs zwei wirklich verschiedene Begeben-
heiten zum Grunde liegen: sondern der unvergeſsliche
Ausspruch Jesu, in welchem er seine geistigen Verwand-
ten über seine leiblichen sezte, hatte in der Sage zwei
verschiedene Fassungen oder Rahmen bekommen, indem
es dem Einen als das Natürlichste erscheinen mochte, daſs
eine solche Zurücksetzung seiner Blutsverwandten mit ei-
ner wirklichen Zurückweisung derselben verbunden, dem
Andern, daſs die Erhebung der ihm geistig nahe Stehen-
den durch eine vorangegangne Seligpreisung derjenigen,
die ihm leiblich am nächsten stand, hervorgerufen gewe-
sen sei. Von diesen zwei Formationen geben Matthäus
und Markus nur die erstere; Lukas aber, welcher diese
schon bei einer früheren Gelegenheit vorweggenommen
hatte, fand sich, als er an die Stelle kam, wo in der
gewöhnlichen evangelischen Tradition jene Anekdote ihren
Siz hatte, veranlaſst, sie nunmehr in der zweiten Form
hier einzufügen.

§. 83.
Die Erzählungen von Rangstreitigkeiten unter den Jüngern und
von Jesu Liebe zu den Kindern.

Die drei ersten Evangelien erzählen uns von mehre-
ren Rangstreitigkeiten, welche unter den Jüngern ausge-
brochen seien, und von der Art, wie Jesus dieselben bei-
gelegt habe. Allen ist ein Rangstreit gemein, welcher nach
Jesu Verklärung und erster Leidensverkündigung unter den
Jüngern zum Ausbruch gekommen sein soll (Matth. 18, 1 ff.

