Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. der lezten Festreise Jesu vorgefallen, doch eine jener Dispu-tationen, welche sie sonst grösstentheils in den lezten Auf- enthalt Jesu in Jerusalem stellen. Pharisäer legen ihm die in den jüdischen Schulen damaliger Zeit vielbespro- chene 6) Frage vor, ob man das Eheweib um jeder belie- bigen Ursache willen entlassen könne? Wenn man hiebei, um Jesum nicht in Widerspruch mit der modernen Pra- xis kommen zu lassen, darauf dringt, dass er nur diejeni- ge Art der Ehetrennung, von welcher man damals allein wusste, nämlich das willkührliche Wegschicken der Frau, nicht aber die gerichtliche Scheidung, wie sie jezt einge- führt ist, missbilligt habe 7): so ist damit doch zugestanden, dass Jesus, soweit er von Ehetrennungen wusste, sie allge- mein verworfen hat, wobei also noch sehr die Frage ist, ob ihn die neuere Art, die Ehe aufzulösen, wenn er davon Kunde hätte bekommen können, bewogen haben würde, je- ne allgemeine Verwerfung einzuschränken? Auch bei dem folgenden, durch eine Frage der Jünger veranlassten Aus- spruch, von welchem Jesus selber sagt, nicht Alle begrei- fen ihn, sondern nur o[i]s dedotai, dass nämlich die Ehelosig- keit auch um des Reichs Gottes willen übernommen wer- den könne (V. 11 f.), hat man, um Jesum nichts den jetzi- gen Vorstellungen Zuwiderlaufendes sagen zu lassen, sich beeilt, den Gedanken einzuschwärzen, nur mit Rücksicht auf die bevorstehenden Zeitumstände, oder damit sie in ih- rer apostolischen Thätigkeit nicht gehindert würden, habe Jesus den Jüngern, sofern sie es vermöchten, die Ehelosig- keit angerühmt 8); allein im Zusammenhang liegt davon noch weniger eine Andeutung, als in der verwandten Stel- le 1 Kor. 7, 25 ff. 9), sondern es ist auch hier wieder ei- 6) Bemidbar R. ad. Num. 5, 30. bei Wetstein p. 303. 7) z. B. Paulus, L. J. 1, b. S. 46. 8) Ders. ebendas. S. 50. ex. Handb. 2, S. 599. 9) In dieser Stelle wird zwar die Ehelosigkeit zuerst nur dia
Zweiter Abschnitt. der lezten Festreise Jesu vorgefallen, doch eine jener Dispu-tationen, welche sie sonst gröſstentheils in den lezten Auf- enthalt Jesu in Jerusalem stellen. Pharisäer legen ihm die in den jüdischen Schulen damaliger Zeit vielbespro- chene 6) Frage vor, ob man das Eheweib um jeder belie- bigen Ursache willen entlassen könne? Wenn man hiebei, um Jesum nicht in Widerspruch mit der modernen Pra- xis kommen zu lassen, darauf dringt, daſs er nur diejeni- ge Art der Ehetrennung, von welcher man damals allein wuſste, nämlich das willkührliche Wegschicken der Frau, nicht aber die gerichtliche Scheidung, wie sie jezt einge- führt ist, miſsbilligt habe 7): so ist damit doch zugestanden, daſs Jesus, soweit er von Ehetrennungen wuſste, sie allge- mein verworfen hat, wobei also noch sehr die Frage ist, ob ihn die neuere Art, die Ehe aufzulösen, wenn er davon Kunde hätte bekommen können, bewogen haben würde, je- ne allgemeine Verwerfung einzuschränken? Auch bei dem folgenden, durch eine Frage der Jünger veranlaſsten Aus- spruch, von welchem Jesus selber sagt, nicht Alle begrei- fen ihn, sondern nur ο[ἷ]ς δέδοται, daſs nämlich die Ehelosig- keit auch um des Reichs Gottes willen übernommen wer- den könne (V. 11 f.), hat man, um Jesum nichts den jetzi- gen Vorstellungen Zuwiderlaufendes sagen zu lassen, sich beeilt, den Gedanken einzuschwärzen, nur mit Rücksicht auf die bevorstehenden Zeitumstände, oder damit sie in ih- rer apostolischen Thätigkeit nicht gehindert würden, habe Jesus den Jüngern, sofern sie es vermöchten, die Ehelosig- keit angerühmt 8); allein im Zusammenhang liegt davon noch weniger eine Andeutung, als in der verwandten Stel- le 1 Kor. 7, 25 ff. 9), sondern es ist auch hier wieder ei- 6) Bemidbar R. ad. Num. 5, 30. bei Wetstein p. 303. 7) z. B. Paulus, L. J. 1, b. S. 46. 8) Ders. ebendas. S. 50. ex. Handb. 2, S. 599. 9) In dieser Stelle wird zwar die Ehelosigkeit zuerst nur διὰ
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Zweiter Abschnitt.
der lezten Festreise Jesu vorgefallen, doch eine jener Dispu-
tationen, welche sie sonst gröſstentheils in den lezten Auf-
enthalt Jesu in Jerusalem stellen. Pharisäer legen ihm
die in den jüdischen Schulen damaliger Zeit vielbespro-
chene 6) Frage vor, ob man das Eheweib um jeder belie-
bigen Ursache willen entlassen könne? Wenn man hiebei,
um Jesum nicht in Widerspruch mit der modernen Pra-
xis kommen zu lassen, darauf dringt, daſs er nur diejeni-
ge Art der Ehetrennung, von welcher man damals allein
wuſste, nämlich das willkührliche Wegschicken der Frau,
nicht aber die gerichtliche Scheidung, wie sie jezt einge-
führt ist, miſsbilligt habe 7): so ist damit doch zugestanden,
daſs Jesus, soweit er von Ehetrennungen wuſste, sie allge-
mein verworfen hat, wobei also noch sehr die Frage ist,
ob ihn die neuere Art, die Ehe aufzulösen, wenn er davon
Kunde hätte bekommen können, bewogen haben würde, je-
ne allgemeine Verwerfung einzuschränken? Auch bei dem
folgenden, durch eine Frage der Jünger veranlaſsten Aus-
spruch, von welchem Jesus selber sagt, nicht Alle begrei-
fen ihn, sondern nur οἷς δέδοται, daſs nämlich die Ehelosig-
keit auch um des Reichs Gottes willen übernommen wer-
den könne (V. 11 f.), hat man, um Jesum nichts den jetzi-
gen Vorstellungen Zuwiderlaufendes sagen zu lassen, sich
beeilt, den Gedanken einzuschwärzen, nur mit Rücksicht
auf die bevorstehenden Zeitumstände, oder damit sie in ih-
rer apostolischen Thätigkeit nicht gehindert würden, habe
Jesus den Jüngern, sofern sie es vermöchten, die Ehelosig-
keit angerühmt 8); allein im Zusammenhang liegt davon
noch weniger eine Andeutung, als in der verwandten Stel-
le 1 Kor. 7, 25 ff. 9), sondern es ist auch hier wieder ei-
6) Bemidbar R. ad. Num. 5, 30. bei Wetstein p. 303.
7) z. B. Paulus, L. J. 1, b. S. 46.
8) Ders. ebendas. S. 50. ex. Handb. 2, S. 599.
9) In dieser Stelle wird zwar die Ehelosigkeit zuerst nur διὰ
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