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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
welcher man die indess aufgegangene Idee der Unsterblich-
keit um jeden Preiss auch schon in dem Gesetze finden
wollte, wo sie doch nicht anzutreffen ist; wie denn die
Beziehung Gottes auf Abraham, Isaak und Jakob auch sonst
in rabbinischen Argumentationen, die schwerlich alle die-
ser Beweisführung Jesu nachgebildet sind, zum Beleg der
Unsterblichkeit gebraucht sich findet 13). Sieht man sich
auch noch in den neuesten Commentaren um, so findet man
nirgends ein unumwundenes Geständniss, wie es mit die-
ser Argumentation Jesu steht. Olshausen weiss Wunder
von der tiefen Wahrheit dieser Beweisführung zu sagen,
aus welcher er nebenher noch 1) die Authentie, 2) die Gött-
lichkeit des Pentateuchs auf dem kürzesten Wege ableiten
zu können glaubt; Paulus liest den Nerv des Beweises
zwischen den Linien des Textes; Fritzsche schweigt. Wozu
diese Winkelzüge? warum den Ruhm, in dieser Sache
klar gesehen und offen geredet zu haben, dem Wolfenbütt-
ler Fragmentisten überlassen 14)? Zu welchen Gespenstern
und Doppelgängern macht man einen Moses, einen Jesus,
wenn sie unter ihren Zeitgenossen herumgewandelt haben
sollen, ohne auf lebendige Weise mit deren Einsichten und
Schwächen, wie mit ihren Freuden und Leiden zusammen-
zuhängen, sondern losgetrennt von ihrer Zeit und ihrem
Volk sollen sie nur äusserlich und aus Anbequemung sich
diesen gleichgestellt, innerlich aber und ihrem Wesen nach
in den vordersten Reihen der neuesten Zeit und ihrer Er-
kenntnisse gestanden haben. Würdiger gewiss, ja allein
fähig der Theilnahme und Verehrung sind diese Männer
dann, wenn sie auf ächtmenschliche Weise kämpfend mit
den Schranken und Vorurtheilen ihrer Zeit diesen in hun-
dert Nebendingen unterlegen sind, nur nicht in Bezug

13) s. Gemara Hieros. Berac. f. 5, 4. bei Lightfoot, S. 423, und
R. Manasse ben Isr. bei Schöttgen 1, S. 180.
14) s. dessen 4tes Fragment, in Lessing's 4tem Beitrag, S. 434 ff.

Zweiter Abschnitt.
welcher man die indeſs aufgegangene Idee der Unsterblich-
keit um jeden Preiſs auch schon in dem Gesetze finden
wollte, wo sie doch nicht anzutreffen ist; wie denn die
Beziehung Gottes auf Abraham, Isaak und Jakob auch sonst
in rabbinischen Argumentationen, die schwerlich alle die-
ser Beweisführung Jesu nachgebildet sind, zum Beleg der
Unsterblichkeit gebraucht sich findet 13). Sieht man sich
auch noch in den neuesten Commentaren um, so findet man
nirgends ein unumwundenes Geständniſs, wie es mit die-
ser Argumentation Jesu steht. Olshausen weiſs Wunder
von der tiefen Wahrheit dieser Beweisführung zu sagen,
aus welcher er nebenher noch 1) die Authentie, 2) die Gött-
lichkeit des Pentateuchs auf dem kürzesten Wege ableiten
zu können glaubt; Paulus liest den Nerv des Beweises
zwischen den Linien des Textes; Fritzsche schweigt. Wozu
diese Winkelzüge? warum den Ruhm, in dieser Sache
klar gesehen und offen geredet zu haben, dem Wolfenbütt-
ler Fragmentisten überlassen 14)? Zu welchen Gespenstern
und Doppelgängern macht man einen Moses, einen Jesus,
wenn sie unter ihren Zeitgenossen herumgewandelt haben
sollen, ohne auf lebendige Weise mit deren Einsichten und
Schwächen, wie mit ihren Freuden und Leiden zusammen-
zuhängen, sondern losgetrennt von ihrer Zeit und ihrem
Volk sollen sie nur äusserlich und aus Anbequemung sich
diesen gleichgestellt, innerlich aber und ihrem Wesen nach
in den vordersten Reihen der neuesten Zeit und ihrer Er-
kenntnisse gestanden haben. Würdiger gewiſs, ja allein
fähig der Theilnahme und Verehrung sind diese Männer
dann, wenn sie auf ächtmenschliche Weise kämpfend mit
den Schranken und Vorurtheilen ihrer Zeit diesen in hun-
dert Nebendingen unterlegen sind, nur nicht in Bezug

13) s. Gemara Hieros. Berac. f. 5, 4. bei Lightfoot, S. 423, und
R. Manasse ben Isr. bei Schöttgen 1, S. 180.
14) s. dessen 4tes Fragment, in Lessing's 4tem Beitrag, S. 434 ff.
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[620/0644] Zweiter Abschnitt. welcher man die indeſs aufgegangene Idee der Unsterblich- keit um jeden Preiſs auch schon in dem Gesetze finden wollte, wo sie doch nicht anzutreffen ist; wie denn die Beziehung Gottes auf Abraham, Isaak und Jakob auch sonst in rabbinischen Argumentationen, die schwerlich alle die- ser Beweisführung Jesu nachgebildet sind, zum Beleg der Unsterblichkeit gebraucht sich findet 13). Sieht man sich auch noch in den neuesten Commentaren um, so findet man nirgends ein unumwundenes Geständniſs, wie es mit die- ser Argumentation Jesu steht. Olshausen weiſs Wunder von der tiefen Wahrheit dieser Beweisführung zu sagen, aus welcher er nebenher noch 1) die Authentie, 2) die Gött- lichkeit des Pentateuchs auf dem kürzesten Wege ableiten zu können glaubt; Paulus liest den Nerv des Beweises zwischen den Linien des Textes; Fritzsche schweigt. Wozu diese Winkelzüge? warum den Ruhm, in dieser Sache klar gesehen und offen geredet zu haben, dem Wolfenbütt- ler Fragmentisten überlassen 14)? Zu welchen Gespenstern und Doppelgängern macht man einen Moses, einen Jesus, wenn sie unter ihren Zeitgenossen herumgewandelt haben sollen, ohne auf lebendige Weise mit deren Einsichten und Schwächen, wie mit ihren Freuden und Leiden zusammen- zuhängen, sondern losgetrennt von ihrer Zeit und ihrem Volk sollen sie nur äusserlich und aus Anbequemung sich diesen gleichgestellt, innerlich aber und ihrem Wesen nach in den vordersten Reihen der neuesten Zeit und ihrer Er- kenntnisse gestanden haben. Würdiger gewiſs, ja allein fähig der Theilnahme und Verehrung sind diese Männer dann, wenn sie auf ächtmenschliche Weise kämpfend mit den Schranken und Vorurtheilen ihrer Zeit diesen in hun- dert Nebendingen unterlegen sind, nur nicht in Bezug 13) s. Gemara Hieros. Berac. f. 5, 4. bei Lightfoot, S. 423, und R. Manasse ben Isr. bei Schöttgen 1, S. 180. 14) s. dessen 4tes Fragment, in Lessing's 4tem Beitrag, S. 434 ff.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/644>, abgerufen am 23.11.2024.