ἐχουσι καὶ καρποφοροῦσιν ἐν ὑπομονῇ den ähnlichen Aus-
spruch Jesu bei jenem Besuche: οὖτοί εἰσιν οἱ τὸν λόγον
τοῦ ϑεοῦ ἀκούοντες καὶ ποιοῦντες αὐτόν in die Erinnerung
rief.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0720" n="696"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
der ähnlich auslaufenden Anekdote von der Frau. Dabei<lb/>
glaube ich aber der gro&#x017F;sen Ähnlichkeit beider Anekdoten<lb/>
wegen kaum, da&#x017F;s zwei wirklich verschiedene Begeben-<lb/>
heiten zum Grunde liegen: sondern der unverge&#x017F;sliche<lb/>
Ausspruch Jesu, in welchem er seine geistigen Verwand-<lb/>
ten über seine leiblichen sezte, hatte in der Sage zwei<lb/>
verschiedene Fassungen oder Rahmen bekommen, indem<lb/>
es dem Einen als das Natürlichste erscheinen mochte, da&#x017F;s<lb/>
eine solche Zurücksetzung seiner Blutsverwandten mit ei-<lb/>
ner wirklichen Zurückweisung derselben verbunden, dem<lb/>
Andern, da&#x017F;s die Erhebung der ihm geistig nahe Stehen-<lb/>
den durch eine vorangegangne Seligpreisung derjenigen,<lb/>
die ihm leiblich am nächsten stand, hervorgerufen gewe-<lb/>
sen sei. Von diesen zwei Formationen geben Matthäus<lb/>
und Markus nur die erstere; Lukas aber, welcher diese<lb/>
schon bei einer früheren Gelegenheit vorweggenommen<lb/>
hatte, fand sich, als er an die Stelle kam, wo in der<lb/>
gewöhnlichen evangelischen Tradition jene Anekdote ihren<lb/>
Siz hatte, veranla&#x017F;st, sie nunmehr in der zweiten Form<lb/>
hier einzufügen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 83.<lb/>
Die Erzählungen von Rangstreitigkeiten unter den Jüngern und<lb/>
von Jesu Liebe zu den Kindern.</head><lb/>
            <p>Die drei ersten Evangelien erzählen uns von mehre-<lb/>
ren Rangstreitigkeiten, welche unter den Jüngern ausge-<lb/>
brochen seien, und von der Art, wie Jesus dieselben bei-<lb/>
gelegt habe. Allen ist ein Rangstreit gemein, welcher nach<lb/>
Jesu Verklärung und erster Leidensverkündigung unter den<lb/>
Jüngern zum Ausbruch gekommen sein soll (Matth. 18, 1 ff.<lb/><note xml:id="seg2pn_25_2" prev="#seg2pn_25_1" place="foot" n="6)"><foreign xml:lang="ell">&#x1F10;&#x03C7;&#x03BF;&#x03C5;&#x03C3;&#x03B9; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03BA;&#x03B1;&#x03C1;&#x03C0;&#x03BF;&#x03C6;&#x03BF;&#x03C1;&#x03BF;&#x1FE6;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BD; &#x1F10;&#x03BD; &#x1F51;&#x03C0;&#x03BF;&#x03BC;&#x03BF;&#x03BD;&#x1FC7;</foreign> den ähnlichen Aus-<lb/>
spruch Jesu bei jenem Besuche: <foreign xml:lang="ell">&#x03BF;&#x1F56;&#x03C4;&#x03BF;&#x03AF; &#x03B5;&#x1F30;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BD; &#x03BF;&#x1F31; &#x03C4;&#x1F78;&#x03BD; &#x03BB;&#x03CC;&#x03B3;&#x03BF;&#x03BD;<lb/>
&#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6; &#x03D1;&#x03B5;&#x03BF;&#x1FE6; &#x1F00;&#x03BA;&#x03BF;&#x03CD;&#x03BF;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B5;&#x03C2; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03C0;&#x03BF;&#x03B9;&#x03BF;&#x1FE6;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B5;&#x03C2; &#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x03CC;&#x03BD;</foreign> in die Erinnerung<lb/>
rief.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[696/0720] Zweiter Abschnitt. der ähnlich auslaufenden Anekdote von der Frau. Dabei glaube ich aber der groſsen Ähnlichkeit beider Anekdoten wegen kaum, daſs zwei wirklich verschiedene Begeben- heiten zum Grunde liegen: sondern der unvergeſsliche Ausspruch Jesu, in welchem er seine geistigen Verwand- ten über seine leiblichen sezte, hatte in der Sage zwei verschiedene Fassungen oder Rahmen bekommen, indem es dem Einen als das Natürlichste erscheinen mochte, daſs eine solche Zurücksetzung seiner Blutsverwandten mit ei- ner wirklichen Zurückweisung derselben verbunden, dem Andern, daſs die Erhebung der ihm geistig nahe Stehen- den durch eine vorangegangne Seligpreisung derjenigen, die ihm leiblich am nächsten stand, hervorgerufen gewe- sen sei. Von diesen zwei Formationen geben Matthäus und Markus nur die erstere; Lukas aber, welcher diese schon bei einer früheren Gelegenheit vorweggenommen hatte, fand sich, als er an die Stelle kam, wo in der gewöhnlichen evangelischen Tradition jene Anekdote ihren Siz hatte, veranlaſst, sie nunmehr in der zweiten Form hier einzufügen. §. 83. Die Erzählungen von Rangstreitigkeiten unter den Jüngern und von Jesu Liebe zu den Kindern. Die drei ersten Evangelien erzählen uns von mehre- ren Rangstreitigkeiten, welche unter den Jüngern ausge- brochen seien, und von der Art, wie Jesus dieselben bei- gelegt habe. Allen ist ein Rangstreit gemein, welcher nach Jesu Verklärung und erster Leidensverkündigung unter den Jüngern zum Ausbruch gekommen sein soll (Matth. 18, 1 ff. 6) 6) ἐχουσι καὶ καρποφοροῦσιν ἐν ὑπομονῇ den ähnlichen Aus- spruch Jesu bei jenem Besuche: οὖτοί εἰσιν οἱ τὸν λόγον τοῦ ϑεοῦ ἀκούοντες καὶ ποιοῦντες αὐτόν in die Erinnerung rief.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/720
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 696. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/720>, abgerufen am 22.12.2024.