gleichfalls ihre grossen Schwierigkeiten habe 23). Denn gar nichts ist doch in der ganzen Parabel herausgehoben, was der Reiche und Lazarus gethan haben müssten, um nach unsern Begriffen mit Recht der eine in Abrahams Schooss, der andre in die Qual versezt zu werden, son- dern das Verbrechen des einen scheint nur im Reichthum, wie des andern Verdienst nur in der Armuth bestanden zu haben. Man nimmt zwar gewöhnlich von dem Reichen an, theils dass er im Genusse ausgeschweift, theils dass er den Lazarus lieblos behandelt habe 24). Allein das Leztere ist nirgends angedeutet; denn dass der Arme hart pros ton pulona des Reichen liegt, soll nicht den Vor- wurf für diesen enthalten, dass er ihm leicht hätte helfen können, und es doch unterlassen habe, sondern nur den Contrast sowohl zwischen ihrem beiderseitigen irdischen Loose, als zwischen ihrer Nähe in diesem, und ihrer Entfernung im andern Leben ins Licht stellen, und ebenso will der Zug, dass der Arme begierig gewesen sei, von den Brosamen sich zu sättigen, die von des Reichen Tische fielen, nicht sagen, dass der Reiche ihm auch diese ver- weigert, oder dass er ihm mehr als bloss die Brosamen hätte zukommen lassen sollen, sondern nur die tiefe Un- terordnung des irdischen Looses von Lazarus unter das des reichen Mannes soll es anzeigen im Gegensaz gegen das umgekehrte Verhältniss, welches nach dem Tode ein- trat, wo der Reiche sich nach einem Tropfen Wassers von der Hand des Lazarus sehnte. Auf dieses Gesuch könnte, sofern der Reiche als unbarmherzig gegen den Lazarus gezeichnet werden sollte, der Abraham der Para- bel nicht anders als in der Art antworten: du hast einst einen weit näheren Weg zu diesem Lazarus gehabt und ihn doch nicht erquickt, wie sollte nun er einen so wei-
23) a. a. O. S. 208.
24) s. Kuinöl, z. d. St.
Zweiter Abschnitt.
gleichfalls ihre groſsen Schwierigkeiten habe 23). Denn gar nichts ist doch in der ganzen Parabel herausgehoben, was der Reiche und Lazarus gethan haben müſsten, um nach unsern Begriffen mit Recht der eine in Abrahams Schooſs, der andre in die Qual versezt zu werden, son- dern das Verbrechen des einen scheint nur im Reichthum, wie des andern Verdienst nur in der Armuth bestanden zu haben. Man nimmt zwar gewöhnlich von dem Reichen an, theils daſs er im Genusse ausgeschweift, theils daſs er den Lazarus lieblos behandelt habe 24). Allein das Leztere ist nirgends angedeutet; denn daſs der Arme hart πρὸς τὸν πυλῶνα des Reichen liegt, soll nicht den Vor- wurf für diesen enthalten, daſs er ihm leicht hätte helfen können, und es doch unterlassen habe, sondern nur den Contrast sowohl zwischen ihrem beiderseitigen irdischen Loose, als zwischen ihrer Nähe in diesem, und ihrer Entfernung im andern Leben ins Licht stellen, und ebenso will der Zug, daſs der Arme begierig gewesen sei, von den Brosamen sich zu sättigen, die von des Reichen Tische fielen, nicht sagen, daſs der Reiche ihm auch diese ver- weigert, oder daſs er ihm mehr als bloſs die Brosamen hätte zukommen lassen sollen, sondern nur die tiefe Un- terordnung des irdischen Looses von Lazarus unter das des reichen Mannes soll es anzeigen im Gegensaz gegen das umgekehrte Verhältniſs, welches nach dem Tode ein- trat, wo der Reiche sich nach einem Tropfen Wassers von der Hand des Lazarus sehnte. Auf dieses Gesuch könnte, sofern der Reiche als unbarmherzig gegen den Lazarus gezeichnet werden sollte, der Abraham der Para- bel nicht anders als in der Art antworten: du hast einst einen weit näheren Weg zu diesem Lazarus gehabt und ihn doch nicht erquickt, wie sollte nun er einen so wei-
23) a. a. O. S. 208.
24) s. Kuinöl, z. d. St.
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Zweiter Abschnitt.
gleichfalls ihre groſsen Schwierigkeiten habe 23). Denn
gar nichts ist doch in der ganzen Parabel herausgehoben,
was der Reiche und Lazarus gethan haben müſsten, um
nach unsern Begriffen mit Recht der eine in Abrahams
Schooſs, der andre in die Qual versezt zu werden, son-
dern das Verbrechen des einen scheint nur im Reichthum,
wie des andern Verdienst nur in der Armuth bestanden
zu haben. Man nimmt zwar gewöhnlich von dem Reichen
an, theils daſs er im Genusse ausgeschweift, theils daſs
er den Lazarus lieblos behandelt habe 24). Allein das
Leztere ist nirgends angedeutet; denn daſs der Arme hart
πρὸς τὸν πυλῶνα des Reichen liegt, soll nicht den Vor-
wurf für diesen enthalten, daſs er ihm leicht hätte helfen
können, und es doch unterlassen habe, sondern nur den
Contrast sowohl zwischen ihrem beiderseitigen irdischen
Loose, als zwischen ihrer Nähe in diesem, und ihrer
Entfernung im andern Leben ins Licht stellen, und ebenso
will der Zug, daſs der Arme begierig gewesen sei, von
den Brosamen sich zu sättigen, die von des Reichen Tische
fielen, nicht sagen, daſs der Reiche ihm auch diese ver-
weigert, oder daſs er ihm mehr als bloſs die Brosamen
hätte zukommen lassen sollen, sondern nur die tiefe Un-
terordnung des irdischen Looses von Lazarus unter das
des reichen Mannes soll es anzeigen im Gegensaz gegen
das umgekehrte Verhältniſs, welches nach dem Tode ein-
trat, wo der Reiche sich nach einem Tropfen Wassers
von der Hand des Lazarus sehnte. Auf dieses Gesuch
könnte, sofern der Reiche als unbarmherzig gegen den
Lazarus gezeichnet werden sollte, der Abraham der Para-
bel nicht anders als in der Art antworten: du hast einst
einen weit näheren Weg zu diesem Lazarus gehabt und
ihn doch nicht erquickt, wie sollte nun er einen so wei-
23) a. a. O. S. 208.
24) s. Kuinöl, z. d. St.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/628>, abgerufen am 28.06.2024.
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